# taz.de -- Iranischer Atomkonflikt: Deutschland muss Farbe bekennen | |
> Der Streit ums iranische Atomprogramm dominiert die deutsche | |
> Sicherheitspolitik. Über den Ernstfall wird geschwiegen. Was aber, wenn | |
> die Verhandlungen scheitern? | |
Bild: Angela Merkel spricht am 18. März 2008 in Jerusalem vor der Knesset. | |
BERLIN taz | Eigentlich wollte sich Guido Westerwelle dieser Tage mit einem | |
ganz anderen Thema als Krieg befassen. In seinem Auftrag setzten sich die | |
Beamten des FDP-Politikers im Auswärtigen Amt vor einigen Wochen zusammen | |
und bastelten an einem neuen Kommunikationskonzept: „Europa erklären – | |
Europa diskutieren“. Tenor: Man müsse endlich wieder beliebter werden. | |
Langsam störte sich Westerwelle an den Hassparolen, die ihm im Ausland | |
entgegenschlugen. Das Deutschlandbild hat sich in der Eurokrise | |
verschlechtert. Für den Minister ergäbe sich dadurch eine Chance: Er könnte | |
sich ein neues Feld erschließen, auf dem er nah der Heimat präsent ist. | |
Doch nun hat die Realität Westerwelle auf einem ganz anderen Feld | |
eingeholt. Denn die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik erlebt im Fall | |
Iran eine dramatische Situation. | |
Ein Krieg zwischen Israel und dem Land ist nicht ausgeschlossen, auch wenn | |
die in dieser Woche angebotenen Verhandlungen um das iranische Atomprogramm | |
für einen Moment der Entspannung sorgen. Es ist ein Konflikt, der auch | |
Deutschland dazu zwingen würde, Farbe zu bekennen. | |
Seit Wochen rasselt Israel mit den Säbeln. Der israelische | |
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu würde sogar Raketenangriffe auf Tel | |
Aviv in Kauf nehmen, um eine iranische Atombombe zu verhindern, berichten | |
israelische Zeitungen. | |
Und auch wenn Barack Obama eine Verhandlungslösung anstrebt: Sein | |
Verteidigungsminister Leon Panetta sagte vor kurzem der Washington Post | |
zufolge, dass ein Angriff Israels noch im Frühjahr zu erwarten sei. | |
Für Deutschland könnte sich damit eine schwierige Situation ergeben. Denn | |
was passiert, wenn das letzte Wort gesprochen ist, wenn der Konflikt | |
tatsächlich ausbricht? | |
## Historische Verantwortung | |
Dann würde Deutschland sich daran messen lassen müssen, was Angela Merkel | |
im Jahr 2008 bei ihrer Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, | |
gesagt hat. „Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der | |
besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit | |
Israels verpflichtet“, sagte sie damals. „Diese historische Verantwortung | |
Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes.“ Die Sicherheit | |
Israels erklärte Merkel für sich als niemals verhandelbar. | |
Was das konkret im Kriegsfall bedeuten kann – darüber schweigen sich | |
Diplomaten aus. „Über dieses Thema darf man noch nicht einmal | |
Selbstgespräche führen“, heißt es dann. Zu brisant sei die Lage. | |
Verteidigungsminister Thomas de Maizière fasste das kommunikative Dilemma | |
der Bundesregierung auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar wie | |
folgt zusammen: „Nehmen wir einmal an, ich würde eine militärische Option | |
ganz vom Tisch nehmen“, sagte er in einem Fernsehinterview auf die Frage | |
nach einer deutschen Beteiligung, „oder aber offenlassen – dann würde | |
allein aus dem ’offenlassen‘ nach drei Schleifen entstehen: Es besteht die | |
Absicht, militärisch einzugreifen.“ De Maizières Fazit: „Die Sache ist zu | |
ernst dazu.“ | |
## Keine klare Ansage | |
Die Sicherheitskonferenz ist nun einige Wochen her. Doch nach wie vor gibt | |
es vor allem Plattitüden zu dem, was auf Deutschland zukommen würde: „Wir | |
setzen auf eine politische und diplomatische Lösung“, sagte Außenminister | |
Westerwelle in dieser Woche. | |
Ein Satz, der sich wie eine Decke über das legen soll, was hinter den | |
Kulissen verhandelt wird. „Je wortreicher die Diskussion, desto weniger | |
gefährlich ist sie“, heißt es in Regierungskreisen. Hier ist der Fall | |
umgekehrt. | |
In Fachkreisen gilt eine deutsche Beteiligung an einem Kriegseinsatz in | |
Nahost aus historischen Gründen allerdings als kaum vorstellbar. Dieser | |
Fakt steht dem Offenlassen aller Optionen und der unmissverständlichen | |
Solidaritätserklärung Angela Merkels gegenüber. | |
## Verschiedene Szenarien | |
Auf ein anderes Szenario als eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen | |
Israel und Iran weist der grüne Politiker Omid Nouripour hin. Er glaubt | |
nicht an einen Schlag Israels gegen den Rivalen im Osten. | |
„Die größte Gefahr besteht darin, dass Irans Präsident Ahmadinedschad die | |
Straße von Hormus blockiert“, sagt Nouripour über die unter anderem für | |
Öltransporte entscheidende Meerenge am Persischen Golf. | |
Dieser Fall würde zwangsläufig eine UNO-Resolution nach sich ziehen – und | |
einen Militäreinsatz gegen die Blockade. Dann wäre wohl auch Deutschland | |
direkt betroffen: „Einem solchen Einsatz könnte sich niemand entziehen“, | |
sagt Omid Nouripour. | |
Damit es möglichst zu keinem der Szenarien kommt, sind Diplomaten der | |
Bundesregierung seit Wochen in der Region aktiv. | |
## Ein wichtiger Ansprechpartner | |
Dabei kommt Deutschland eine besonders wichtige Rolle zu: Zwischen den eher | |
interventionistisch geneigten Franzosen auf der einen und der chinesischen | |
Regierung auf der anderen Seite wird Deutschland als gemäßigte Kraft | |
wahrgenommen und gilt damit auch dem Iran als ein wichtiger | |
Ansprechpartner. | |
Die Hoffnung Deutschlands richtet sich nun darauf, dass die USA mit Barack | |
Obama eine diplomatische Lösung vorantreiben können. Der hat zwar jüngst | |
gesagt, „alle Optionen liegen auf dem Tisch“. Dennoch wird er selbst vom | |
Iran für seine diplomatische Linie gelobt. | |
Wie auch immer sich ein Konflikt entwickeln würde: In jedem Fall würden | |
wohl die USA die Hauptverantwortung eines Einsatzes tragen, so die | |
Einschätzung unter Verteidigungspolitikern. | |
„Ein Militäreinsatz in der Region wäre vor allem eine | |
israelisch-amerikanische Angelegenheit“, sagt der SPD-Politiker Hans-Peter | |
Bartels. Ein wenig Hoffnung ist wohl auch dabei. | |
9 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Gordon Repinski | |
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