| # taz.de -- Ghanaer in Deutschland: König und Krämer | |
| > "Bildung ist wichtig", weiß Nana Basoah. Seine Kinder lässt er studieren. | |
| > Sein eigener Traum vom Aufstieg ist geplatzt - so wie bei vielen | |
| > Migranten aus Ghana. | |
| Bild: Anstatt als Ingenieur zu arbeiten, verkauft er Shampoo und Haarteile: Nan… | |
| HAMBURG taz | Nichts verrät, dass sich die Einwanderer aus Ghana hier eine | |
| neues Zuhause geschaffen haben. Es ist zugig. In einem Afro-Shop lässt sich | |
| eine schwarze Dame vor dem Regal mit den Pflegeprodukten beraten. In einem | |
| anderen kauft eine weiße Frau mit Kind Kochbananen. Die Wandsbeker Chaussee | |
| ist nicht die großartige neue Heimat, von der sie träumten, als sie von | |
| Ghana nach Deutschland kamen. Aber sie ist ein Treffpunkt, ohne Ghetto zu | |
| sein. | |
| Einer der Afro-Shops heißt "Chez Charly". Im vorderen Raum gibt es Deko und | |
| Lebensmittel aus Afrika. Weiter hinten flicht eine Frau, die sich später | |
| als Wanjiru aus Nigeria vorstellen wird, einer Kundin, die in diesem | |
| Artikel Sandy heißen will, kleine, eng anliegende Zöpfe. Sandy ist eine | |
| schöne Frau. Ihre Augen glitzern. Wenn sie lacht – und sie lacht sehr viel | |
| und auf sehr unterschiedliche Weise –, dann blitzen ihre Zähne wie Perlen. | |
| Sie erzählt von denen, die aus Afrika kamen, gebildete Leute, die viel | |
| erreichen wollten, die hier aber nicht viel erreichen durften und deshalb | |
| nie wirklich angekommen sind. | |
| Sie weist auf Leute hin wie ihrer Friseurin, Wanjiru, die Buchhaltung | |
| gelernt hat und einen Job haben müsste, der weniger auf die Knochen geht. | |
| Sie erzählt von Leuten wie ihren Eltern. Sie erzählt aber auch von jenen, | |
| die hier geboren oder aufgewachsen sind sind und die es besser hinbekamen – | |
| von Leuten wie sie selbst. | |
| Im Moment hat sie zu kämpfen, berichtet sie. Denn sie ist alleinerziehende | |
| Mutter, und das passt nicht gut zu ihrem Beruf. Denn Sandy ist | |
| Krankenschwester. Seit ihr Kind da ist, kann sie keine Nachtschichten mehr | |
| machen und verdient daher noch weniger Geld als ihre Kolleginnen. Abgesehen | |
| davon gehe es ihr nicht schlecht. Sie ist stolz auf das, was sie erreicht | |
| hat, denn die Ausbildung zur Krankenschwester war hart. So hart, "dass ich | |
| manchmal die Wände hochgehen wollte". | |
| ## Hagenbecks "Neger" | |
| Nach der Ausbildung fiel es ihr leicht, einen Job zu finden. Sandy kommt | |
| überall gut an. Doch als sie erzählt, dass sie nie das Gefühl hatte, im | |
| Nachteil zu sein, ahnt man, wie sie um diesen Satz gekämpft hat. "Einmal | |
| hat mich eine Oma 'Neger' genannt", räumt sie mit bissiger Heiterkeit ein. | |
| "Aber da muss man tolerant sein", fügt sie an. "Viele alten Leute hier | |
| kannten in ihrer Kindheit Afrikaner nur aus dem Zoo." Sandy weiß, dass die | |
| "Völkerschauen" in Hagenbecks Tierpark erst 1931 abgeschafft wurden. | |
| Sandy ist in Deutschland geboren, aber als sie acht Monate alt war, gingen | |
| ihre Eltern mit ihr zurück nach Ghana. Als sie sechs war, zogen sie wieder | |
| nach Deutschland. Sie nahmen in Kauf, dass der Vater, ein Kaufmann, hier | |
| nur als Taxifahrer arbeitete,und die Mutter, eine Arzthelferin, Hausfrau | |
| blieb. Heute besitzen sie zwei Häuser in Ghana und wollen bald zurück. "Das | |
| wollten sie schon immer", schmunzelt ihre Sandy. | |
| Ihre Eltern gehören zur ersten Generation von Migranten aus Ghana, die in | |
| der Forschung als "Eliteeinwanderer" bezeichnet werden, die aber trotzdem | |
| nie richtig Fuß fassen konnten. Fuß fassen, das schaffen die wenigsten, die | |
| nicht in Deutschland geboren sind. | |
| ## Gläserne Decken in der Gesellschaft | |
| So empfindet es selbst Stephen Ampofo, ein erfolgreicher Diplomingenieur, | |
| der sich als erster Vorsitzender bei AGNA engagiert, der African German | |
| Network Association. In einem kargen Seminarraum am Straßburger Platz, wo | |
| AGNA deutschen und afrikanischen Kulturvereinen Zusammenarbeit anbietet, | |
| erzählt Stephen Ampofo, dass er 1989 als Bildungsmigrant zum Studieren nach | |
| Deutschland kam. Damit gilt auch er als "Eliteeinwanderer". | |
| Der Sohn eines wohlhabenden Kakaobauern hat alles geschafft. Er hat die | |
| teuren und zeitaufwändigen Deutschkurse absolviert, die er schon in Ghana | |
| besuchte, er hat sich an die fremde Kultur gewöhnt und schließlich den | |
| Studienabschluss geschafft. Heute spricht er besser Deutsch als viele | |
| Deutsche. Trotzdem stößt er noch immer an die gläserne Decke, seufzt er. | |
| "Das macht es schwer, Teil dieser Gesellschaft zu werden", sagt er. Stephen | |
| Ampofo kann sich nicht vorstellen, jemals deutscher Staatsbürger zu werden. | |
| Er will wieder nach Hause. "Spätestens nach der Rente in 15 Jahren", sagt | |
| er. | |
| Zurück zur Wandsbeker Chaussee. Als "Eliteeinwanderer" gilt auch Nana | |
| Basoah. Er wartet in seinem Afro-Shop auf Kunden. Der Laden heißt "Grace | |
| World of Beauty". Nana Basoah ist ein Mann, der wohl überlegt, was er sagt. | |
| Er faltet die Hände über dem Bauch und neigt den Kopf. Er hat nichts gegen | |
| ein Gespräch. Nur jetzt, sagt er, hat er keine Zeit. Seine Kunden kommen | |
| gleich, und zwar zahlreich. Deshalb lädt er am Sonntag zum | |
| Gospel-Gottesdienst und anschließend zum Interview in seine Wohnung. | |
| ## Gottesdienst ganz anders | |
| Es ist ein sonniger Wintertag. Vor der Thomaskirche in der Haldesdorfer | |
| Straße fahren Taxis vor. Gewichtige Damen in farbenprächtigen Kleidern und | |
| kunstvoll gewickelten Kopfbedeckungen schälen sich aus den Sitzen. Nana | |
| Basoah ist im eierschalenweißen Sakko erschienen. Von den 250 Mitgliedern | |
| dieser Gemeinde, erzählt er beim Reingehen, ist heute ein knappes Drittel | |
| da. Davon könnten deutsche Kirchengemeinden nur träumen, meint er. | |
| Jetzt geht es los. Nana Basoah betet, dann geht er nach vorn, dort stimmt | |
| er mit zehn, fünfzehn Männern ein fröhliches Lied an. Die Evangelical | |
| Presbyterian Church Ghana, für die Nana Basoah singt, wurde im 19. | |
| Jahrhundert von deutschen Missionaren in Ghana für das Volk der Ewe | |
| gegründet. Deshalb wird in der Sprache der Ewe gepredigt. Als Nana Basoah | |
| zu singen aufhört, sagt er, dass er gar kein Ewe ist, sondern Aschanti. Die | |
| Aschanti sind ein stolzes Volk, sie waren berühmt für ihr Gold. Und für | |
| ihre Kriegskunst, mit der sie die europäischen Invasoren länger abwehren | |
| konnten als viele andere Völker. | |
| ## Auf Händen getragen | |
| Ein paar Stunden später empfängt Nana Basoah zu Hause in einer kleinen | |
| Wohnstube mit flauschigen Polstermöbeln. Sofort fallen die Fotos von Nana | |
| Basoah auf. Wie er auf Händen getragen wird. Wie er massiven Goldschmuck | |
| trägt. Und wie sich der kunstvoll gewebte Stoff um ihn legt. Nana Basoah, | |
| der freundliche kleine Mann mit der ruhigen Stimme, ist nicht nur einfacher | |
| Aschanti, er ist ein König. Das sagt er beiläufig. Ein Chief, wie es zu | |
| Hause heißt, fügt er an. Dann erzählt er ein wenig aus der Kindheit, von | |
| seinem Onkel, der Chief war, bis er vor acht Jahren starb, und was das | |
| heißt, Neffe eines Chiefs zu sein. "Es heißt", sagt er, "dass man nicht arm | |
| ist. Aber auch nicht besonders reich." | |
| Und dann kommt Nana Basoah zum Punkt. Er zögert. Denn als Nana Basoah 1980 | |
| nach Deutschland kam, da war er "nur" gelernter Automechaniker. Sein Blick | |
| verliert sich. Bildung ist wichtig in seinem Land, murmelt er. "Nur denen | |
| wird es einmal besser gehen, die sich bilden", fügt er an. Deshalb ist auch | |
| er nach Deutschland gekommen. Er wollte hier Ingenieurwissenschaften | |
| studieren. Aber er hatte keine Chance. Seine Abschlüsse wurden nicht | |
| anerkannt. Deshalb arbeitete er als Schlosser. Und im selben Jahr, als er | |
| Chief wurde, da öffnete er auch seinen Afro-Shop in der Wandsbeker | |
| Chaussee. Er war gleichzeitig König und Krämer. | |
| ## Die zweite Heimat | |
| Heute hat Nana Basoah das akzeptiert. Er fühlt sich nicht unwohl in | |
| Deutschland. Er mag die Deutschen. Einmal war er mit einer verheiratet, | |
| verrät er. Nana Basoah ist jetzt Mitte Fünfzig. Bald wird er wieder | |
| heiraten, zum dritten Mal. In spätestens fünf Jahren will er trotzdem | |
| zurück. Seine Leute brauchen ihn. | |
| Aber auch wenn Nana Basoah wieder in Ghana sein wird – immer wieder werde | |
| er nach Deutschland zurückkommen. "Das weiß ich", sagt er. Er hat seine | |
| Kinder, die hier studieren und die bleiben werden. Und er hat seinen Laden. | |
| Es ist nicht die Heimat, von der er einmal geträumt hat, als er noch ein | |
| junger Mann war, sagt er. Seine Träume haben sich nicht erfüllt. Aber | |
| Hamburg ist doch noch Heimat geworden – wenn auch nur eine kleine. | |
| 30 Jan 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
| ## TAGS | |
| Kakao | |
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