# taz.de -- Deutsches Stromnetz: Einsatz der Elektrozocker | |
> Zuletzt war die Stabilität des Stromnetzes immer wieder gefährdet. | |
> Verantwortlich dafür war nicht der Mangel an Kraftwerken, sondern die | |
> Spekulationswut der Stromhändler. | |
Bild: Die hohen Preise an der Energiebörse EEX haben dazu geführt, dass sich … | |
FREIBURG taz | Stromhändler haben in den Tagen der strengen Kälte das | |
Stromnetz in Deutschland fast kollabieren lassen. Das wurde jetzt durch ein | |
Schreiben bekannt, das die Bundesnetzagentur an 900 Stromhändler | |
verschickte. Darin heißt es, das deutsche Stromnetz habe seit dem 6. | |
Februar zu unterschiedlichen Tageszeiten "erhebliche, über mehrere Stunden | |
andauernde Unterdeckungen verzeichnet". | |
Allerdings war die Netzstabilität nicht durch einen Mangel an Kraftwerken | |
gefährdet, wie es die Atomlobby nach dem Ausstiegsbeschluss immer wieder an | |
die Wand gemalt hatte, sondern durch spekulatives Verhalten der | |
Stromhändler. Denn viele Stromeinkäufer hatten sich wegen der hohen Preise | |
an der Energiebörse EEX in manchen Stunden offenbar bewusst nur | |
unzureichend mit Strom eingedeckt. | |
Stattdessen setzten sie zur Deckung ihres Bedarfs auf die Regelkraftwerke, | |
die eigentlich nur dem Erhalt der Netzstabilität dienen, indem sie | |
unvermeidbare Prognosefehler kompensieren. Durch solche Aktionen ließ sich | |
auf Preisvorteile spekulieren, weil an der Börse die Preise mit bis zu 38 | |
Cent je Kilowattstunde zeitweise höher lagen als typischerweise die Preise | |
der Regelenergie. | |
Dass Marktakteure im Einzelfall solche regelwidrigen Tricks nutzen, ist nie | |
auszuschließen. Doch in den kalten Februartagen kam es nach derzeitiger | |
Erkenntnis zu einem gefährlichen Herdenverhalten: Gleich reihenweise | |
reduzierten offenbar Händler gegen besseres Wissen ihre Verbrauchsprognosen | |
und kauften vorsätzlich zu wenig Strom ein - in der Hoffnung, die | |
Abweichungen von der eigenen Lastprognose über den Regelenergiemarkt | |
billiger ausgleichen zu können. | |
## Netzzusammenbruch war möglich | |
Damit wurde die nötige Regelleistung "nahezu vollständig für die Deckung | |
von Lastprognosefehlern aufgebraucht", wie auch der | |
Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz beobachtete. Im Fall einer Störung - | |
etwa einem Kraftwerksausfall - hätte in den betreffenden Zeiten keine | |
Regelleistung mehr zur Verfügung gestanden, das Netz hätte zusammenbrechen | |
können. | |
In früheren Zeiten hatte es, wenn die Strompreise auch schon hoch waren, | |
solche Effekte im Handel noch nicht gegeben. Zumindest nicht in einem | |
solchen Ausmaß, dass damit die Netze destabilisiert wurden. "Das könnte | |
daran liegen, dass sich durch die Fotovoltaik die Preismuster am Strommarkt | |
verändert haben", sagt Tobias Federico, Strommarktanalyst von Energy | |
Brainpool in Berlin. | |
Denn früher traten hohe Strompreise mehrmals am Tag auf, heute gibt es oft | |
nur noch kurzzeitige Preisspitzen in den Morgen- und Abendstunden: "Da | |
lohnt es sich dann mitunter nicht, ein Kraftwerk extra anzufahren." Der | |
Präsident der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, sagte, der Sachverhalt | |
werde nun mit Hochdruck aufgeklärt: "Wir werden genau untersuchen, wie es | |
zu der außergewöhnlichen Situation im Stromnetz gekommen ist." Mit dem | |
Wirtschaftsministerium spricht die Behörde über Konsequenzen. | |
16 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Bernward Janzing | |
Bernward Janzing | |
## TAGS | |
Energiewende | |
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