Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- HIV-Prävention in Kuba: Tücken eines Modellprogramms
> Von den Vereinten Nationen gelobt, aber mit unsicherer Zukunft: Kubas
> HIV-Präventionspolitik galt lange als Erfolgsmodell - doch die
> Finanzierung wird schwieriger.
Bild: "Wir müssen die Risikogruppen besser erreichen": Party am Gay-Strand "Mi…
HAVANNA taz | "Ich nehme meine Medikamente, lebe in einer festen Beziehung
und mein Partner weiß, dass ich positiv bin", erklärt Imperio. Das ist der
Künstlername eines der bekannten Travestiekünstler Kubas. Jeden zweiten
Abend steht der athletisch gebaute 38-jährige Student auf einer Bühne in
Havanna. In Frauenkleider intoniert er dann mit großer Geste Perlen der
Popmusik. Internationale Evergreens genauso wie den einen oder anderen
Bolero kubanischer Prägung.
Imperio ist eine bekannte Nummer in Havannas quicklebendiger Schwulenszene.
Private Locations gibt es genauso wie kleine staatliche Cafés, wo sich am
Mittwoch die Rap-Szene ein Stelldichein gibt und einen Tag später die Drag
Queens der kubanischen Hauptstadt die Bühne bevölkern. Imperio ist in aller
Regel dabei und geht offen mit der Infektion um.
"Das ist in Kuba vollkommen normal, und genauso wie andere Schwule auch
warne ich in meinem Umfeld vor der Infektion", erklärt der attraktive Mann
mit den kurz geschorenen Haaren und den goldenen Kreolen in den
Ohrläppchen.
Imperio, der mit bürgerlichem Namen Abraham heißt, studiert Kunst an der
Universität von Havanna, verdient seinen Lebensunterhalt als Drag Queen und
engagiert sich in der kubanischen Schwulenszene. Kein Einzelfall, denn in
Kubas "Centro de Prevención de SIDA/VIH", dem nationalen
HIV-Präventionszentrum, engagieren sich viele Künstler und bekennende
Homosexuelle, so deren Direktorin Rosaida Ochoa.
Die koordiniert die Arbeit an dem Zentrum im Stadtteil Vedado. Graffiti mit
der roten Aids-Schleife schmücken die Gartenmauer der prächtigen alten
Gründerzeitvilla. Die ist nur ein paar Straßenblocks von der 23. Straße,
auch La Rampa genannt, entfernt.
## Erfolgsmodell für die ganze Region
In leuchtenden Farben wird hier für Prävention geworben. Kondome schweben
über Liebespaaren, die sich tief in die Augen blicken. Vorbeugung ist die
Devise, die auch in dicken Lettern auf den gebastelten Informationstafeln
im Eingang zum Aids-Beratungszentrum prangt. Kaum ein Tag vergeht, an dem
nicht Schulklassen in die Villa im Stadtteil Vedado von den Spezialisten
über Infektionsrisiken aufgeklärt werden. Ein Holzphallus und eine Tüte mit
Kondomen liegen auf dem Tisch im Schulungsraum der Psychologen. Der ist mit
bunten Tafeln dekoriert, auf denen die Infektionsrisiken veranschaulicht
sind.
Ärzte, Psychologen, Soziologen und Krankenschwestern gehören zum Team im
nationalen Präventionszentrum, dass in jedem der 16 Provinzen eine
Dependance hat. "Die soll als Anlaufstelle fungieren und die nationalen
Kampagnen auf die lokale Ebene herunterbrechen", erklärt Rosaida Ochoa die
Idee.
Die hat in der Vergangenheit so gut funktioniert, dass Kuba nach 1993 zum
Erfolgsmodell für die ganze Region wurde. Zuvor hatte man, so schreibt der
kubanische HIV-Spezialist Jorge Pérez, die Infizierten in Sanatorien
kaserniert. Ein schwerer Fehler, so der Spezialist für
Infektionskrankheiten, der als Koryphäe auf dem Gebiet gilt und am derzeit
geltenden Präventionsmodell genauso wie Spezialisten von Ärzte ohne Grenzen
oder der Vereinten Nationen mitgearbeitet haben.
Aufsuchende Präventionsarbeit ist dabei ein Trumpf der Kubaner, die mit dem
"Carrito por la Vida", dem Wagen für das Leben, in abgelegenen Stadtteilen
Präsenz zeigen, aber auch immer wieder mit Radio-Jingles und TV-Spots auf
sich aufmerksam machen. Musiker wie der Liedermacher Pablo Milanes konnten
in der Vergangenheit für Kampagnen gewonnen werden, aber in den letzten
Jahren scheint das Konzept doch an Zugkraft verloren zu haben.
## "Wir müssen die Risikogruppen besser erreichen"
Steigende Infektionszahlen in den letzten Jahren belegen das. Von den
14.038 HIV-Positiven, die von 1986 bis Ende 2010 auf der Insel registriert
wurden, sind 1.821 im Laufe des Jahres 2010 dazugekommen. 2007 waren es im
gleichen Zeitraum nur 1.200 neue Fälle, 2008 waren es 1.351 und 2009 sogar
1.562. Ein Anstieg der Infektionsquote, die den HIV-Spezialisten auf der
Insel große Sorgen macht.
Zwar deckt sich diese Tendenz auch mit den internationalen Erfahrungen
angesichts von verbesserten Medikamenten, die ein Leben mit Aids
ermöglichen, aber Kubas Gesundheitssystem ächzt unter den steigenden
Kosten. Zwar wird das Gros der retroviralen Präparate kubanischen Infos
zufolge auf der Insel hergestellt, aber mit jedem und jeder
Infektionskranken steigen die Kosten. Und Geld ist in Kuba knapp, wie die
Sparappelle des Staatschefs und die erst im März gestoppte Entlassung von
einer halben Million Staatsbediensteter hinlänglich gezeigt haben.
Spezielle Zuschläge und Unterstützungen sollen, so hat es der Staatschef
gefordert, gekappt werden. Ob das auch für die Unterstützung für Aidskranke
gilt, ist nicht ganz klar. Sicher ist aber, dass sich die
Präventionspolitik wandeln muss, wie HIV-Spezialist Jorge Pérez unlängst in
der mexikanischen Tageszeitung La Jornada forderte: "Wir müssen die
Risikogruppen besser erreichen" laut seine Message.
Ein Versuch in diese Richtung unternahm das nationale Präventionszentrum in
den Sommermonaten. An den Playas del Este, den Stränden im Osten der
kubanischen Hauptstadt, tauchten Präventionstrupps mit Schnelltests,
Präsern und Infomaterial auf. Auch der Homostrand, "Mi Cayito", von Havanna
befindet sich dort, und da rund 53 Prozent aller HIV-Positiven in Havanna
leben und 81 Prozent der Infizierten Männer sind, macht die Maßnahme Sinn,
so die Experten vom nationalen HIV-Präventionszentrum.
Die werben wieder vermehrt, um Mitstreiter in der homosexuellen Szene
Havannas. Bei den Travestiestars wie Imperio haben sie gute Chancen. Der
lässt schon mal auf der Bühne einen einschlägigen Spruch los - für die
präventive Sache.
28 Oct 2011
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Recherchefonds Ausland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Medikamentöse HIV-Prävention: Die „Pille davor“
Um sich bei riskantem Sex vor dem Virus zu schützen, werden HIV-Medikamente
vorsorglich eingenommen. Für den Massen-einsatz sind die Präperate viel zu
teuer.
Agrarreform in Kuba: Die Staatsfarmen sind gescheitert
Kubas Landwirtschaft kommt nicht in Schwung. Die Regierung will sich vom
ideologischen Ballast trennen und den Bauern mehr Eigeninitiative
zugestehen.
Aids in Südafrika: Quacksalber mit Aussicht
Knapp 16 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von Durban sind HIV-positiv.
Mit Blechkästen und Wundersäften versprechen Scharlatane Heilung.
Welt-Aids-Bericht 2011: Weniger Aidstote - dafür mehr Kranke
Das UN-Aidsbekämpfungsprogramm UN-Aids konstatiert einen Rückgang bei
Neuinfektionen. Fortschritte gibt es in Afrika, schlechtere Zahlen etwa in
Osteuropa.
AIDS & Afrika: Zwischen Stigma und Sparzwang
Seit 2004 macht das Gesundheitsamt HIV-Aufklärung, die sich speziell an
Afrikaner wendet. Das Unwissen ist noch immer groß. Jetzt ist das einmalige
Projekt gefährdet.
Prozess: Wegen HIV während der Probezeit rausgeschmissen
Ein HIV-Positiver klagt, da er sich nach seiner Kündigung diskriminiert
fühlt. Das Gericht vertagt die Entscheidung zunächst.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.