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# taz.de -- Kinderarmut in Deutschland: Stadtluft macht arm
> Die Zahl der Kinder, die in Armut leben, ist gesunken. Experten monieren,
> die Hartz-IV-Statistiken würden weniger über die tatsächlich
> Armutsgefährdung aussagen.
Bild: Große Unterschiede: Drei Kinder zeigen ihr Taschengeld.
BERLIN taz | Die Berliner Senatsverwaltung für Soziales fühlte sich wohl
angegriffen: Das einzige, was wirklich gegen Kinderarmut helfe, seien mehr
Arbeitsplätze, sagte eine Sprecherin. Dafür wolle man in der laufenden
Legislatur sorgen. Grund für die Aufregung um Berlin ist eine aktuelle
Analyse der Bundesagentur für Arbeit. Aus der Statistik geht hervor, wie
schlecht es der Bundeshauptstadt gelingt, junge Menschen aus der
Grundsicherung zu bringen. Aktuell lebt jeder dritte junge Berliner von
Arbeitslosengeld II.
Während zwischen September 2006 und September 2011 die Anzahl der unter
15-jährigen Hartz-IV-Empfänger bundesweit um 13,5 Prozent abgenommen hat,
ging sie in Berlin nur um 1,2 Prozent zurück. Damit ist der Stadtstaat
Schlusslicht in der Statistik, gefolgt von Nordrhein-Westfalen, Hamburg und
Bremen.
Insgesamt hat die Zahl der unter 15-jährigen Hartz-IV-Empfänger jedoch
stark abgenommen: Von 1,89 Millionen auf 1,64 Millionen. Das liegt daran,
dass es mehr Jobs und damit weniger Menschen gibt, die Hartz IV beantrage
müssen. "Der Arbeitsmarkt erstarkt seit Monaten, die Arbeitgeber machen
eher Kompromisse und stellen auch Leute ohne perfekte Biografien ein", sagt
eine Sprecherin der Arbeitsagentur.
Dass Ballungszentren wie Berlin trotz dieses Aufschwungs ein Armutsproblem
haben, führen Soziologen darauf zurück, dass sozial Schwächere gezielt
dorthin ziehen und Alleinerziehende wegen loserer Lebensformen keine
Seltenheit sind. 2009 waren bundesweit etwa 40 Prozent dieser
Alleinerziehenden auf Grundsicherung angewiesen.
Hermann Biehler, Experte für Regionale Arbeitsmärkte am Münchener Institut
für Medienforschung und Urbanistik, sieht jedoch noch andere Gründe für die
Unterschiede: "Viele ehemalige Bergbau- oder Textilindustrieregionen haben
bisher keine vergleichbaren Cluster in Bereichen ausgebildet, die momentan
gefragt sind", sagt der Arbeitsmarktexperte.
Es gebe zwar einen hohen Arbeitskräftebedarf auch an Geringqualifizierten,
allerdings eher in exportorientierten Branchen. Das seien in Deutschland
vor allem die in Bayern und Baden-Württemberg ansässigen Auto- und
Maschinenbauer samt Zulieferern. In den beiden Ländern nahmen die Zahlen
der von Hartz-IV lebenden Kindern im Fünfjahresvergleich um 22,1 und 17,3
Prozent ab. Hier leben auch insgesamt am wenigsten Kinder in der
Grundsicherung.
## Verdeckte Armut höher
Barbara König glaubt jedoch, dass die Hartz-IV-Statistiken wenig über die
Armutsgefährdung deutscher Familien aussagen. Die Geschäftsführerin des
Zukunftsforums Familie (ZFF) geht von rund 2,4 Millionen armutsgefährdeten
Kindern aus, die weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Budgets
ihrer Altersgenossen zur Verfügung haben.
"Die Analyse beachtet all die Familien nicht, die Leistungen aus Scham
nicht beanspruchen", sagt König. Dabei brächten viele der aktuell
Beschäftigte im Niedriglohnsektor ihre Familien mehr schlecht als Recht
über die Runden. Das ZFF fordert deshalb mehr Kitaplätze und eine so
genannte Kindergrundsicherung, die abzüglich Steuern allen Kindern zur
Verfügung stehen soll.
Dann wären Kinder auch vor dem Rückfall in Armut geschützt – und der ist
laut Arbeitsmarktexperte Hermann Biehler nicht unwahrscheinlich. Laut dem
aktuellen Stellenindex der Arbeitsagentur entsteht jede dritte offene
Stelle in der Zeitarbeitsbranche, viele davon besetzen ehemalige
Hartz-IV-Empfänger. "Diese Jobs sind als erste wieder weg, wenn die
Wirtschaft schwächelt – für die Kinder bietet das keine Sicherheit", sagt
Biehler.
27 Jan 2012
## AUTOREN
Karen Grass
## TAGS
Kinderarmut
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
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