# taz.de -- Kolumne Habseligkeiten: Laufsocken, runtergesetzt | |
> Schuhbaum, Holzangelspiel, Tchiboritis Vulgaris und natürlich Nossa, | |
> Nossa. An einem Tchibo-Geschäft vorbeilaufen, ohne hineinzugehen, geht | |
> nicht. | |
Beinahe hätte ich diesen weißen Gartentisch mit den passenden Stühlen nach | |
Ansicht im Internet gekauft. Nicht, weil ich diese Outdoor-Möbel unbedingt | |
und sofort brauchte. Sondern weil ich an einer schweren und meiner Meinung | |
nach vererbten Krankheit (Sorry, Mama) leide, die vor allem Frauen aus der | |
deutschen Mittelschicht befällt: die Tchiboritis vulgaris. | |
Ich kann, vor allem seitdem ich Kinder habe, nicht an einem Tchibo-Geschäft | |
vorbeilaufen, ohne das Bedürfnis zu verspüren, hineinzugehen. Ich kann | |
nicht in ein solches Geschäft gehen, ohne etwas von diesen Dingen kaufen zu | |
wollen, die dort präsentiert werden. Und ich kann dort nichts kaufen, ohne | |
zu denken, dass der Kauf des Schuhbaums/des Holzangelspiels/des | |
Pullovertrockners mein Leben einfacher machen wird. | |
Ich bin nicht die einzige, die unter dieser Krankheit leidet. Eine | |
Kollegin, die sich stets für Underdogs einsetzt und keinem Kampf aus dem | |
Weg geht, muss regelmäßig, also mindestens einmal am Tag, auf der | |
Tchibo-Webseite nachsehen, was es Neues gibt. Weil sie weiß, dass ich an | |
der gleichen Störung leide wie sie, flüstert sie mir, wenn sie an meinem | |
Tisch vorbei läuft zu „Laufsocken. Runtergesetzt.“ | |
Man müsste meine Hände schon anketten, damit ich nicht nachsehe, ob diese | |
Socken etwas für mich wären. Vielleicht könnte ich schneller oder | |
entspannter laufen, wenn ich sie hätte? Oder andersherum: Wer weiß, ob | |
meine Leistung ohne diese Socken nicht komplett einbricht! Dann wäre es der | |
reine Wahnsinn, sie einfach unter dem großen, roten „SALE“-Schild liegen zu | |
lassen! | |
Meine Nachbarin ist promovierte Psychologin, seit Jahren unterzieht sie | |
sich einer Psychoanalyse. Vieles hat sich seitdem in ihrem Leben zum Guten | |
gewandt. Sie bändelt nicht mehr mit den falschen Männern an, sie schreit | |
beim Autofahren weniger herum, sie reibt sich im Job nicht mehr auf. Doch | |
die Tchiboritis wird sie einfach nicht los. Dauernd klingelt der Paketbote | |
und deponiert neue Kartons mit elektrischen Milchaufschäumern, bunten | |
Jumbobechern und weißen Hochglanz-Badezimmerschränken bei uns, die sie | |
abends freudestrahlend abholt. | |
Von dem ganzen Geld, das ich dem gierigen Drachen Tchibo in den Rachen | |
werfe, könnte ich mir hin und wieder etwas Hübsches bei Manufactum kaufen. | |
Tue ich aber nicht, weil mich jedes Mal ein Tunnelblick überkommt, wenn ich | |
einen Handstaubsauger mit Akku sehe oder eine Küchenlampe, die man einfach | |
in eine Steckdose setzen kann. Dass der Elektroplan unserer Altbauwohnung | |
nur so wenige Anschlüsse vorsieht, dass Spül- und Waschmaschine nicht | |
gleichzeitig laufen können, übersehe ich, wenn mich der Kaufimpuls packt. | |
Auf den Tisch habe ich verzichten können. Der Sommer, überlegte ich, wird | |
auch ohne biedere Gartenmöbel schlimm genug. Wochenlang wird einem aus | |
allen Ecken und Winkeln und vor allem bei jedem Tor, das während der | |
Fußball-Europameisterschaft fällt, „Nossa, nossa“ entgegenschallen, da | |
bleibt man besser drin. Wenn ich doch mal rausmöchte, stelle ich einfach | |
einen ganz alten Stuhl auf die Terrasse. | |
4 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Natalie Tenberg | |
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