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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Die seltsame Welt der Republikaner
> Die Rechte in den USA stilisiert sich als Opfer der Bankenkrise.
> Gleichzeitig schiebt sie den Ärmsten des Landes dafür die Schuld in die
> Schuhe.
Bild: Aleyah Lloyd, drei Jahre alt, obdachlos, bekommt eine warme Mahlzeit in e…
Die Republikanische Partei bietet bei der Suche nach einem
Präsidentschaftskandidaten, der sich ihrer Basis als "glaubwürdig" genug
darstellt, ein Schauspiel, das wie Selbstmord in Zeitlupe anmutet. Doch das
könnte ein vorschnelles Urteil sein. Schon bei den Obama-Wahlen von 2008
schien der amerikanische Konservativismus eine todgeweihte Bewegung zu
sein, die an ihrer eigenen Ideologie gescheitert ist. Aber sie hat sich von
der Niederlage erholt, und zwar nicht mittels Anpassung an die äußere
Realität, sondern durch eine noch stärkere Bindung an die Ideologie, die
der Welt gerade ihre schwerste Wirtschaftskrise beschert hat.
Das konservative Comeback der letzten Jahre steht in der Geschichte der
gesellschaftlichen Bewegungen Amerikas einzigartig dar: Eine
Massenbekehrung zur Religion des freien Markts als Reaktion auf schwere
Zeiten. Nachdem die Katastrophen der Ära Bush in der Katastrophe der Wall
Street gipfelten, ging man in Washington allgemein davon aus, das Land
werde nun in eine neue Richtung aufbrechen.
Gewöhnlich denkt man, in schweren Zeiten liefe alles nach einem simplen
Ursache-Wirkung-Schema ab: Märkte brechen weg, die Arbeitslosigkeit nimmt
zu, Unternehmen gehen pleite, und schon gehen die Leute auf die Straße.
Verzweiflung, Panik und Rebellion machen sich breit. Alle fordern, dass die
Regierung etwas tun soll: die Schuldigen bestrafen und die Opfer retten.
Sie verlangen Schutz vor weiteren Katastrophen. So jedenfalls war das in
den 1930er Jahren.
Bekanntlich hatte das Establishment damals Angst vor der Revolution und
witterte hinter jeder Proteststimme kommunistische Einflüsterungen. "Der
New Deal ist nichts anderes als der Versuch, in Amerika eine totalitäre
Herrschaft zu errichten", polterte 1936 der Präsident der American Liberty
League in einer typischen Radioansprache.(1)
Vergebens. Franklin D. Roosevelt konnte seine große Koalition aus Arbeitern
und anderen traditionellen Randgruppen schmieden und spektakuläre
Wahlerfolge erzielen. 1937 verfügten die Demokraten im Repräsentantenhaus
über eine Dreiviertelmehrheit.
79 Jahre nach dem Börsencrash vom 24. Oktober 1929 erlebten wir unsere
eigene Wirtschaftskatastrophe. Tatsächlich schien sich im Herbst 2008
dasselbe Szenario zu entwickeln wie zwischen 1929 und 1932: Die
Wirtschaftskrise ruinierte die Erfolgsaussichten des republikanischen
Präsidentschaftskandidaten Senator John McCain aus Arizona.
Kaum war der Demokrat Barack Obama gewählt, ergriff er Maßnahmen, die an
die 1930er Jahre erinnerten: Hypothekendarlehen wurden erleichtert; eine
Kommission sollte die Ursachen der Finanzkrise ergründen. Anfang 2009
brachte Obama zuerst ein 787 Milliarden Dollar schweres Programm zur
Ankurbelung der Wirtschaft durch den Kongress, gefolgt von einer teilweise
Regulierung der Börsengeschäfte. Sogar ein Gesetz zur Einführung einer
allgemeinen Krankenversicherungspflicht konnte Obama durchdrücken.
Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise waren auf einmal in aller Munde.
## Zittern vorm Mob in der Businessclass
Einer der Konservativen, die schon früh Alarm schlugen, war Charles Koch,
der Ölbaron und Gründer mehrere ultraliberaler Organisationen. Im
Newsletter seines Unternehmens stöhnte er, wir schickten uns an, "dieselben
Fehler" wie in der Großen Depression zu machen: Wir würden "den größten
Verlust an Freiheit und Wohlstand seit den 1930ern" erleben.(2) Das Forbes
Magazine zitterte förmlich vor dem "Ancien Régime". Am 11. Mai 2009 brachte
es eine Karikatur, in der eine wohlhabende Familie von einer
furchterregenden Uncle-Sam-Figur verfolgt wird. Das Motto des Artikels:
"Uncle Sam will ihr Geld und der Mob vor dem Tor ihren Kopf."
Die Ängste in der Businessklasse waren nicht ganz unbegründet. Als die
Leitung des mit staatlichen Garantien geretteten Versicherungskonzerns AIG
165 Millionen Dollar an Bonuszahlungen just an die Abteilung ausschüttete,
die jene toxischen Derivate ausgeheckt hatte, die das Unternehmen ins
Straucheln gebracht hatten, war die öffentliche Empörung gewaltig. "Die
Amerikaner wollen Köpfe rollen sehen", hieß es am 18. März 2009 in einem
Bloomberg-Report. Wenig später erklärte Obama vor Wall-Street-Bankern:
"Meine Regierung ist das Einzige, was zwischen Ihnen und den Mistgabeln
steht."
Doch die Unverschämtheit der "Bonus Boys" war bald vergessen. Im November
2010 errang die radikalisierte Republikanische Partei ihren größten Sieg
bei Kongresswahlen seit Jahrzehnten. Der öffentliche Unmut hatte sich von
der Wall Street auf Washington verlagert und sich in einen Aufstand gegen
den Staat, Steuern und staatliche Regulierungen verwandelt.
## Sollen die Pleitiers doch pleitegehen
Damit haben sich die alten Vorstellungen über den Konservativismus als
unzureichend erwiesen. Lange Zeit ließ sich das Comeback des
Laissez-faire-Gedankens mit allerlei Mystifizierungen erklären, die viele
Köpfe vernebelt hatten. Von den 1970er Jahren bis in die Ära von George W.
Bush wurde über die großen Wirtschaftsfragen nicht in offenen Debatten
entschieden, während zugleich über Abtreibung und Evolutionstheorie
gestritten wurde. Seit Anfang 2009 ist das anders. Erstmals seit
Jahrzehnten will die Rechte die große Wirtschaftsdebatte öffentlich führen.
Wer sich im Online-Diskussionsforum der Tea Party Patriots anmeldet, wird
mit dem Hinweis begrüßt: "Diskussionen über soziale Themen unerwünscht."
Man möge sich auf Themen wie "Eindämmung des Staats, verantwortliche
Finanzpolitik und freie Märkte" konzentrieren.
Bei ihrer Verteidigung des "Kapitalismus" scheren sich die Anführer des
konservativen Aufstands allerdings wenig um den derzeit real existierenden
Kapitalismus, also um die Credit Default Swaps oder die Deregulierung, die
sie erst so gefährlich gemacht hat. Die Schlacht wird auf rein abstrakter
Ebene geführt. Es gehe, erklärt die wiedergeborene Rechte, um die Freiheit
an sich.
Der Weckruf, der die Rebellion auslöste, kam von dem Wirtschaftsreporter
Rick Santelli, der am 19. Februar 2009 live vom Parkett der Chicagoer Börse
berichtete. Dabei wütete er insbesondere gegen den Teil des Troubled Asset
Relief Program (Tarp), das Hauseigentümer vor der Zwangsversteigerung
bewahren sollte, wenn ihre Immobilie im Wert die aufgenommenen Hypotheken
nicht mehr deckte. Das war der einzige Aspekt von Tarp, der direkt den
Kreditnehmern und nicht den Banken zugutekommen und damit dem Programm die
öffentliche Zustimmung sichern sollte. Genau dagegen wetterte nun Santelli.
Das Programm belohne "Fehlverhalten" und subventioniere "Kredite von
Verlierern" mit Steuergeldern: "Wer will schon", fragte Santelli, "für die
Hauskredite des Nachbarn aufkommen, der sich ein extra Badezimmer geleistet
hat und nun die Raten nicht mehr zahlen kann?"
## Die Scheinrebellen von der Tea Party
Für die Rechte bot sich die Chance, den Schwarzen Peter von der Wall Street
zur Regierung zu schieben. Für sie war Tarp das einzig relevante Element
der Krisengeschichte, nicht die Derivate oder die Deregulierung, die ja
Sprösslinge der konservativ-republikanischen Gesetzgebung waren. Die
Tea-Party-Leute der ersten Stunde hatten ein simples Rezept: "Lasst die
Pleitiers pleitegehen." Der Satz erklärt den verblüffenden Erfolg einer
Rechten, die sich als Feind der Großkonzerne gibt und den Kollaps der
Megabanken begrüßt.
Bei genauerem Hinsehen ist zu erkennen, wie geschickt die Karten
ausgetauscht wurden. Immer wenn sich die Tea-Party-Leute für die Pleite der
Pleitiers aussprechen, lassen sie das Thema Bankenrettung schnell beiseite
und kommen zu den von Santelli entdeckten leichtsinnigen "Nachbarn".
Doch wer sind diese Scheinrebellen der Tea Party? Interessant in dem
Zusammenhang ist, wie tief die Sprache des Managements in diese Bewegung
eingesickert ist. Anhänger der Tea Party sprechen manchmal von
"Kernkompetenz", wenn sie vom Protestieren reden, oder von "politischen
Unternehmern", wenn sie politische Führer meinen.(3)
Wo sich Teetrinker versammeln, ist die Unternehmerpersönlichkeit nicht
weit. Don Crist zum Beispiel, Autor des Buchs "What can I do? After the Tea
Party", gibt sich als "Berater für Kleinunternehmen" aus. Und Senator Jim
DeMint von South Carolina, der Königsmacher der Tea Party, erzählt seinen
Anhängern gern, dass er seine staatsskeptische Haltung seiner
vorpolitischen Karriere als "kleiner Geschäftsmann" verdanke.
Die neue Riege der Konservativen, die der Erdrutschsieg des Jahres 2010 in
den Kongress brachte, redet gern so, als hätte sie alles stehen und liegen
lassen, um sich ganz der Sache der Kleinunternehmer zu verschreiben. Mark
Kirk, seit Anfang 2011 Senator für Illinois, bestritt seinen Wahlkampf mit
einer "Bill of Rights für Kleinunternehmer". Nach einer Umfrage der New
York Times sind von den Republikanern, die 2010 ins Repräsentantenhaus
gewählt wurden, fast 40 Prozent Kleinunternehmer.(4) Und von den
Republikanern, die neu in den Kongress einzogen, wurden 74 Prozent in ihrem
Wahlkampf von der National Federation of Independent Business (NFIB), der
größten Organisation der Kleinunternehmer, unterstützt.
## Unsere Helden, die Kleinunternehmer
"Der Staat schafft keine Jobs, aber Sie", erklärte die neue republikanische
Abgeordnete Nan Haworth aus New York in einer Rede vor Geschäftsleuten. Mit
diesem Slogan will die Rechte das Drehbuch der "schweren Zeiten"
umschreiben. Die Kleinunternehmer präsentieren sich seit jeher gern im
populistisch-heroischen Gewand. Wie früher die familiären Farmbetriebe
verkörpern heute die Kleinunternehmer den Individualismus schlechthin: als
jene zupackenden und zuversichtlichen Leute, die schon immer die
US-Wirtschaft in Schwung gehalten haben. Ronald Reagan feierte 1983 in
seiner Rede zur "National Small Business Week" die Kleinunternehmer als
"unsere vergessenen Helden", als "die Getreuen, die unsere Kirchen, Schulen
und Gemeinden am Leben erhalten".(5)
Dass die wiedererweckten Konservativen derart gegen die Bankenrettung
polemisieren, rührt von der traditionellen Feindschaft der Kleinunternehmer
gegen die Bankenkraken, die heute – weil "too big to fail" – eine unheilige
Allianz mit der Staatskrake eingehen. Diesen Aspekt betont auch der
Journalist Matt Taibbi, der mit vielen Tea-Party-Leuten gesprochen hat, die
kleine Geschäfte oder ein Restaurant betreiben. Die erfahren "Regulierung"
als den staatlichen Kontrolleur, der überprüft, ob alles behindertengerecht
eingerichtet ist, oder als den Gesundheitsinspektor, der sie mit Geldbußen
schikaniert: "Das ist ihre Erfahrung mit staatlicher Regulierung. Wenn dann
von JPMorgan Chase oder Goldman Sachs und der Regulierung solcher Banken
die Rede ist, stellen sie sich das auch so vor."(6) Aufklärung über den
Unterschied zwischen diesen beiden Dimensionen kapitalistischen
Wirtschaftens gehört nicht zu den Herzensanliegen der erneuerten Rechten.
Die Kleinunternehmen sind das Gesicht der heutigen Rechten, weil ihre
verbissenen Angriffe auf die Großkonzerne eine allgemeine Stimmung im Land
ausdrücken. Tatsächlich aber bedient die Rechte die selben privilegierten
Gruppen wie eh und je.
In seiner berühmten "White Collar"-Studie von 1951 hat C. Wright Mills ein
bekanntes Phänomen beschrieben: Die "Vergötterung des amerikanischen
Kleinunternehmers" habe nichts mit der realen wirtschaftlichen Leistung der
kleinen Unternehmen zu tun, aber sehr viel mit "der Nützlichkeit dieses
gefälligen Images für die politischen Interessen der größeren Unternehmen".
Der Kleinunternehmer ist also die Figur, "mittels derer sich vielen
Zeitgenossen die Ideologie des utopischen Kapitalismus immer noch positiv
vermitteln lässt".(7 )
Heute predigt die Rechte: Die Erbschaftssteuer muss weg, nicht weil sie die
Reichen stört, sondern weil sie die Farmerfamilien bedroht. Die
Steuerkürzungen der Bush-Ära dürfen nicht angetastet werden, weil sonst die
Kleinunternehmer kaputtgehen. Die Deregulierung der Banken hilft den
kleinen Ladenbesitzern. Und das Nordamerikanische Freihandelsabkommen
(Nafta) ist natürlich ein Segen für Unternehmensgründer. Bisweilen wird
sogar behauptet, dass sich die Interessen der Wall Street und die des
Ladens an der Ecke lückenlos decken.
Fußnoten:
(1) "The New Deal vs. Democracy", American Liberty League, 1936.
(2) "Perspective", in: Discovery, Januar 2009.
(3) [1][www.michigancapitolconfidential.com] und "Surface tension", Bericht
der Sam Adams Alliance, 13. Oktober 2010.
(4) Robb Mandelbaum, "Meet the new small business owners in Congress", New
York Times, 16. November 2010.
(5) [2][www.presidency.ucsb.edu/ws/index.php?pid=41324].
(6) [3][www.alternet.org/teaparty/148941/].
(7) C. Wright Mills, "White Collar. The American Middle Classes", Oxford
(Oxford University Press) 1953.
Aus dem Englischen von Thomas Wollermann
Auszüge aus: Thomas Frank, "Mitleid mit Milliardären". Das Buch erscheint
im Herbst 2012 im Verlag Antje Kunstmann.© Verlag Antje Kunstmann
[4][Le Monde diplomatique] vom 13.1.2012
5 Feb 2012
## LINKS
[1] http://www.michigancapitolconfidential.com/
[2] http://www.presidency.ucsb.edu/ws/index.php%3Fpid=41324
[3] http://www.alternet.org/teaparty/148941/
[4] http://www.monde-diplomatique.de/pm/.home
## AUTOREN
Thomas Frank
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