# taz.de -- Agrarreform in Kuba: Die Staatsfarmen sind gescheitert | |
> Kubas Landwirtschaft kommt nicht in Schwung. Die Regierung will sich vom | |
> ideologischen Ballast trennen und den Bauern mehr Eigeninitiative | |
> zugestehen. | |
Bild: Zuckerrohrernte in Kuba | |
HAVANNA taz | Julio Luis Guzmán deutet auf die rostige Antriebswelle, die | |
neben dem eingestürzten Mauerwerk im Gras liegt. Das tonnenschwere Ungetüm | |
setzte die Scheiben in Bewegung, zwischen denen das Zuckerrohr zermalmt | |
wurde. Der Zuckersaft, in Kuba „guarapo“, genannt, floss in einen kleinen | |
steinernen Kanal und von dort in den Kessel, wo er eingedickt und später zu | |
Rohrohrzucker verarbeitet wurde. Vorbei. Die alte Zuckermühle steht schon | |
lange still, und Zuckerrohr wird in der Region um Güines kaum mehr | |
angebaut. | |
Die Provinzstadt liegt eine halbe Stunde Fahrtzeit von Havanna entfernt. | |
Sie ist eines der landwirtschaftlichen Zentren rund um die kubanische | |
Hauptstadt, die die 2,5 Millionen Einwohner der Metropole mit Lebensmitteln | |
versorgen sollen. So war es geplant. Doch in der Realität klappt das schon | |
lange nicht mehr. Obgleich die Böden rund um Güines zu den besten der | |
Karibikinsel gehören. | |
„Gemüse, Kartoffeln und viele andere Knollenfrüchte werden hier in der | |
Umgebung angebaut“, erklärt der 68-jährige Julio Luis Guzmán. Er selbst | |
besitzt acht Hektar Land, auf denen er Süßkartoffeln, Gemüse und vor allem | |
Malanga zieht. Die Knolle, hierzulande als Taro bekannt, ist in Kuba | |
äußerst beliebt und die Nachfrage auf den Märkten deswegen relativ groß, | |
was sich günstig auf die Preise auswirkt. Aus Sicht eines Kleinbauern wie | |
Guzmán. | |
„Sogar die staatlichen Ankaufpreise sind um ein paar Centavos geklettert“, | |
erklärt der alte Mann mit einem Lächeln. Das staatliche Ankaufsystem Acopio | |
nimmt den Privatbauern das Gros der Ernte zu festen Preisen ab und erfreut | |
sich deswegen keiner besonderen Beliebtheit. „Immer wieder kommt es vor, | |
dass die Ankaufpreise unter unseren Produktionskosten liegen“, erklärt | |
Guzmán und knöpft sich das ehemals weiße, fleckige Hemd zu. | |
## Beispielloser Niedergang | |
Deswegen haben viele Bauern in der Region ihre Anbauflächen reduziert oder | |
produzieren nur noch für den Eigenbedarf. Zwei Gründe für den beispiellosen | |
Niedergang der kubanischen Landwirtschaft in den letzten zwanzig Jahren. | |
Weitaus wichtiger aber ist, dass das Modell der großen Staatsfarmen in | |
Kuba, die annähernd 80 Prozent der Flächen bewirtschaftet haben, | |
gescheitert ist. Schon Mitte der 1980er Jahre gingen die Erträge pro Hektar | |
auf breiter Front zurück. Heute ist Kubas Landwirtschaft wahrscheinlich die | |
unproduktivste der Region. | |
Das bestätigt auch Armando Nova, Kubas versiertester Agronom vom | |
Studienzentrum der kubanischen Wirtschaft (CEEC). Er hat jede der | |
halbherzigen Agrarreformen der letzten beiden Dekaden miterlebt und | |
plädiert für strukturelle Schritte. „Wir müssen begreifen, dass punktuelle | |
Reformen nichts bringen, solange sie das System nicht verändern“, sagt der | |
Agrarexperte selbstkritisch. | |
Novas Institut gilt als ökonomischer Thinktank Kubas. Weniger | |
Planwirtschaft, weniger Zentralisierung und mehr Initiative von unten | |
lautet die CEEC-Leitlinie. Diese findet allmählich Anklang in der | |
kubanischen Politik, wie die Reformbemühungen der letzten vierzehn Monate | |
zeigen. | |
Doch die größte Herausforderung steht noch bevor: die Reanimierung der | |
Landwirtschaft, seit Jahren das größte Sorgenkind der kubanischen | |
Revolutionäre. „In diesem Jahr werden die Ausgaben für | |
Nahrungsmittelimporte wieder die Zwei-Milliarden-Dollar-Marke | |
überschreiten“, beklagt Nova. „Da bleibt kaum etwas für Investitionen.“ | |
## Traktor, Düngemittel, Gummistiefel | |
Selbst in der Agrarregion Güines sind auf den Feldern kaum Traktoren zu | |
sehen. „Es fehlt überall an Maschinen und Ausrüstung. Obendrein ist Benzin | |
immer wieder knapp“, sagt Guzmán, zieht noch einmal an seiner filterlosen | |
Zigarette und lässt die Kippe auf den Boden fallen. | |
Der Mangel im Agrarsektor macht sich nicht nur in Güines bemerkbar, sondern | |
ist landesweit, ob in Santiago de Cuba, in Trinidad oder Cárdenas, zu | |
besichtigen. Fast alles, vom Traktor über die Düngemittel bis zum | |
Gummistiefel, muss importiert werden. Nach zwanzig Jahren ökonomischer | |
Dauerkrise gibt es kaum noch eine funktionierende industrielle | |
Infrastruktur auf der Insel, klagen auch internationale Entwicklungshelfer. | |
Eine große Hürde, um die Landwirtschaft wieder flott zu machen. Und nicht | |
die einzige, denn die Landflucht der letzten zwei Jahrzehnte hat ganze | |
Regionen entvölkert. So fehlen im Zitrusanbaugebiet von Jagua Grande | |
genauso Arbeitskräfte wie in der Zuckerregion um Cárdenas. „Wir müssen das | |
Land wieder bevölkern“, gibt Armando Nova unumwunden zu. | |
Wichtigstes Instrument dabei ist das Gesetz Numero 259, mit welchem seit | |
dem Jahr 2008 brachliegendes Ackerland vom Staat an Neu- und Privatbauern | |
verteilt wird. Die Idee gefällt Kleinbauern wie Julio Luis Guzmán aus | |
Güines oder seinen Kollegen Julian Pérez Gutierrez in Cárdenas. Sie | |
begrüßen, dass nach Jahren des Stillstands Bewegung in die kubanische | |
Landwirtschaft gekommen ist. | |
## Produkte zu fairen Preisen | |
Doch nach wie vor besitzt der Staat rund siebzig Prozent der Agrarflächen. | |
Trotzdem sind es die Privateigentümer, die auf 24 Prozent der Fläche rund | |
57 Prozent der kubanischen Nahrungsmittel produzieren. „Es ist sinnvoll, | |
Brachland zu verteilen und wieder urbar zu machen“, sagt Julian Pérez | |
Gutierrez aus Cárdenas. „Aber man muss den Leuten auch helfen. Sie brauchen | |
Beratung und man sollte ihnen die Möglichkeit geben, ihre Produkte zu | |
fairen Preisen zu verkaufen.“ | |
Gutierrez, Ende 40, hat lange Jahre auf einer staatlichen Farm gearbeitet | |
und ist nun auf einem kirchlichen Biohof beschäftigt. Private – oder in | |
diesem Fall kirchlich betriebene – Höfe haben nach wie vor geringe | |
Zugangsmöglichkeiten zum Markt. Der Verkauf der Ernte liegt nur zu einem | |
kleinen Teil in ihren Händen: etwa zwanzig bis dreißig Prozent der Ernte. | |
Agrarexperte Nova plädiert deswegen für mehr Autonomie der Produzenten: | |
„Der Bauer, der den Boden bestellt, muss auch entscheiden, was er anbaut | |
und zu welchem Preis er das Angebaute verkauft.“ Eine Forderung, die so | |
normal klingt aber die Agrarpolitik Kubas auf den Kopf stellen würde. | |
In der Praxis machen viele Vorschriften den Privat- und Kleinbauern das | |
Leben schwer. So darf der kirchliche Biohof El Retiro, auf dem Julian Pérez | |
Gutierrez arbeitet, noch nicht einmal einen Verkaufsstand für die | |
Nachbarschaft errichten. „Auch unser Antrag, die Farm zu erweitern, und die | |
Bitte, einen Traktor kaufen zu dürfen, wurden abschlägig beschieden“, | |
erklärt Rita Morris. Sie hat den Biohof aufgebaut, ihn bis vor einem Jahr | |
geleitet und ist jetzt im Kirchenvorstand für den Hof mitverantwortlich. | |
## Ineffizientes Acopio-System | |
„Wir könnten viel mehr produzieren, aber man lässt uns nicht“, kritisiert | |
sie die Agrarpolitik der Regierung. Misstrauen und Argwohn gegenüber den | |
Privaten scheinen im staatlichen Establishment immer noch vorhanden zu | |
sein, obgleich selbst Staatschef Raúl Castro mehrfach das ineffiziente | |
Acopio-System kritisiert und für mehr Pragmatismus plädiert hat. | |
Mittlerweile wurde das staatliche Ankaufsystem tatsächlich zurückgefahren | |
und soll fortan nur noch für 22 Produkte der Grundversorgung zuständig | |
sein, wie Vizeagrarminister Ramón Frometa erklärt hat. Alles andere soll | |
zukünftig frei gehandelt werden können und auch der direkte Verkauf von | |
Bauern an Restaurants und Hotels ist seit Ende November kein Tabu mehr. | |
Das sind – wie die seit dem 1. Dezember laufenden Kreditprogramme für | |
Bauern und Selbstständige – Fortschritte, die von den Bauern durchaus | |
positiv registriert werden. Doch Julian Pérez Gutierrez bleibt skeptisch. | |
Er hat zwar durchaus Interesse an einem eigenen Stück Land, aber keinerlei | |
Mittel, um in das Land zu investieren. „Ich hoffe, dass wir auf El Retiro | |
erweitern können“, sagt er schulterzuckend. | |
Seine Skepsis ist nicht ohne Grund. Am 23. Dezember erteilte Staatschef | |
Raúl Castro allen Reformen einen Dämpfer und mahnte zu mehr Geduld. Das | |
betrifft auch die Landwirtschaft: Die bereits angekündigte Novelle des | |
Gesetzes Numero 259 wurde auf Eis gelegt. | |
Und auch der freie Verkauf von Nahrungsmitteln an Hotels und Restaurants | |
hat einen Haken: Er gilt bisher nur für staatliche Unternehmen – die | |
privaten bleiben außen vor. Für Julio Luis Guzmán in Güines wird also alles | |
beim Alten bleiben. Er steht ohnehin schon wieder auf dem Feld und rückt | |
dem Unkraut mit der Hacke zu Leibe. | |
3 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Karl Kaufmann | |
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