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# taz.de -- Debatte Spardiktat: Schlimmer geht's nimmer
> Neuwahlen helfen Griechenland nicht aus der Krise. Die einzige Lösung
> ist, bürgernahe und offene Entscheidungen zu treffen. Das kann nur das
> Europäische Parlament.
Bild: Möge Athenes Weisheit auch die zornigen Anleger treffen: Die griechische…
Innerhalb von nur ein paar Tagen, beschloss das Parlament in Athen eine
noch härtere Sparpolitik – um im Gegenzug den zweiten milliardenschweren
Kredit zur Schuldentilgung zu erhalten. Auch der Bundestag stimmte für das
sogenannte zweite Hilfspaket, das die Lebensumstände der Griechen weiter
verschlechtern wird.
Unterdessen haben zwei deutsche Minister den Austritt Griechenlands aus der
Eurozone gefordert und die Mehrheit der europäischen Politiker sind sich
einig, dass mit all den Krediten und Sparmaßnahmen nur ein wenig Zeit
gekauft werden kann – zur Lösung des griechischen Problems werden sie
hingegen nicht beitragen.
Das Einzige, was bisher gelang, ist, die griechischen Schulden bei
Investmentbanken und anderen Instituten in nationale Schulden beim Rest der
EU-Mitgliedsstaaten und dem IWF umzuwandeln. Was sagt uns das über die
Fähigkeit der EU, ein Problem (nicht) zu lösen, das gerade mal drei Prozent
seiner Wirtschaft umfasst und seit zwei Jahren auf dem Tisch ist?
In Griechenland redet man jetzt vor allem über die Neuwahlen, die früher
oder später kommen werden. Laut Umfragen hat die Mehrheit der griechischen
Wähler „das alte politische System“ satt und keine der großen Parteien wi…
genügend Stimmen bekommen, um die Regierung allein zu stellen. Gleichzeitig
ist die Wahrscheinlichkeit einer Koalitionsbildung gering, da müssten vier
Parteien zusammenfinden und das in einem Land, in dem bislang immer eine
große Partei zu ihren Gunsten regiert hat.
Viele „Moderate“ fordern daher, die Wahlen aufzuschieben. Niemand, so ihr
Argument, sollte in diesen heißen Monaten, Entscheidungen fällen, schon gar
nicht, wenn das Wohl der gesamten Nation von ihnen abhängt. „Lasst uns die
Regierung für weitere zwei Jahre behalten, bis sich die Situation etwas
beruhigt hat“, sagen sie.
Die anderen bestehen auf Neuwahlen. Diese wären der einzige Weg, zumindest
ein Minimum an demokratischer Legitimation zu erhalten, nachdem die
gewählten wie nicht gewählten Entscheidungsträger sich als unfähig erwiesen
haben, auch nur einen überzeugenden Plan für den Umgang mit der
griechischen Tragödie zu entwickeln, geschweige denn diese abzuwenden.
## Keine offenen, bürgernahen Entscheidungen
Leider sieht es so aus, als ob die Entscheidungen jetzt in der Hitze des
Gefechts getroffen werden müssen – und zwar ohne demokratische
Legitimation. Damit aber steht nichts weniger als der Gründungsmythos der
Europäischen Union zur Disposition.
Artikel 2 des Maastricht Vertrages (1992–93) besagt, dass „die Werte, auf
die sich die Union gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit,
Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der
Menschenrechte [sind] …“ Und Artikel 10 legt fest, dass die „Arbeitsweise
der Union auf der repräsentativen Demokratie beruht“ und „die
Entscheidungen so offen und bürgernah wie möglich getroffen“ werden müssen.
Versuchen Sie mal, den Vertrag auf die Sparmaßnahmen anzuwenden, die jetzt
den Griechen auferlegt werden und die Millionen in Armut, Angst und
Verzweiflung getrieben haben.
Sie werden feststellen: Die Union schützt bei ihren Problemlösungen weder
die Würde noch die Gleichheit der EU-Bürger. Stattdessen werden zentrale
Entscheidungen in größtmöglicher Ferne von den Menschen und ihren
Repräsentanten getroffen. Von diesem Europa hat niemand geträumt in
Maastricht, damals vor 20 Jahren.
## Preis für Glücksspiel der Eliten
Verstehen Sie mich nicht falsch. Die Griechen haben sich selbst in diesen
Schlamassel gebracht. Sie haben das korrupte, inkompetente System
akzeptiert und sich zu Komplizen desselben gemacht. Griechische Politiker
bewarben sich für die EU-Mitgliedschaft, obwohl das Land ökonomisch nicht
reif war. Sie sind ein großes Risiko eingegangen, sie haben gezockt und sie
haben das Spiel verloren.
Die Griechen zahlen nun den Preis für das Glücksspiel der Eliten, und noch
Generationen nach ihnen werden dafür aufkommen müssen. Denn sie werden
keine adäquate Ausbildung haben, kein staatliches Gesundheits- oder
Sicherheitssystem, und trotzdem höhere Steuern zahlen als alle anderen vor
ihnen. Griechenland hat die falschen Entscheidungen getroffen und muss nun
die Folgen tragen.
Aber auch die EU hat die Griechen betrogen, mindestens so sehr wie die
Griechen die Europäer. Als deutsche Geschäftsleute mit griechischen
Ministern illegale Verträge über Milliarden von Euros abschlossen, sahen
die gewählten Vertreter in Brüssel einfach zu, unfähig oder unwillig
einzugreifen. Die öffentlichen Finanzen wurden nicht ausreichend
kontrolliert, Fonds zur Strukturförderung und Anpassung wurden
zweckentfremdet, das alles war „Business as usual“.
Bislang hat die EU also vor allem die Ungleichheit zwischen den EU-Bürgern
verschärft. Auch davon haben wir vor zwanzig Jahren nicht geträumt,
wirklich nicht.
## Macht an Parlament übergeben
In den nächsten Wochen wird das griechische Parlament aller Voraussicht
nach eine Einigung in Sachen Schuldenschnitt beschließen, die Bedingungen
für einen weiteren Kredit aushandeln und die Regierung Papandreou wird
Neuwahlen fordern. Das größte Problem dürfte die politische Instabilität
darstellen, gewählt werden wird trotzdem.
Ohne eine handlungsfähige Regierung aber wird Griechenland nicht auf die
Beine kommen. Es ist sinnlos, mit jemandem zu verhandeln, der nicht die
Autorität besitzt, erzielte Einigungen auch durchzusetzen. Die einzige
Institution mit dem demokratisch legitimierten Recht, Entscheidungen zu
fällen, wird also das Europäische Parlament sein. Und vielleicht ist genau
das die einzige Lösung: Die Macht wird an das Parlament übergeben, das von
allen Europäern gewählt wurde.
Halten wir fest: Schlimmer als jetzt können die Dinge nicht werden. Wir
haben zwei Jahre gebraucht, um über die Fehler, die bei der Einführung des
Euro gemacht wurden, auch nur zu reden. Wie lange wird es dauern, bis wir
uns damit auseinandersetzen, dass die EU ein riesiges Demokratiedefizit
hat? / Aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet von Ines Kappert
1 Mar 2012
## AUTOREN
Theodore Kouvakas
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