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# taz.de -- Protest vor Auswärtigem Amt: Hungerstreik auf verlorenem Posten
> Seit vier Monaten kampiert Mustafa Mutlu vor dem Auswärtigen Amt. Er
> fühlt sich von den deutschen Behörden im Stich gelassen. Nun soll er sein
> Lager räumen.
Bild: Immer wieder praktiziert als letztes Mittel: der Hungerstreik.
"Berliner Buzze", steht an der mit Isolierfolie überspannten Parkbank. Hier
verstaut Mustafa Mutlu alle Habseligkeiten, die er in der Hauptstadt
besitzt: Schlafsack, Thermoskanne und Wechselsachen, falls es regnet.
Nützliche Dinge für jemanden, der im Freien überwintert. Das Wertvollste,
das der Mann aus Aachen vor dem Auswärtigen Amt gegen Wind und Witterung
verteidigt, ist aber sein Leben.
Seit Anfang September befindet sich der 53-Jährige im Hungerstreik. Der
Bauunternehmer fordert Unterstützung durch das Ministerium, nachdem er von
einem ausländischen Geschäftspartner über den Tisch gezogen wurde.
Ausgerechnet jetzt soll Schluss mit seinem Protest sein: Im Zuge der
taz-Recherche hat die Polizei angekündigt, sein Schlaflager zu räumen.
"Herr Mutlu richtet sich häuslich ein", so ein Sprecher des zuständigen
Dienstabschnitts. "Den Schlafsack haben wir anfangs geduldet. Aber Planen
und Holzlatten, das geht deutlich zu weit." Er beanspruche öffentliches
Straßenland über Gebühr. "Er kann ja weiter demonstrieren, gerne auch mit
zwei Hosen und Regenschirm. Das steht ihm frei."
Mustafa Mutlu will sich nicht beugen. "Der Kampf gibt mir Kraft", sagt er
immer wieder. Er habe anfangs selbst nicht gedacht, dass er so lange
durchhalten würde. 44 Kilo hat er seit Beginn des Hungerstreiks verloren.
Er trinke viel warmes Wasser und Sojamilch. Das sei gut für den Magen. Und
ab und an ein paar Weintrauben wegen der Vitamine. Seit vier Monaten
übernachtet Mutlu auf der Bank. Verwahrlost wirkt er deswegen nicht, im
Gegenteil. Sein graues Haar ist kurz geschnitten, sein Gesicht frisch
rasiert, die Hände gepflegt. Eigentlich wollte er schon vor Jahren in
Hungerstreik treten, doch sein Arzt hatte ihm bislang davon abgeraten.
Die Gründe für seinen verzweifelten Protest liegen weit zurück. Mitte der
neunziger Jahre hatte Mutlu einen sechsstelligen Kredit aufgenommen, um
Kräne in die Vereinigten Arabischen Emirate zu exportieren. Nachdem das
Geschäft abgewickelt war, habe sich der Auftraggeber geweigert zu zahlen.
Mutlu flog nach Abu Dhabi, um seine Schulden einzufordern. Vergebens. "Der
andere hatte Rückendeckung von sehr einflussreichen Leuten", erzählt Mutlu.
Ein Rechtsanwalt vor Ort riet ihm schließlich, sich an die deutsche
Botschaft zu wenden. Dort habe man ihm Hilfe zugesagt, am Ende aber nicht
Wort gehalten. Weil Mustafa Mutlu einen türkischen Pass hat, verwiesen ihn
die deutschen Diplomaten an die türkische Botschaft. "Dabei wohne ich schon
seit 30 Jahren in Deutschland. Niemand will für meinen Fall zuständig
sein." Denn auch bei der türkischen Vertretung wurde seine Bitte um
Unterstützung abgelehnt. Seine Firma sei ja in Deutschland gemeldet.
Seitdem ist viel Zeit vergangen. Die wiederholten Reisen nach Abu Dhabi,
die Ausgaben für Unterkunft, Anwälte und Übersetzer kosteten den
Selbständigen viel Geld.
Mustafa Mutlu sagt, man habe ihn in den Ruin getrieben. Er habe sich auf
das Versprechen der deutschen Botschaft verlassen. Nun kämpft er für
Gerechtigkeit. Ums Geld gehe es ihm nicht. Er fordert Gleichbehandlung ohne
Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit. "Ich sage ja auch nicht, ich habe
einen türkischen Pass und zahle deswegen keine Steuern in Deutschland."
## "Nicht zuständig"
Seine Botschaft stößt auf taube Ohren, das Auswärtige Amt sieht sich nicht
in der Verantwortung. "Da es sich um die Durchsetzung einer
zivilrechtlichen Forderung in den Vereinigten Arabischen Emiraten handelt,
sind die dortigen Gerichte zuständig", erklärt eine Sprecherin. Dem
Unternehmer sei geraten worden, einen Anwalt einzuschalten. Der Vorsitzende
des Auswärtigen Ausschusses teilte Mutlu auf Anfrage mit: "Die deutsche
Botschaft kann sich Forderungen nicht zu eigen machen. Sie kann
Rechtstreitigkeiten lediglich beobachten und gegebenenfalls auf politischer
Ebene nachhaken." Das gelte auch für deutsche Staatsbürger.
Inzwischen ist Mustafa Mutlu in Mitte bekannt. Die Kinder im Schwimmbad, in
das er regelmäßig geht, grüßen ihn. Der Hotelportier, von dem er warmes
Wasser bekommt, erkundigt sich nach ihm, wenn er länger nicht auftaucht.
Auch die Polizeistreife fragte bisher wöchentlich nach seinem
Gesundheitszustand. Nun scheint ihre Geduld überstrapaziert.
Mutlu sollte seinen Unterschlupf bis Freitagabend räumen. Andernfalls
wollte ihn die Berliner Polizei entfernen lassen. Hinter vorgehaltener Hand
gestand ein Polizeikommissar: "Eigentlich finde ich es richtig, dass die
Presse mal darüber schreibt."
7 Jan 2012
## AUTOREN
Anja Rillcke
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