# taz.de -- Iranische Flüchtlinge protestieren: Hungern für die Normalität | |
> Zweieinhalb Wochen waren iranische Flüchtlinge in Würzburg im | |
> Hungerstreik. Nun gab es Gespräche mit den Behörden: Der Streik ist | |
> unterbrochen, offene Fragen bleiben. | |
Bild: Kämpfen um Anerkennung: iranische Flüchtlinge in Würzburg. | |
WÜRZBURG taz | Der Mann, der sich im Hungerstreik befindet, sitzt am Montag | |
dieser Woche auf einem Feldbett in der Würzburger Fußgängerzone. „Wir | |
wollen einfach nur wie normale Menschen leben“, sagt Abdolbaset Soleimani. | |
Der 34-jährige Iraner ist vor zweieinhalb Jahren in die Stadt gekommen. Er | |
und neun Mitstreiter verweigern seit dem 19. März die Nahrungsaufnahme. Sie | |
fordern bessere Aufenthaltsbedingungen, Anerkennung als Flüchtlinge und ein | |
Gespräch mit Zuständigen, allen voran mit CSU-Sozialministerin Christine | |
Haderthauer. | |
Kurz darauf, am Mittwoch, hat endlich ein erstes Gespräch stattgefunden – | |
wenn auch nicht mit Haderthauer. Da trafen sich der Vizepräsident des | |
Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Michael Griesbeck, ein Vertreter | |
des Sozialministeriums sowie einer der Regierung von Unterfranken in | |
Würzburg. Das Ergebnis: Der Hungerstreik wird zunächst unterbrochen. | |
Ansonsten wenig Konkretes: Die Behörden gaben Informationen über die | |
rechtlichen Möglichkeiten der Flüchtlinge und das Versprechen, dass sich in | |
den nächsten Wochen etwas tun werde. | |
Bis zuletzt hatte sich die bayerische Landesregierung verweigert. Nachdem | |
fünf der Männer kurz im Krankenhaus waren und nun ein Krankenwagen | |
permanent neben dem Zelt steht, lenkten die Behörden ein. | |
Hinter dem Protest steht ein größerer Konflikt. Opposition und | |
Organisationen kritisieren die Staatsregierung seit Jahren für ihre | |
Flüchtlingspolitik. Simone Tolle, unterfränkische Grünen-Abgeordnete, sieht | |
dahinter System: „In Bayern will man keine Flüchtlinge“, sagt sie, „blei… | |
wird verunmöglicht.“ | |
## Nichtintegration als „offizielle Vorgabe“ | |
Besonders kritisiert werden die 131 Gemeinschaftsunterkünfte, in denen über | |
11.000 Flüchtlinge leben, auch die Streikenden. Sie sind auf einem | |
teilweise stacheldrahtumzäunten Kasernengelände außerhalb der Stadt | |
untergebracht und leben in Gruppenzimmern an einer vierspurigen Landstraße. | |
Bis zu zehn Jahre warten sie auf einen Bescheid zu ihrem Asylverfahren. | |
Ohne eine Genehmigung dürfen sie den Bezirk nicht verlassen. | |
„Die Nichtintegration ist offizielle Vorgabe“, sagt Eva Peteler, | |
ehrenamtliche Mitarbeiterin im Lager. Sie meint die bayerische | |
Asyldurchführungsverordnung, in der steht, dass die Lagerunterbringung „die | |
Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ soll. Zwar verbessert | |
eine seit 1. April gültige Regelung die Möglichkeit, aus einer | |
Gemeinschaftsunterkunft auszuziehen. Doch dieser sogenannte bayerische | |
Asylkompromiss betrifft nur Familien. | |
In Würzburg ist das die Minderheit der Betroffenen. Und der schlimmste | |
Faktor bleibt bestehen: „Diese Ungewissheit und dass uns keinerlei | |
Selbstständigkeit im Alltag gewährt wird, wir außerdem wie Gefangene | |
gehalten werden, zermürbt uns und treibt uns Schritt für Schritt in den | |
Tod“, schreiben die Streikenden in einer Mitteilung. Im Januar hatte sich | |
ein Insasse das Leben genommen. | |
Zudem sind die Lager voll wie lange nicht. Vor allem Menschen aus Irak, | |
Iran und Afghanistan suchen Zuflucht. Zumindest in Würzburg passiert nun | |
etwas. Der Stadtrat fordert Verbesserungen der Lebensbedingungen, Bürger | |
demonstrieren, Studenten informieren vor Ort über die politische Lage im | |
Iran. | |
## Haderthauers „Hartherzigkeit“ | |
Und auch die Politik hört zu: Lokalpolitiker solidarisieren sich, sogar die | |
Landtags-FDP hat Haderthauers „Hartherzigkeit“ kritisiert. Bereits | |
vergangene Woche hatten Simone Tolle und die grüne Fraktionschefin | |
Margarete Bause, gestärkt durch Unterschriftenlisten, Haderthauer | |
aufgefordert, sich zu äußern. „Es geht darum, zu zeigen: Ja, wir sehen dich | |
als Menschen“, sagt Bause. | |
Wegen des Drucks kam das Gespräch am Mittwoch zustande. Dabei haben die | |
Behördenvertreter mit jedem Flüchtling über die Möglichkeiten gesprochen, | |
ihren Asylantrag erneut vorzubringen, und eine Begutachtung der Akten in | |
den kommenden Wochen angekündigt. | |
Aktionen wie diese haben eine Kehrseite, glaubt die ehrenamtliche | |
Mitarbeiterin Peteler. „Wenn die eine Sonderbehandlung bekommen, sind | |
morgen alle im Zelt.“ Man müsse vielmehr grundsätzlich Gesetze ändern. | |
Abdolbaset Soleimani und seine Mitstreiter wollen trotz der Unterbrechung | |
des Hungerstreiks vorerst in der Fußgängerzone bleiben. Man habe einen | |
Antrag auf Asyl gestellt, sagt Soleimani, „nun sind die da oben dran“. | |
4 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Lea Hampel | |
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