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# taz.de -- Antihelden und Heldinnen am Gorki-Theater: Kandidaten des Nichts
> Das Gorki Theater in Berlin zeigt zwei Roman-Inszenierungen: Hans
> Falladas "Der Trinker" von Sebastian Hartmann und Jorinde Dröses "Effi
> Briest" nach Theodor Fontane.
Bild: Ein zügiger Marsch in den Abgrund: Falladas "Trinker" am Gorki Theater.
"Der Trinker" nach einem Roman von Hans Fallada, man ahnt das schon, dass
das in einer Inszenierung von Sebastian Hartmann am Gorki Theater in Berlin
eine ungemütliche Sache wird. Schließlich geht es um Selbstzerstörung,
einen unheimlich zügigen Marsch in den Abgrund, ein rapides Versagen von
Verstand und Urteilskraft.
Und prompt jagt einen diese Inszenierung einmal durch einen Nullpunkt des
Theaters, ein Aussetzen von Sprache, Erzählen und Darstellbarkeit, in dem
nur noch Dröhnen und Wind existiert, maschinenerzeugt, schmerzhaft laut, da
hilft nur Finger in die Ohren. In diesem Moment hasst man den Regisseur für
die Wahl seiner Mittel; aber im Nachhinein, und das zählt womöglich mehr,
füllt sich dieser Bruch mit Sinn. Er markiert das Loch, das Nichts, das
Nichterinnerbare, das weggeschluckte Leben des Trinkers.
Voraus ging diesem abstrakten und monumentalen Bild noch ein Moment des
Ekels und des Slapsticks, voll von Schauspielkunst und einer konkreten,
realitätsversessenen Darstellungsweise genau da, wo man es lieber nicht
sähe. Der Trinker, gespielt von Samuel Finzi, Andreas Leupold und vom
Musiker Steve Binetti, kotzt. Immer wieder steigt die Brühe hoch und spukt
aus zwei dicken Schläuchen, die sich die Schauspieler erst nah an den Mund,
dann aber auch an den Arsch oder unter die Achsel halten, in das
Wasserbecken zu ihren Füßen.
Ja, es scheint, als sei das ganze Bühnenbild, ein schmaler
wasserüberbrückender Weg vor wechselnden Hintergrund-Prospekten, von
Sebastian Hartmann vor allem erdacht, um ordentlich mit diesem Matsch sauen
zu können. Samuel Finzi und Andreas Leupold absolvieren die Szene mit der
Stoik von Komikern, suchen dem Ekel bald noch eins draufzusetzen, den
Matsch in die Jackentasche zu füllen oder als Fontäne in die Luft zu
pusten, ein kindischer Wettbewerb um die ekligste Idee.
## Glöckner und Monster
Bis dahin aber war der Abend Literaturtheater, nah am Romantext von
Fallada. Er schrieb den Roman 1944 in knapp zwei Wochen nieder, eingewiesen
in eine Landesanstalt, in einer seiner Romanfigur nicht unähnlichen Lage,
und von der ersten Seite an drängeln seine Sätze, alles muss raus, ein
Auswurf an Selbstbeschuldigungen und Erniedrigungen, an Empfindlichkeit und
Selbstgerechtigkeit. Sein Erwin Sommer ist groß da drin, anderen die Schuld
für sein Versagen in die Schuhe zu schieben; und Fallada war groß da drin,
diese Strategie des Trinkers zu erzählen. Sich beobachten, sich
analysieren, sich verstecken, sich verleugnen, sich anklagen, sich
entschuldigen, Erwin Sommer, ein pleitegegangener Kaufmann, kann das gut.
Deshalb passt es, dass zwei Schauspieler den sich so oft um die eigene
Achse drehenden Text übernehmen und zugleich Beobachter sind.
Es gibt im ersten Teil des Abends die Momente der Lieder, der mit der
Gitarre begleiteten Melancholie, wenn Finzi und Leupold mit Steve Binetti
singen, brummen und grunzen, kurze Phasen der Entspannung, vielleicht auch
die letzten, in denen das Leben sich dem Trinker noch mal rundet, der
Rausch den Auseinanderfall von ökonomischer und sozialer Existenz
überdeckt.
Im letzten Teil, nach dem Sturz in die Artikulationslosigkeit, ändern sich
die Spiel- und Sprechweisen. Mit Figuren aus einem surrealen Kabinett
erzählen Finzi und Leupold von Sommers Zeit im Gefängnis und auf
Entziehungskur. Sie verkleiden sich als Glöckner von Notre Dame, als
mitleiderregende Monster oder als Conférencier im weißen Anzug, der dann
aber doch nicht distanziert über das Geschehen reden kann.
Am Ende hat der Abend seine bestürzende Geschichte konsequent erzählt, mit
dem Roman und jenseits von ihm, Literatur übersetzt und Theater erfunden,
dabei auch einmal den Zuschauer sehr strapazierend. Das aber war nicht
allein der Grund, warum die Premiere mit einer großen Spannung belastet
war. Sebastian Hartmann, zurzeit noch (bis 2013) Intendant am
Centraltheater in Leipzig, könnte einer der Kandidaten sein, die sich für
die Leitung des Maxim Gorki Theaters, das der bisherige Intendant Armin
Petras 2013 verlässt, bewerben.
Dass der Kulturverwaltung des Berliner Senats Bewerbungen vorliegen und sie
auch von sich aus auf Leute zugeht, weiß man. Namen werden offiziell von
keiner Seite genannt. André Schmitz, der Kulturstaatssekretär, signalisiert
zwar Gelassenheit, auch wenn er weiß, dass die Zeit drängt. Dass die Suche
nach außen schweigend vonstatten geht, wie fast immer, wenn Städte die
Leitungspositionen ihrer Stadttheater besetzen, und man nichts von einer
Diskussion über Konzepte für das Haus mitbekommt, erzeugt Unbehagen und
Misstrauen. Sind ihnen etwa Wunschkandidaten schon durch die Lappen
gegangen? Will es keiner machen mit dem Geld, das für das Gorki
veranschlagt ist?
## Sorge um das Haus
Die Sorge ist berechtigt, dass das Profil, das Armin Petras dem Gorki
Theater verliehen hat, mit den Mitteln des Hauses nur schwer weiter zu
halten ist. Das Gorki Theater ist involviert, sucht Schnittstellen in die
Stadt hinein, verbindet Kunst und Wissenschaft. Im März wird "Der Trinker"
Teil eines Wochenendes zum Alkoholismus sein, das die Charité mit dem
Theater zusammen macht. Solche Strategien können zwar kein gutes Theater
garantieren, aber ein offenes Haus schaffen. Das hat das Gorki Theater
unter Petras mit vielen Produktionen und Projekten erreicht, sich dabei
manchmal auch verzettelt.
Typisch sind für das Gorki Theater auch Inszenierungen, die nicht das ganz
große Fass aufmachen, die nach entspannten Erzählweisen suchen, mit großer
Affinität zur Welt der Romane. Nach Dramatisierungen von "Anna Karenina"
und "Madame Bovary" folgte Mitte Januar eine dritte Heldin der Literatur
des 19. Jahrhunderts, "Effi Briest" von Theodor Fontane, die Jorinde Dröse,
Hausregisseurin am Gorki Theater seit 2010, inszenierte.
Ihre Effi Briest ist vor allem ein großes Kind, hungernd nach Leben, die
mit großer Naivität in eine sterbenslangweilige Ehe reinrasselt. Es wirkt
wie eine Szene aus dem Sandkasten, wenn Anja Schneider mit Schürze und
zerzaust das erste Mal von ihrem Zukünftigen erzählt, eigentlich ja ein
alter Verehrer der Mutter, und dann mit seinen Vorzügen protzt. Eine
Berliner Göre, die auch von Zille entworfen sein könnte, so tobt sie durch
die ersten Bilder und noch durch ihre Hochzeitsreise, die mit animierten
Postkarten illustriert wird.
Jorinde Dröse ist gut zu ihren Figuren, verrät keinen an die Karikatur,
auch den hölzernen Baron von Innstetten nicht. Nichts weiß er von
Bedürfnissen seiner jungen Frau, mit Gespenstergeschichten und
furchterregender Strenge versucht er sich Respekt zu schaffen. Sie wirkt
noch immer rührend wie ein Kind, wenn sie versucht, seine Weltsicht zu
teilen, und keine Tür hinein findet. An seiner Unfähigkeit, zu lieben und
sich mitzuteilen, leiden beide und schwer auch an der gegenseitigen Anklage
nach dem Bruch, nach dem Verstoß von Effi. Sie wird bestraft für eine
Beziehung, die Dröse wieder wie ein Spiel inszeniert.
Jorinde Dröse benutzt auch Filmprojektionen, teils für eine
Miniaturisierung der Welt, die zu Effis Puppenhaus wird, aber auch, in
schön fotografiertem Schwarz-Weiß, für die Gespenster der Einsamkeit, die
Effi in ihrer Kleinstadt plagen. Das ist ebenso atmosphärisch dicht wie
illustrativ. Oberflächlich aber ist es nicht, wie dieser schlanken
Romanbearbeitung, die auch auf wichtige Figuren verzichtet, vorgeworfen
wurde.
Der häufige Griff nach den Romanen hat am Gorki Theater auch etwas
Bekenntnishaftes, Leseverliebtes, Bildungsbürgerliches: die Literatur als
Schlüssel zur Geschichte und zur Gegenwart zu nehmen, als einen
gigantischen Schatz zu heben, als Schule der Erfahrung über das eigene
Leben hinaus.
6 Feb 2012
## AUTOREN
Katrin Bettina Müller
## TAGS
Theodor Fontane
Theatertreffen Berlin
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