# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Die goldene All-Stars-Regel | |
> Kritische Schuhpaarforschung in Leipzig: Chucks sind wie Plumpsklos auf | |
> halber Treppe ohne Penicillin und Tiefkühlspinat. | |
Die Sonne kam raus, und unbedarft, wie ich bin, entschied ich mich, mal | |
nicht die Winterstiefel zu tragen, sondern, oh Frühling, in meine Chucks zu | |
schlüpfen. Wobei mir das Schlüpfen und das Schnüren nach drei Monaten immer | |
nur Reißverschlusshochziehen gar nicht leicht fiel. | |
Gut, ich zwängte meinen zarten Fuß in ein Paar Chucks, auch All Stars oder | |
Cons genannt, und marschierte los zur Buchmesse in Leipzig. Und hatte so | |
die goldene All-Stars-Regel vergessen: Man muss sie, egal wie alt sie sind, | |
jedes Jahr aufs Neue einlaufen. Oder eher gesagt: Man muss den Fuß zaghaft | |
an diese Schuhe wiedergewöhnen. Denn leider wurden diese praktisch | |
wirkenden Freizeitschuhe vor den Hochzeiten der Orthopädie erfunden. | |
Damals hatte man gerade aufgehört, sich Blutegel an den Körper zu kleben. | |
Es gab kein Penicillin, keinen vorportionierten Tiefkühlspinat, keine | |
Ferienflieger mit On-Board-Entertainmentprogramm, es waren finstere Zeiten. | |
Man konnte froh sein, wenn man ein Plumpsklo auf halber Treppe hatte. Oder | |
ein Paar schnieke amerikanische Basketballschuhe, da machte es nichts, wenn | |
sie ohne Fußbett geliefert wurden. | |
Ich kann den ganzen Tag lang in hochhackigen Schuhen herumlaufen und abends | |
noch ein anderes, noch höheres Paar anziehen. Ich kann eine Stunde lang | |
durch Berlin joggen, ohne danach meine Füße in ein sprudelndes Kneipp-Bad | |
stecken zu wollen. Ich kann über einen heißen Strand laufen, geht alles. | |
Aber nach nur einem halben Tag in Chucks fühle ich mich abgeschlagen wie | |
ein Himalaja-Besteiger ohne Sauerstoffmaske. | |
Schon im Zug von Berlin nach Leipzig merkte ich, wie meine Zehen beim | |
Wackeln weniger Platz hatten. Nach zwei Stunden spürte ich deutlich die | |
Nähte meiner Hello-Kitty-Socken am rechten kleinen Zeh. Am taz-Stand bekam | |
ich glücklicherweise einen Sitzplatz. Während Christiane Rösinger auf der | |
Bühne lustige Geschichten erzählte, wackelte ich mit den geschwollenen | |
Füßen. | |
Mir kam der Gedanken, dass ich mein Leben von nun an der kritischen | |
Schuhpaarforschung widmen könnte. Zunächst könnte ich all diejenigen | |
betrachten, die den inneren Drang verspüren, Chucks immer anziehen zu | |
wollen. Zur Jeans, was noch okay ist, aber auch zu Jeansröcken, Chinos, zu | |
Leggings und sogar zu Hosenanzügen. Wenn ich die beobachtete, an denen die | |
Rückkehr der Ballerinas vorbeigegangen ist, wie eigentlich jede Mode der | |
letzten Jahre. | |
Ich müsste mich nur selbst untersuchen und hätte eine prima Wissenschaft | |
erfunden. Solange ich unabhängig wäre und mich nicht von Prada oder Zalando | |
kaufen ließe. Über Reebok würde ich nie etwas schreiben dürfen, die haben | |
mir nämlich einmal nach einer Kolumne ein paar Poformschuhe geschenkt, die | |
ich aber nie trage. | |
Als ich wieder zu Hause in Berlin auf meine Sushi-Bestellung wartete, | |
fühlte ich mich, als habe mir eines dieser zahlreichen verkleideten und | |
wild frisierten Wesen in den Messehallen die Haare mit einem feinen Kamm | |
und viel Lack hochtoupiert. Meine erste Tat als kritische | |
Schuhpaarforscherin würde sein, eine eindringliche Warnung auszusprechen. | |
„Tragt keine Chucks.“ | |
20 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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