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# taz.de -- Berliner Debatte ums Wahlalter: Die SPD sieht ziemlich alt aus
> Eigentlich will die SPD schon 16-Jährige wählen lassen - in Brandenburg
> hat sie das auch durchgesetzt. Doch während sich in Berlin Linke, Piraten
> und Grüne gemeinsam für mehr Mitbestimmung der Jugendlichen engagieren,
> blockieren die Sozialdemokraten
Bild: Er ist sicher schon über 18: Wähler an der Urne.
Wenn die Kleinen spielen, dass sie wie die Großen wählen gehen, gibt es Lob
von allen Seiten. Der rot-schwarze Senat hat kürzlich der bundesweiten
Kampagne „U18“ einen Preis verliehen, im September wird das sogar der neue
Bundespräsident tun, im Rahmen der Wettbewerbs „Deutschland – Land der
Ideen“. Die Idee ist ja auch hübsch: Kinder und Jugendliche dürfen ein paar
Tage vor dem eigentlichen Urnengang ihre Stimme abgeben. In Berlin haben
vor der letzten Abgeordnetenhauswahl über 26.000 mitgemacht, so viele wie
noch nie. Einige gestalteten sogar eine eigene zweistündige Wahlsendung mit
Prognosen, Hochrechnungen, Politikerinterviews. Die Sendung sei mit viel
Engagement und Professionalität gestaltet worden, lobten die
Preisverleiher.
Leider ist die Anerkennung so symbolisch wie die Wahl selbst. Wirklich
wählen dürfen die 16- und 17-Jährigen auch auf Landesebene wohl noch lange
nicht. Erst im Mai 2011 scheiterte ein Antrag der Grünen im
Abgeordnetenhaus, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken. Nun hat die
Fraktion eine neue Initiative eingebracht, gemeinsam mit Piraten und
Linkspartei. Trotz des gemeinsamen Vorgehens der Opposition: Die Aussichten
auf Erfolg sind eher noch schlechter geworden.
Zwar dürfen Jugendliche ab 16 bereits seit 2005 über die Zusammensetzung
der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) mitbestimmen. Auf Landesebene tut
sich die regierende SPD aber sehr schwer, ihnen dasselbe Mitspracherecht
einzuräumen. Als es gegen Ende der vergangenen Legislaturperiode zur
Abstimmung kam, enthielten sich die damaligen Regierungsfraktionen von SPD
und Linkspartei, obwohl es in beiden Parteien durchaus breite Zustimmung zu
dem Anliegen gibt. Bereits 2010 hatten die Berliner Sozialdemokraten auf
ihrem Landesparteitag die Absenkung des Wahlalters beschlossen.
Von der SPD über Linke und Grüne bis zu den Piraten wollen alle das
Wahlalter senken. Die Piratenpartei würde auch Siebenjährige wählen lassen
– und die Jungen Piraten halten Wählen sogar für ein Recht, das man qua
Geburt erhält. „Wir haben die kuriose Situation, dass es eine breite
Mehrheit im Abgeordnetenhaus für das Wahlrecht ab 16 gibt“, sagt Michael
Efler vom Verein Mehr Demokratie, „umgesetzt wird es trotzdem nicht.“
## Nur einvernehmlich
Denn im Parlament gelten andere Spielregeln: In der Koalitionsvereinbarung
sei festgehalten, erklärt SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres, dass CDU
und SPD eine Änderung des Wahlalters nur einvernehmlich vornehmen werden.
„Das ist die vereinbarte Linie – und die gilt natürlich“, betont Scheere…
die sich noch im vergangenen Jahr als jugendpolitische Sprecherin der
Fraktion aktiv für Wählen ab 16 einsetzte. Aller Wahrscheinlichkeit nach
wird die SPD also auch diesmal nicht ihren Parteitagsbeschluss umsetzen und
den Antrag der Opposition ablehnen.
Denn die CDU hält bundesweit am Wahlalter 18 fest. Die Liste ihrer
Argumente ist lang: Die Jugend sei mit 16 politisch noch nicht reif und
interessiere sich auch nicht sonderlich für Politik. Die Wahlbeteiligung
würde durch eine Änderung also ohnehin nicht steigen. Eher wachse die
Gefahr, dass extreme Parteien gewählt würden. Außerdem – das Hauptargument
der Christdemokraten – müssten dann auch Strafmündigkeit und
Vertragsfähigkeit schon mit 16 Jahren einsetzen.
Angesichts dieser Blockadehaltung hat auch Eflers Verein seine Lobbyarbeit
für ein herabgesetztes Wahlalter auf ein Minimum reduziert. Noch im
Frühjahr 2011 lief die Arbeit des Netzwerks „Wählen ab 16“, dem außer �…
Demokratie“ auch der Landesjugendring und das Kinderhilfswerk angehören,
auf Hochtouren: mit Flyerverteilaktionen, Gesprächen mit Politikern,
Pressekonferenzen. Nun werde das Netzwerk nur noch aufrechterhalten, sagt
Efler, größere Aktionen wie vor einem Jahr zur Debatte im Abgeordnetenhaus
seien nicht geplant: „Wenn ein Tor total vernagelt ist, macht es keinen
Sinn, darauf zu schießen.“
In Berlin verhindert die SPD die Wahl ab 16 also aus taktischen Gründen,
nebenan in Brandenburg gibt sie sich als treibende Kraft ihres
Vorzeigeprojekts. Es ist das erste Flächenland, in dem Jugendliche mit 16
Jahren politisch mitbestimmen können – seit Januar dieses Jahres. „Damit
zeigen wir, dass wir die Interessen junger Menschen ernst nehmen“, sagte
dazu jüngst der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Holzschuher.
Die Senkung des Wahlalters habe „sofort praktische Auswirkungen“, freut
sich auch die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Ursula Nonnemacher.
Die Jugendlichen könnten sich am Volksbegehren gegen Fluglärm beteiligen
und an den anstehenden Bürgermeisterwahlen. Und sie sollen auch bei einer
repräsentativen Stichprobe gefragt werden, die derzeit die
Enquetekommission zur Verwaltungsreform des Landes durchführt. Auch wenn
das wohl nicht gerade ein Thema ist, das Jugendliche brennend interessiert
– viel getan, um sie mit ihrem neuen Recht vertraut zumachen, wird auch
nicht. Die jüngsten Einträge auf der Website der Berlin-Brandenburgischen
Landesjugend „Mach’s mit 16!“, auf die Nonnemacher lobend verweist, stamm…
aus dem Jahr 2004.
Die Grünen-Politikerin hält jedoch Informationspolitik nicht für
entscheidend. Wählen mit 16 sei ein Angebot. „Wenn die Jugendlichen es
nicht in Anspruch nehmen, ist es auch okay.“ Nur müssen sie von diesem
Angebot erst mal überhaupt wissen.
Ein Blick nach Bremen zeigt, was gute Vorbereitung bewirken kann. Der
Stadtstaat hat als erstes Bundesland das Wahlrecht ab 16 eingeführt. Im
vergangenen Sommer durften die Jugendlichen hier erstmals die Bürgerschaft
mitwählen. Und sie nutzten ihr neues Recht. Die Gruppe habe sich „sofort
ans Niveau der Wahlbeteiligung der 18- bis 20-Jährigen angepasst“, so
Landeswahlleiter Jürgen Wayand. Während in Bremen die allgemeine
Wahlbeteiligung um 3,5 Prozent sank, stieg sie bei den 16- bis 21-Jährigen
um 0,7 Prozent.
Wayand sieht einen Grund dafür in den vielen Kampagnen, die es im Vorfeld
für die Jüngstwähler gegeben hatte. Und das sei für ihn auch die
entscheidende Lehre: „Es reicht nicht aus, das Wahlalter herabzusetzen und
die Jugendlichen aufzufordern, wählen zu gehen, findet er. „Sie müssen
aktiv dahin geführt werden.“ In den Schulen sei viel Arbeit und Engagement
der Lehrkräfte nötig gewesen. „Es gab in Bremen am Ende keinen
Jugendlichen, der das neue Wahlrecht nicht mitbekommen hat.“ Für Wayand ist
diese Art der politischen Bildung eine Investition in die Zukunft. „Wenn
die Erstwähler sehr früh an Wahlen herangeführt werden“, sagt er, „kann …
eine Chance sein, dass die Wahlbeteiligung längerfristig wieder steigt.“
Doch selbst wenn die Jugendlichen künftig von ihrem Wahlrecht weniger
Gebrauch machen würden, sei ein Absenken des Wahlalters gerechtfertigt,
meint Ursula Nonnemacher: „In einer Demokratie muss man auch nicht wählen
gehen dürfen.“ Dem würde auch Michael Efler zustimmen. Dennoch hofft er,
dass sich Brandenburg um seine Jungwähler kümmert und sie vorbereitet. „Das
würde verdeutlichen, dass das Thema für die Regierung keine Eintagsfliege
ist.“
13 Mar 2012
## AUTOREN
Grit Weirauch
## TAGS
SPD
Wahlrecht
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