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# taz.de -- Resozialisierung durch Fußball: Lerneffekte innerhalb der Mauern
> Die Sepp-Herberger-Stiftung will mithilfe des Fußballs zur
> gesell-schaftlichen Wiedereingliederung junger Strafgefangener beitragen.
> Man denkt über den Sport hinaus.
Bild: Olli Kahn in der JVA Iserlohn im Rahmen des Projekts „Anstoß für ein …
BERLIN taz | Die Kluft, die es zu überwinden gilt, ist auch hier in der
betagten grauen Turnhalle deutlich zu spüren. Auf der linken Seite vor dem
Podium sitzen die Gastgeber, die Häftlinge der Jugendstrafanstalt
Plötzensee in Berlin. Zu Gast auf der rechten Seite sind zahlreiche
Medienvertreter und diejenigen, die es sich im Rahmen eines Projekts der
Sepp-Herberger-Stiftung zur Aufgabe gemacht haben, mithilfe des Fußballs
Brücken in die Gesellschaft zu bauen.
Die Stimmung ist bedrückend. Daran ändern auch die Organisationsbanner
nichts, die die Sepp-Herberger-Stiftung, der Berliner Fußball-Verband (BFV)
und die Agentur für Arbeit hereingetragen haben. Der einzige Schmuck, der
in dieser Halle als Dauereinrichtung von den vergitterten Fensterluken
herunterhängt, sind die verblassten Grinsegesichter, die der WM 2006 in
Deutschland als Logo dienten. Selbst die Torwand, die hier für etwas
Auflockerung sorgen soll, ist vergittert.
„Anstoß für ein neues Leben“ heißt die Initiative, die in
Nordrhein-Westfalen gestartet wurde und nun in Rheinland-Pfalz und in
Berlin fortgesetzt werden soll. Christian Saborowski ist an diesem Tag
nicht zufällig der Mittelsmann, der die Häftlinge auf dem Podium vertritt.
Der 22-Jährige hat bereits für die Zeit nach seiner Entlassung die
Perspektiven vorzuweisen, die das Projekt einem ausgewählten Kreis von
Häftlingen vermitteln will: Saborowski wird wie bereits jetzt zu seinen
Freigangzeiten bei den Reinickendorfer Füchsen einen sozialen Anschluss
haben, und zudem wartet ein Ausbildungsplatz als Trockenbaumonteur auf ihn.
## Partnerschaft zwischen BFV und Jugendstrafanstalt
Tobias Wrzesinski, der stellvertretende Geschäftsführer der
Sepp-Herberger-Stiftung, erklärt dazu: „Wir führen vieles zusammen, was in
vielen Bundesländern schon gemacht wird.“ In Berlin besteht zwischen dem
BFV und der Jugendstrafanstalt schon seit 1996 eine Partnerschaft. Der BFV
stellt seither einen Trainer für ein wöchentlich einstündiges Training,
bemüht sich um die Wiedereingliederung der Insassen in Fußballvereine,
bietet Trainer und Schiedsrichterausbildungen an, vermittelt
Freundschaftsspiele mit Berliner Klubs.
Unter den Fittichen der Sepp-Herberger-Stiftung wird das Team der
bisherigen Fußball-AG künftig Anstoß-Mannschaft heißen. Mitmachen darf, wer
eine günstige Sozialprognose hat und für den Arbeitsmarkt nach der
Entlassung zur Verfügung steht. Denn die Stiftung hat an ihren jeweiligen
Projektstandorten die Agentur für Arbeit für ein spezifischen
Betreuungsangebot mit ins Boot geholt.
In Berlin ist auch das nichts Neues. Wie Janina Deininger, die Leiterin der
Öffentlichkeitsarbeit der Jugendstrafanstalt, berichtet, habe man als
einziges Bundesland bereits zwei Mitarbeiterinnen der Agentur im Haus, die
sich intensiv um die Häftlinge kümmerten.
Nichtsdestotrotz begrüße sie die Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung,
weil sie strukturelle Kontinuität in diesem Bereich schaffe. Vielleicht sei
der organisierte Sport gar prädestiniert dazu, solche vielschichtig
angelegten Anstöße zu geben. Deininger sagt, gesellschaftlich seien
Sportangebote in Jugendgefängnissen eher akzeptiert als
Ausbildungsangebote.
## Evaluierung des Pilotprojekts in NRW
Es gehe dabei auch um Lerneffekte innerhalb und außerhalb der Mauern.
„Fußball ist sehr beliebt unter den Jugendlichen hier“, erklärt Deininger.
„Wenn man sie über ihre Freizeitinteressen erreicht, dann hat man auch den
Schlüssel, um ihnen soziale Kompetenzen nahezubringen.“
Tobias Wrzesinski verweist in diesem Zusammenhang auf gute Ergebnisse, die
eine Evaluierung des Pilotprojekts in Nordrhein-Westfalen zum Vorschein
gebracht hätten. Veröffentlichen könne man diese jedoch nicht, sagt er,
weil das NRW-Justizministerium die sensiblen Daten unter Verschluss halten
wolle.
Eine erfolgreiche Resozialisierung zu messen ist ein komplexes und damit
auch hinterfragenswertes Unterfangen. Es lässt sich nicht viel über einen
Kamm scheren, auch wenn das bei Debatten um den Jugendstrafvollzug sehr
populär ist. Auch die Sepp-Herberger- Stiftung kommt nicht ganz ohne
populistische Elemente aus.
Oliver Kahn, den man als Paten für die Anstoß-Initiative engagiert hat, ist
es gelungen, sein auch in Buchform vorliegendes Motivationsprogramm „Du
packst es“ in das Projekt zu implementieren. Jugendlichen solle damit
geholfen werden, ihre Ziele zu verwirklichen. Ob die Schattenseiten des
Lebens, die Motivator Kahn erlebt haben will, mit denen von jugendlichen
Strafgefangenen gleichgesetzt werden können, darf zumindest bezweifelt
werden.
## Mittel sind knapp
Die Integrationskraft von Sport steht indes auch auf politischer Ebene
weitestgehend außer Frage. In einem Gesetzentwurf von 2007 für den
Jugendstrafvollzug haben sich neun Landesjustizminister aufgrund hoher
Rückfallquoten unter anderem darauf geeinigt, das Sportangebot auf zwei
Stunden pro Woche festzuschreiben. Lediglich in Bayern findet der Sport im
Strafvollzugsgesetz keine Erwähnung.
Für die Anlagen und das Personal muss allerdings entsprechend Geld
aufgewendet werden. Die Mittel und die Räumlichkeiten, um die überall
gefeilscht wird, sind äußerst knapp. So will der Berliner Fußball-Verband
seit Längerem schon ein Team der Jugendstrafanstalt in den normalen
Spielbetrieb eingliedern, wie das in Hamburg bereits seit 30 Jahren der
Fall ist.
„Wegen des Sicherheitsaufwands und des dadurch benötigten Personals ist das
aber eine sehr schwierige Angelegenheit“, erzählt Gerd Liesegang, der
Vizepräsident des BFV. Unterstützung von außen ist da stets willkommen.
Immerhin 80.000 Euro hat die Sepp-Herberger-Stiftung für ihr Projekt
eingeplant.
Im Vergleich zu den 2,5 Millionen Euro, die der rot-rote Senat in Berlin
vor gut drei Jahren investierte, um eine höchst umstrittene zusätzliche
Innenzaunanlage aufzustellen, ist das eine eher niedliche Summe. Das zwingt
zur Bescheidenheit: Eine Stunde pro Woche darf die 20-köpfige
Anstoß-Mannschaft in der Haftanstalt trainieren.
## Der Trainer ist der einzige Nichthäftling
Ihr Coach ist der 70-jährige Werner Poel, der sich bei der Vorstellung des
Projekts in der Turnhalle als einziger Nichthäftling zu seinem Team gesellt
hat. „Eine Stunde“, moniert er, „ ist doch eigentlich viel zu wenig.“ W…
die Veranstaltung genau auf den Trainingstag gelegt wurde, müssen sie diese
Woche sogar ganz darauf verzichten.
Auch wenn diese Stunde lächerlich erscheinen mag, sei sie den Insassen viel
wert, wie auch Saborowski versichert. Es ist nur ein kleiner Schritt, der
zur Überwindung der Kluft zwischen drinnen und draußen durch das Angebot
der Sepp-Herberger-Stiftung begünstigt wird. Aber Janina Deininger wirbt
dafür, auch kleine Schritte ernst zu nehmen, weil hinter ihnen, wie sie
betont, sehr viel Arbeit stecke.
11 Mar 2012
## AUTOREN
Johannes Kopp
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