# taz.de -- Internetzugang in der Provinz: Verdurstet in der Breitbandwüste | |
> Das lahme Internet auf dem Land ist ein Problem. In Mahlsdorf geht ein | |
> Mann über die Dörfer, der für Glasfaser Überzeugungsarbeit leistet. | |
Bild: „Erleben, was verbindet“ heißt ein Slogan der Telekom. | |
SALZWEDEL taz | „Ende Januar hatte ich eine Woche kein Internet“, sagt | |
Hartmut Beierlein und lacht. Der Sarkasmus ist deutlich herauszuhören. „Man | |
wird ja als Unternehmer unglaubwürdig, wenn man tagelang keine E-Mails | |
beantwortet.“ Beierlein trägt ein apfelgrünes Firmensweatshirt. Der | |
48-Jährige besitzt in Mahlsdorf, einem 500-Seelen-Ort in der Altmark im | |
Norden Sachsen-Anhalts, eine kleine Werbefirma, die von Autobeschriftung | |
bis Briefbögen alles anbietet. Druckvorlagen, Entwürfe, Layouts schickt er | |
übers Internet, sofern er Zugang hat. | |
Hundert Kilometer von hier, hinter den endlosen Wiesen und Feldern, | |
verspricht die CeBIT in Hannover jede Menge digitalen Lifestyle, Business | |
Communication und die „Broadband World 2012“. Von Mahlsdorf aus betrachtet | |
ist Hannover ein digitaler Garten Eden, aus dem frisches Wasser im | |
Überfluss sprudelt. Bei Hartmut Beierlein kommt nichts an, er verdurstet in | |
der Breitbandwüste. | |
Was hat er nicht alles veranstaltet, um einen zuverlässigen Zugang zum | |
Internet zu bekommen. Beierlein hat eine DSL-Satellitenantenne am Giebel, | |
eine LTE-Antenne auf dem Dach, ein Mobiltelefon, einen Surfstick und einen | |
Telefonanschluss. Manchmal glaubt er selber nicht, was er gerade erzählt: | |
„Bis letztes Jahr sind die Leute hier mit’m Modem gesurft!“ Surfen ist | |
dabei wohl nicht das passende Wort. Etwa zweihundert Euro zahlt er im Monat | |
für Internetzugänge, die ihn regelmäßig im Stich lassen. Der neue | |
Mobilfunkstandard LTE ist derzeit das einzige, halbwegs funktionierende | |
System. Die Funkversorgung ist schwach. | |
„Es kostet viel Geld, Zeit und vor allem viel Nerven“, fasst Beierlein | |
zusammen. „Und es ist ein Wettbewerbsnachteil.“ Plötzlich rennt er los, | |
sucht etwas, kommt mit einem Papier zurück. „Hier!“ Als wollte die Telekom | |
Beierlein verhöhnen, legt sie zur Telefonrechnung stets den aktuellen | |
Prospekt über Highspeed-Datentarife und Business-DSL bei, Motto „Erleben, | |
was verbindet“. „Hier war zu DDR-Zeiten Ende im Gelände!“, lacht er auf … | |
schließt: „Wenn noch über Cloud Computing nachgedacht wird, dann ist hier | |
definitiv Feierabend.“ | |
## Grenzland Altmark | |
Die Altmark lag stets am Rand. Erst war sie Grenzland zu den Slawen, später | |
der westlichste Zipfel der Mark Brandenburg, in der DDR lag sie im | |
mausetoten Winkel von Sperrgebiet und Splitterminen an der innerdeutschen | |
Grenze. Jetzt ist sie der nördlichste Zipfel Sachsen-Anhalts, 39 Einwohner | |
pro Quadratkilometer. So viel Leere hat in Deutschland nur die benachbarte | |
Prignitz im Brandenburgischen zu bieten. | |
Doch wer brennt ernsthaft darauf, in Dörfern wie Mahlsdorf kilometerlange | |
Leitungen zu verlegen? Landrat Michael Ziche aus Salzwedel, der acht | |
Kilometer nördlich gelegenen Kreisstadt. „Weil Marktversagen vorliegt, | |
schaffen die Gemeinden Infrastruktur“, referiert Ziche. Der 50-Jährige | |
sitzt im Amtszimmer, hat schon über die Priorität schneller Internetzugänge | |
gesprochen und erzählt von seinem Traum: Dass die Kinder derer, die einst | |
aus der Altmark fortgezogen sind, zurückkehren werden, weil es hier eine | |
florierende Wirtschaft, gut bezahlte Jobs und vor allem schnelles Internet | |
gibt. | |
Seine Idee: Wenn es sich für die großen Netzbetreiber nicht rechnet, müssen | |
die Kommunen einspringen. Sie sollen die Grundlage für ein Glasfasernetz | |
schaffen und Leerrohre bis in jedes Haus verlegen. Diese Erdarbeiten sind | |
der teuerste Posten auf dem Weg zur Glasfaser-Technologie. „FTTH“ – Fibre | |
to the home – dieses Kürzel geht dem Landrat inzwischen genauso flink und | |
oft über die Lippen wie das Wort Zweckverband. | |
## Pacht für die Leerrohre | |
Wenn die Rohre liegen und es ausreichend Interessenten gibt – 60 Prozent | |
sollten es sein – würden sich Betreiber finden lassen, die Glasfaserkabel | |
durch die Rohre ziehen und ihre Dienste anbieten. Diese würden an die | |
Kommunen eine Pacht für die Leerrohre zahlen. Damit könnten die Kommunen | |
wiederum das Projekt finanzieren und dann hätte die Altmark Turbo-Zugang | |
zum Internet. | |
Damit nicht jede Gemeinde einzeln baggern muss, wollen die Kommunen | |
kooperieren. Noch im Frühjahr soll der „Zweckverband Breitband Altmark“ | |
gegründet werden. Wenn alles läuft, werden die ersten Altmärker im Jahr | |
2013 auf Glasfaserkabeln ins Netz surfen. Dieser Plan firmiert in der | |
Staatskanzlei in Magdeburg inzwischen als „Vorzeigeprojekt Sachsen-Anhalt“. | |
CDU-Mann Zische hat sich vom Traktoristen zum Verwaltungsfachmann, später | |
zum Kämmerer hochgearbeitet. Im Jahr 2008 wurde er zum Landrat gewählt. Nun | |
ist er außerdem der IT-Visionär des Landes. Sein Adlatus ist Axel Schulz. | |
Seit dem Herbst ist der 33-Jährige über die Dörfer gezogen und hat das | |
Projekt auf Gemeinderatssitzungen vorgestellt. Er hat dabei ein Stückchen | |
Leerrohr und Glasfaserkabel vorgezeigt, gepredigt, dass der Internetzugang | |
so wichtig ist wie Strom und Wasser, hat den Gemeinderäten die Unterschiede | |
zwischen DSL, LTE und FTTH erklärt und schließlich den Glasfaseranschluss | |
bis ins Haus als „finale Breitbandinfrastruktur“ gelobt. | |
Kosten für die gesamte Altmark – neben dem Kreis Salzwedel gehört auch der | |
Landkreis Stendal dazu – stattliche 95 Millionen Euro, vorfinanziert durch | |
Kredite und Fördermittel. Trotzdem haben nahezu alle Kommunen eine | |
„Absichtserklärung zur zukunftsfesten Breitbandversorgung“ unterzeichnet. | |
Schulz hat ganze Arbeit geleistet. | |
Und wie hat er die Ratsmitglieder, viele von ihnen im höheren Alter, für | |
das 95-Millionen-Projekt erwärmt? „Das war kein Problem“, erzählt Schulz. | |
Wer nicht selbst Internetnutzer ist, bei denen haben die Kinder und Enkel | |
die nötige Einsicht befördert. Vielleicht war Schulz auf den Dörfern auch | |
deshalb so erfolgreich, weil er kein IT-Ingenieur ist, sondern weil er eine | |
Story erzählen kann. Er hat in Schweden Ethik studiert und dort gesehen, | |
dass Breitbandnetze auch fernab der Zentren wirtschaftlich betrieben werden | |
können. | |
Für Schulz bringt einzig FTTH die Lösung. Er zeigt auf eine | |
Sachsen-Anhalt-Karte an der Wand, die die Breitbandabdeckung zeigt. | |
Überschrift: „Noch viele weiße Flecken“. | |
Das Dorf Ritze ist so ein Fleck. „Grundsätzlich ist das eine gute Idee“, | |
würdigt Ulrich Ungewickell die Pläne des Landrats. Der 67-Jährige ist | |
Ortsbürgermeister dreier Dörfer mit zusammen 500 Einwohnern. Er sitzt in | |
seinem Wohnzimmer und sucht nach lokalpolitisch korrekten Worten. | |
Natürlich, auch Ungewickell hat der Absichtserklärung zum FTTH-Ausbau | |
zugestimmt. | |
## Tägliche Internetuser sind Sonderfälle | |
Wer will schon als Blockierer dastehen? Aber wer wird noch dabei sein, wenn | |
die Verträge vorliegen? Werden dann 60 Prozent der Haushalte | |
unterschreiben? „Wer soll da mitmachen, bei der Altersstruktur?“, wirft er | |
ein. „Hat der Landrat auch gesagt, ob sich die beiden Landkreise an der | |
Finanzierung beteiligen?“ Ungewickell blickt streng. Sollen das Risiko nur | |
die Kommunen tragen? Und das kleinste seiner Dörfer, Klein Chüden, hat | |
nicht mehr als 20 Einwohner. | |
Ungewickell selbst hält sich als täglicher User eher für einen Sonderfall. | |
Einmal wollte er die Dorfchronik als PDF über Modem rausschicken. „Der | |
Rechner hat sich heißgelaufen“, berichtet er. Keine Frage, schnelles | |
Internet müsse her. Aber wie? „Man muss die Palette ausschöpfen“, sagt er | |
sibyllinisch – Glasfaser, LTE, Satelliten-DSL. Nach „finaler Lösung“ kli… | |
das nicht. | |
Und was nutzt Ungewickell selbst? „Ich habe UMTS“, sagt er und greift zum | |
Smartphone. Allerdings stehen ein paar Eichen seinem schnellen Zugang zum | |
Internet im Weg. Für einen FTTH- Vertrag wird sich Ungewickell dennoch | |
nicht erwärmen. Ein Festanschluss lohne nicht, da er vier Monate im Jahr | |
auf Achse sei. Im Frühjahr macht er sich mit seiner Frau stets nach Ungarn | |
auf den Weg. Der Caravan wartet schon vorm Haus. | |
Apropos Autobahn – die Gegend hat nicht nur mit dem Daten-Highway ein | |
Problem. Salzwedel gilt als die am weitesten von einer Autobahn entfernte | |
Stadt Deutschlands. Doch auch das ändert sich nun. Derzeit wird an einer | |
Autobahn gebuddelt, die die Altmark durchschneiden wird. | |
6 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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