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# taz.de -- Medikamentöse HIV-Prävention: Die „Pille davor“
> Um sich bei riskantem Sex vor dem Virus zu schützen, werden
> HIV-Medikamente vorsorglich eingenommen. Für den Massen-einsatz sind die
> Präperate viel zu teuer.
Bild: Die „Pille davor“ verhindert mit Hilfe von Proteaseinhibitoren, dass …
„Aids kriegt man nicht, Aids holt man sich, das weiß doch die ganze
Schwulen-szene!“, ruft Xavier X.*, selbst kerngesund und mit über 50 Jahren
schon ein Berliner Urgestein in diesem Ambiente. „Für den Schutz vor HIV
sind immer alle Beteiligten verantwortlich, nicht nur HIV-Positive“, meint
er und freut sich deshalb über ein aktuelles Positionspapier der Deutschen
Aids-Hilfe mit dem Titel „Keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV!“.
Darin fordert der Dachverband der Aidshilfen in Deutschland die Abschaffung
der Strafbarkeit sexueller Handlungen, bei denen HIV übertragen worden ist
oder hätte übertragen werden können („HIV-Exposition“). Außer der anony…
Meldepflicht gibt es bei uns keine Extragesetze für den Umgang mit der
Infektion.
Wer aber positiv getestet ist, kann wegen Geschlechtsverkehrs ohne
Präservativ mit einer bis dato nicht infizierten und zudem von ihm nicht
vorgewarnten Person verurteilt werden – wegen gefährlicher Körperverletzung
oder wenigstens wegen des Versuchs dazu, je nachdem, ob es zu einer
Infektion kam oder nicht.
Fälle, in denen die Weitergabe einer anderen sexuell übertragbaren
Krankheit als Körperverletzung gewertet wurde, sind nicht bekannt. Die
Deutsche Aids-Hilfe konnte ihre neue Position zur Rechtspraxis allerdings
erst vor dem Hintergrund neuer Statistiken formulieren. Dank immer besserer
Medikamente ist jeder Vierte von den etwa 70.000 HIV-Positiven in der
Bundesrepublik mittlerweile älter als 50 Jahre.
## Gensenkte Viruslast
Fast zwei Drittel der Infizierten sind berufstätig, die meisten sterben
nicht mehr an den klassischen Aids-Folgen, wie etwa schweren
Lungenentzündungen, sondern an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wegen der
ständigen Therapien ist die Krankheit auch in diesen Fällen kein
Zuckerschlecken. Immerhin: Sogenannte antiretrovirale Medikamente senken
oft die Viruslast eines Infizierten derart, dass die Ansteckungsgefahr
durch ihn nicht höher ist, als benutze er ein Kondom.
Deshalb fordert die Deutsche Aids-Hilfe: „Lassen sich im Blut eines
HIV-positiven Menschen dauerhaft keine HI-Viren mehr nachweisen, hat er
damit faktisch für den Schutz des Partners gesorgt.“ Auch die „Pille davor…
drängt sich seit Sommer 2011 in die Schlagzeilen. Sogenannte
Proteaseinhibitoren hindern das Virus daran, die zu seiner Vermehrung
notwendigen Proteine zu bilden.
Nichtinfizierte können sich mit ihnen einen zu etwa 70 Prozent wirksamen
chemischen Schutzschild aufbauen, bevor sie sich in Situationen begeben, in
denen sie befürchten – oder hoffen –, die Kontrolle zu verlieren. Die
Einnahme muss aber wegen möglicher Nebenwirkungen ständig überwacht werden,
und die Medikamente sind heute für den Masseneinsatz als Prophylaxe viel zu
teuer.
Wer dies ausprobieren möchte, muss sich beeilen, denn das Zeitfenster für
die Wirksamkeit dieser Medikamente ist voraussichtlich begrenzt. Denn es
sind schon die ersten Viren gefunden worden, die gegen diese Mittel
resistent sind. Aber auch die medizinische Forschung wird diesen
eingeschlagenen Weg weitergehen.
## Selbstschutz ist die einzig wirksame Prophylaxe
Eine Postexpositionsprophylaxe bewirken „Pillen danach“, die Kombination
aus zwei sogenannten Nukleosidanaloga und wieder einem HIV-Proteasehemmer –
für weniger Glückliche, die sich unversehens ins kondomlose Getümmel
stürzten oder denen ein Präservativ platzte. Zur Sicherheit sollten sie
sich spätestens 72 Stunden hinterher beim Arzt melden und müssen sich zwei
Monate lang behandeln lassen.
Den Selbstschutz hält die Deutsche Aids-Hilfe für die einzig wirksame
Prophylaxe. Dazu lässt sich ergänzen, für Nichtreiche und
NichtteilnehmerInnen an medizinischen Studien führt dabei um das
Präservativ kein Weg herum. Zumal HIV-Infektionen oft im Schlepptau anderer
sexuell übertragbarer Krankheiten wie Chlamydien, Syphilis und Gonorrhoe
ihren Weg in den menschlichen Körper finden. Last not least kommt es zu
etwa 70 Prozent aller HIV-Ansteckungen in Situationen, in denen beide
Beteilige nicht wissen, dass sie infiziert sind.
Durch ihre Thesen hat die Deutsche Aids-Hilfe einen wichtigen Schritt zur
Enttabuisierung von Sexualität und HIV getan. Doch leidet ihr neues
Positionspapier stellenweise unter Vereinfachung seiner Autoren. Den nicht
völlig unmöglichen Fall, dass eine Person über ihren HIV-Status absichtlich
lügt, würdigen diese kaum.
„Der grundsätzliche Vorsatz beim Sex ist aber nicht die Schädigung des
Gegenübers, sondern die Lustsuche (gegebenenfalls kommt eine Fülle weiterer
Motive hinzu, zum Beispiel ein Kinderwunsch oder der Wunsch nach Nähe)“,
heißt es anderswo. Für total abwegig halten die Verfasser, dass sich manche
Menschen vielleicht selbst schädigen möchten.
## Sex als Streben nach Macht
Weil die Wahrheit nicht immer wahrscheinlich ist, erinnert sich Xavier X.:
„Ich kannte da vor Jahren ein Freundespaar, wo der eine HIV-positiv war und
der andere es aus Solidarität unbedingt auch werden wollte. Da sein Partner
keinen ungeschützten Verkehr zuließ, hat der sich seine Infektion dann
woanders geholt.“
Und die Heteros? „Das gibt es doch auch“, sinniert X.: „Wenn sich Freier …
ein gewisses Rotlichtmilieu begeben, weil sie so stark stark nach dem
Adrenalinkick dürsten. Die gehen dann in Situationen rein, wo sie es
riskieren, sich beklauen zu lassen, sich zusammenschlagen zu lassen.“
Wenn schließlich Sex nicht so häufig mit dem Streben nach Macht verbunden
wäre, mit der Sehnsucht, sich ohne Kontrolle auszuliefern, oder mit dem
Wunsch nach Rache am anderen Geschlecht, dann wäre die Weltliteratur nur
halb so spannend.
* Name geändert
30 Mar 2012
## AUTOREN
Barbara Kerneck
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