# taz.de -- Debatte Postdemokratie: Tod des Fachpolitikers | |
> Die Kommunen werden entmachtet. Der Einfluss von Medien, Lobbys und | |
> Kampagnen wächst. Das gräbt der Demokratie insgesamt das Wasser ab. | |
Bild: Da wird so lange im Etat rumgeschoben, bis alles fein aussieht. Was für … | |
Was für eine Zeitverschwendung: In jedem Rathaus sitzen die ehrenamtlichen | |
Kommunalpolitiker verschiedenster Parteien zusammen und beugen sich über | |
den Haushalt. Sie streichen ein paar Ausgaben hier und ein bisschen aus dem | |
Etat dort. Dabei sind sie so emsig, als ginge es ums Ostereierfärben. Doch | |
eines können die fleißigen Kommunalpolitiker nicht verhindern: Ihre | |
Gemeinde, ihre Stadt, ihr Landkreis bleibt überschuldet und lässt sich | |
nicht aus eigener Kraft sanieren. Die Schulden wachsen. | |
Was soll’s, könnte man einwenden. Alle haben exorbitante Schulden. Nicht | |
nur die Kommunen wackeln – auch Länder, Bund und Banken. Die Gemeinden | |
haben jedoch einen Nachteil: Anders als die Banken gelten sie nicht als | |
systemrelevant und werden daher schleichend entmachtet. Doch wer denkt, die | |
lokalen Probleme der Gemeinden wären von nur lokalem Interesse, der irrt. | |
Mittlerweile ist die Entmachtung der Kommunen so weit vorangeschritten, | |
dass sich die Parteiendemokratie der Bundesrepublik Deutschland grundlegend | |
und nachhaltig verändert. Der wenig bekannte Fachpolitiker geht, | |
Pop-Politiker wie Karl-Theodor zu Guttenberg kommen. | |
Um von vorn zu beginnen: Die Entmachtung der Kommunen findet seit Langem | |
statt, da die bundesdeutsche Finanzverfassung noch nie ein striktes | |
„Konnexitätsprinzip“ gekannt hat. Das bedeutet: Bund und Länder beschlie�… | |
Steuersenkungsorgien, die die Einnahmen der Kommunen mindern, und lasten | |
ihnen gleichzeitig neue Aufgaben und Kosten auf. Der Aufschrei der | |
Gemeinden kümmert die Länder wenig oder führt zu Plänen, die die endgültige | |
Entmachtung der Kommunen vorbereiten. | |
## „Pferdesteuer“ gegen Schulden | |
In sprachlicher Analogie zur Eurokrise will beispielsweise die hessische | |
Landesregierung einen „Rettungsschirm für die kommunale Familie“ | |
aufspannen, und zwar mit dem Ziel der „Hilfe zur Selbsthilfe.“ Das Angebot: | |
Das Land Hessen würde völlig überschuldete Gemeinden von einem Teil ihrer | |
Schulden befreien. Im Gegenzug müssten sich die Kommunen verpflichten, | |
„nicht umgehend wieder in eine Schuldensituation zurückzufallen“. Also | |
überlegen Kommunen zum Beispiel, eine „Pferdesteuer“ einzuführen, um neue | |
Einnahmen zu erzielen. Als ob die wenigen Reiter die enormen Defizite in | |
den Gemeindekassen finanzieren könnten. Oder es werden freiwillige | |
Leistungen gestrichen wie der Zuschuss fürs Freibad oder die Kofinanzierung | |
eines schulischen Sozialarbeiters. Letztlich werden die Kommunen zum reinen | |
Verwaltungs- und Erfüllungsgehilfen der Landesregierungen. Als politische | |
Akteure scheiden sie aus. | |
Es ließe sich natürlich einwenden, dass mit der EU inzwischen eine neue | |
politische Ebene hinzugekommen sei, sodass man auf die unterste Stufe wohl | |
verzichten könne, ohne die gegenseitige Kontrolle der Ebenen zu mindern. | |
Doch diese Sicht blendet ein wesentliches Faktum aus: Mit der Entmachtung | |
der Kommunen nimmt die Demokratie insgesamt Schaden. | |
## Wahlbeteiligung sinkt | |
Vor Ort in den Gemeinden ist der Staat immer weniger sichtbar. Schlichte | |
Verwaltungsleistungen haben beim Bürger nicht denselben Stellenwert wie | |
Aufwendungen für das Gemeinwesen. Zusätzliche Schulangebote, die | |
Unterstützung von kulturellen Initiativen und Sportvereinen gegen den | |
Einwohnern erst das Gefühl, dass ihre Gemeinde und der Staat etwas für sie | |
tun. Wenn diese Leistungen gestrichen werden, dann dürfte der Überdruss der | |
Bürger dazu führen, dass die Wahlbeteiligung noch weiter sinkt, nicht nur | |
bei Kommunalwahlen. | |
Viel gefährlicher ist indes die schleichende Demotivation der | |
ehrenamtlichen Kommunalpolitiker. Warum sollen sie sich weiterhin | |
engagieren, wenn jeder politische Gestaltungsspielraum fehlt, sodass auch | |
ein Sparkommissar ihre Arbeit erfüllen könnte? Die Ehre allein, ein Wahlamt | |
zu bekleiden, wird nicht reichen. | |
Schon jetzt leiden die großen und auch einige der kleineren Parteien an | |
Mitgliederschwund und Überalterung. Viele politisch Interessierte | |
organisieren sich längst außerhalb der Parteien, um auf die großen | |
Entscheidungen – wie etwa über die Atomenergie – Einfluss zu nehmen. Wer | |
kümmert sich aber um die kleinen Fragen, wenn es nicht mehr die | |
Kommunalpolitiker tun? Wer stellt die Verbindung zwischen der Bundes- und | |
Landespolitik und den Bürgern her, wenn nicht die Parteibasis, die | |
Kommunalpolitiker? Wer ist dann noch bereit, auf kommunaler Ebene den | |
Wahlkampf zu machen und Menschen einzeln anzusprechen? Wahrscheinlich | |
werden dies zu wenige sein, um als das bisherige parteiendominierte | |
politische System aufrechtzuerhalten. | |
## Charisma statt Arbeit | |
Politik wird damit aber noch stärker über die Medien und zentral geplante | |
Kampagnen stattfinden. Der Typus des charismatischen Politikers, wie ihn | |
Guttenberg repräsentiert, würde dann immer bedeutsamer. Dieser Typus | |
gewinnt sein Charisma nicht mehr durch Lebenserfahrungen und | |
Lebensleistungen, wie es für viele Politiker der Kriegsgeneration zutrifft. | |
Stattdessen zählt nur noch die Fähigkeit zur medialen Inszenierung und zur | |
Vernetzung mit den Medien selbst. Ihren politischen, aber auch | |
wirtschaftlichen Interessen muss er genügen. Gefährlich wird ihm dann nicht | |
mehr das Murren der Basis, sondern der Widerspruch zwischen den politischen | |
und wirtschaftlichen Interessen der ihm verbundenen Medien. So lässt sich | |
bereits der Fall Wulff deuten. | |
Auch der Einfluss der Lobbys und politischen Organisationen jenseits der | |
Parteien wird wachsen. Sie sammeln Spenden, stützen Kampagnen, suchen sich | |
die Politiker, mit denen sich ihr Anliegen verwirklichen lässt, und | |
organisieren Demonstrationen oder Kongresse. Das geschieht bereits, doch | |
noch gibt es das Gegengewicht der Basis in den Parteien. Fällt diese weg, | |
dann wird es der Politik wie dem Tierschutz gehen. Für den medial | |
vermarktbaren Seehund wird gespendet, für den unscheinbaren, aber für ein | |
Ökosystem viel wichtigeren Hochmoorgelbling nicht. Der Spitzenpolitiker | |
wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit finden, die mangelnde Förderung | |
der Jugend vor Ort nicht. | |
12 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Herrmann | |
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