# taz.de -- Nach dem Attentat in Toulouse: Die Verwirrung nach dem Schuss | |
> Der mutmaßliche Attentäter von Toulouse ist tot – die französische | |
> Polizei wird für den Einsatz kritisiert. Die Politiker streiten derweil | |
> weiter. | |
Bild: Eigentlich sollte verhindert werden, dass Mohamed Mera zum Märtyrer wird. | |
PARIS taz | Der Nervenkrieg in Toulouse ist vorbei, der mutmaßliche Mörder | |
von sieben Menschen tot. Laut Polizeiangaben stürzte der 23-jährige Mohamed | |
Merah von einem Kopfschuss tödlich getroffen aus dem Badezimmerfenster des | |
umstellten Mehrfamilienhauses. Nach mehr als 30 Stunden endete damit die | |
Jagd auf den mutmaßlichen Täter – anders als geplant. Denn die Eliteeinheit | |
der französischen Polizei Raid wollte vermeiden, Merah durch dessen Tod zum | |
Märtyrer zu machen. | |
In Frankreich wird daher Kritik am Einsatz laut. Der Raid wird vorgeworfen, | |
dass es ihr nicht gelungen sei, einen einzelnen Mann lebend gefangen zu | |
nehmen. Unklar ist zudem, wie es dem Attentäter gelingen konnte, sich | |
derart viele Waffen zu beschaffen, ohne dass der Nachrichtendienst DCRI | |
davon etwas gemerkt hat. | |
Der vorbestrafte Merah war seit Jahren vom Geheimdienst beobachtet worden, | |
weil er zu den Taliban in Afghanistan gereist war. Nach einer letzten Reise | |
nach Pakistan war Merah noch im November 2011 verhört worden. Dabei war es | |
ihm geklungen, mit Fotos glaubhaft zu machen, dass er als Tourist dort | |
gewesen sei. | |
Während der über 30-stündigen Belagerung seiner Wohnung hatte sich Merah | |
dann laut Aussagen der Polizei nicht nur zu der Ermordung von insgesamt | |
sieben Menschen bekannt. Er hatte sich auch auf das islamistische | |
Terrornetzwerk al-Qaida berufen. Aktuell aber habe er allein gehandelt. | |
## a-Qaida-nahe Gruppe bekennt sich | |
Am Donnerstagabend wurde dann bekannt, dass die al-Qaida-nahe Organisation | |
Dschund al-Chilafah (Die Soldaten des Kalifats) behauptet, hinter der | |
Mordserie zu stecken. Sie sei für die tödlichen Angriffe von Mohamed Merah | |
auf Soldaten sowie jüdische Schulkinder und ihren Lehrer verantwortlich, | |
hieß es in einem Bekennerschreiben im Internet. Zuvor kursierte das | |
Gerücht, Merah sei Mitglied der im Februar verbotenen | |
radikal-islamistischen Gruppierung Forsane Alizza. | |
Aufgrund der eventuellen Unterstützung durch Angehörige wird auch eine Form | |
eines „Familien-Terrornetzwerks“ erörtert. Mohamed Merahs älterer Bruder | |
Abdelkader war am Mittwoch zusammen mit seiner Mutter und seiner Freundin | |
festgenommen worden. In seiner Wohnung und in seinem Auto wurden angeblich | |
Waffen und Sprengstoff gefunden. Er soll im Unterschied zu seinem weniger | |
auffälligen jüngeren Bruder offen fundamentalistische religiöse Ideen | |
verteidigt haben. | |
In der bretonischen Zeitung Le Télégramme meldete sich indes eine ehemalige | |
Nachbarin aus Toulouse zu Wort. Sie habe 2010 zweimal vergeblich gegen | |
Mohamed Merah bei der Polizei Anzeige erstattet, weil dieser ihren Sohn und | |
andere Jungen im Quartier Les Izards mit Al-Qaida-Propagandafilmen | |
indoktrinieren wollte. Merah habe sie und ihre Tochter deswegen mit einem | |
Säbel bedroht. Wie ihr Anwalt bezeugen könne, sei auch ihre Klage wegen | |
dieser handfesten Bedrohung nicht ernst genommen worden. | |
## Pistole im Handschuhfach | |
Frühere Bekannte sagen, Merah sei oft sehr reizbar gewesen und rasch | |
gewalttätig geworden. Er habe ihnen Angst gemacht, weil im Handschuhfach | |
seines Autos immer eine Pistole lag. | |
Staatspräsident Nicolas Sarkozy versprach am Donnerstag, die offenen Fragen | |
offensiv anzugehen. Es werde jetzt als Erstes untersucht, ob Merah nicht | |
doch Komplizen hatte. Vor allem aber kündigte Sarkozy eine Reihe von | |
Gesetzesverschärfungen an. So forderte der um seine Wiederwahl kämpfende | |
konservative Politiker neue Maßnahmen im Kampf gegen radikale Islamisten. | |
Wer zum Beispiel regelmäßig Internetseiten besuche, auf denen | |
terroristische Gewalt verherrlicht wird, müsse bestraft werden. Schon bloße | |
Kontakte zu terroristischen Gruppen in bestimmten Staaten sollen strafbar | |
werden. Außerdem sei es nicht zu akzeptieren, dass gewisse | |
Gefängnisabteilungen in Frankreich zu eigentlichen | |
„Indoktrinierungszentren“ fanatischer Islamisten würden. | |
## Sarkozy warnt vor Pauschalisierungen | |
Zugleich warnte der Staatschef die Franzosen einmal mehr vor einer | |
Vermischung von Islam und Terrorismus: Die muslimischen Mitbürger seien in | |
keiner Weise verantwortlich für den Wahn dieses Terroristen. Frankreich sei | |
während dieser schweren Prüfung geeint geblieben. | |
Eine halbe Stunde zuvor hatte auch der Kandidat der Linken für die | |
Präsidentschaftswahl am 22. April, François Hollande, vor der Presse | |
Stellung bezogen. Er ließ sich jedoch nicht auf eine Auseinandersetzung mit | |
dem Präsidenten ein. Zwietracht und Polemik ließen aber nicht lang auf sich | |
warten. Marine Le Pen, Präsidentschaftskandidatin des rechtsextremen Front | |
National, warf der Staatsführung vor, sie habe „die Gefahr unterschätzt“, | |
die von „politisch-religiösen Gruppen“ und namentlich vom islamischen | |
Fundamentalismus ausgehe. | |
Sie hoffe, dass jetzt die Themen, welche ihr zufolge die Franzosen am | |
meisten berührten, ins Zentrum des Wahlkampfes rücken: die Einwanderung und | |
der Islam. Zudem bekräftigte sie die alte Forderung des Front National nach | |
einer Wiedereinführung der Todesstrafe. | |
Der Zentrumskandidat François Bayrou will, dass der Frage nach der | |
Finanzierung von Reisen, Waffen und Lebensunterhalt nachgegangen wird. | |
Einig waren sich die KandidatInnen der verschiedenen Parteien nur in einem | |
Punkt. Sie beschuldigen sich gegenseitig, in „schändlicher Weise“ die | |
Tragödie von Toulouse instrumentalisiert zu haben. | |
22 Mar 2012 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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