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# taz.de -- Schulgesetz zur Inklusion: Abschulung für alle
> In Niedersachsen ist Schulen künftig erlaubt, Kinder bei
> Kindeswohlgefährdung auf eine andere Schulform zu schicken. Nun fürchten
> die Grünen, Gymnasien könnten auf diesem Wege schwache Schüler loswerden.
Bild: Der Rollstuhl steht mit am Tisch: gemeinsames Lernen in der Grundschule.
HAMBURG taz | Das neue Schulgesetz zur Inklusion behinderter Kinder in
Niedersachsen wird am Dienstag nächster Woche verabschiedet – auch mit
Stimmen der oppositionellen SPD. Die hatte sich mit der Regierungskoalition
aus CDU und FDP auf einen Entwurf verständigt, weil auch die
Betroffenenverbände eine überparteiliche Regelung wünschten. Nach
Auffassung der Grünen sind die Kröten, die ihr potentieller
Koalitionspartner hier schluckt, allerdings arg zu groß. „Das Gesetz ist
für uns so nicht zustimmungsfähig“, sagt die Grünen-Schulpolitikerin Ina
Korter.
Sie stößt sich vor allem an den Paragrafen 59 und 69, die den Kerngedanken
der Inklusion wieder zurücknähmen: Eigentlich sollen die Eltern der Kinder
entscheiden dürfen, ob ihr Kind auf eine allgemeine Schule oder auf eine
Sonderschule geht.
Im ursprünglichen Gesetzentwurf von CDU und FDP war dies eingeschränkt
worden. Ein Kind sollte demnach an eine Förderschule abgeschult werden,
wenn es durch seine Behinderung Menschen gefährdet oder den Schulbetrieb
„nachhaltig stört“. Die seit 2009 auch für Deutschland rechtsgültige
UN-Behindertenkonvention dagegen verlangt von den Schulen, sich auf die zu
beschulenden Kinder einzustellen.
Darüber hat die SPD wochenlang mit den Regierungsfraktionen verhandelt.
Herausgekommen sei, sagt Ina Korter, lediglich eine Verschlimmbesserung:
Die Paragrafen wurden umformuliert. Nun ist nicht mehr explizit von
behinderten Kindern die Rede, sondern davon, dass ein Kind abgeschult
werden kann, wenn „sein Kindeswohl den Schulwechsel erfordert“.
Eine solche Option gab es bisher nicht. Auch die Ordnungsmaßnahmen bei
Fehlverhalten sahen bisher allenfalls einen Wechsel der Schule, nicht aber
der Schulform vor. Auch aus Leistungsgründen können Kinder bislang
beispielsweise nur dann vom Gymnasium verwiesen werden, wenn sie zweimal
nacheinander sitzenblieben.
„Hier wird das Elternwahlrecht extrem eingeschränkt“, sagt Korter. Der
Begriff sei schwammig, sagt sie: „Wer definiert, was Kindeswohl ist?“ Es
sei schon immer das Ziel von CDU und FDP gewesen, einen Weg zu finden, um
Kinder ohne Gymnasialempfehlung abzuschulen, sagt die Abgeordnete. Dabei
gebe es durchaus viele, die trotzdem das Abitur schaffen.
„Sehr problematisch“ findet die Sache auch der Vorsitzende des
niedersächsischen Landeselternrats, Pascal Zimmer. Ihn stört, dass nur
Schule und Schulbehörde die Entscheidung über die Kinder treffen sollen.
„Da ist der Draht zu kurz“, sagt Zimmer. Notwendig sei ein externes Gremium
mit Kinderpsychologen als Korrektiv. „Wenn Lehrer das entscheiden, ist das
Kind schneller weg als man es merken kann.“
Man habe sich in den Verhandlungen gegen CDU und FDP nicht durchgesetzt,
räumt SPD-Schulpolitikerin Frauke Heiligenstadt ein. „Wir sind wie die
Grünen gegen jegliche Abschulung. Der Satz ’Du gehörst nicht auf diese
Schule‘ muss der Vergangenheit angehören.“
Immerhin seien aber der entsprechende Gesetzesparagraf so modifiziert und
die Hürden derart erhöht worden, dass dies nur noch die „ultima Ratio“ se…
so Heiligenstädt: Abschulung sei nur noch möglich, wenn trotz Beachtung der
Anforderungen an eine Inklusive Schule das Kindeswohl gefährdet sei. Der
Kompromiss sei der SPD wichtig gewesen, damit sich die Umsetzung der
Inklusion nicht bis nach der Landtagswahl 2013 verzögere.
Außerdem habe sie andere Verbesserungen erreicht, beispielweise einen
Rechtsanspruch auf inklusive Beschulung und kleinere Klassen: „Sollte der
Paragraf 59 als Abschulungsquelle missbraucht werden, dann muss man auch da
nachsteuern.“ Korter fragt sich angesichts dessen, „warum die SPD so etwas
erst mitträgt“.
„Frau Korter vermutet immer das schlechteste“, sagt der CDU-Abgeordnete
Karl-Heinz Klare. Die Behinderten würden im Gesetz nicht mehr explizit
erwähnt, weil die SPD dies diskriminierend gefunden habe. Gemeint seien
aber solche Fälle: „Wenn ein Kind mit Down-Syndrom aufs Gymnasium kommt“,
so Klare, „und es passt alles nicht.“
15 Mar 2012
## AUTOREN
Kaija Kutter
## TAGS
Inklusion
Inklusion
US-Senat
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