# taz.de -- Gedenken an den Kriegsbeginn in Sarajevo: 11.541 leere Stühle des … | |
> Die Hauptstraße Sarajevos ist in ein Meer roter Stühle getaucht. Die | |
> Stadt erinnert an den Kriegsbeginn vor 20 Jahren, als auf | |
> Friedensaktivisten geschossen wurde. | |
Bild: Sarajevos Marschall-Tito-Straße am 6.4. 2012. Am 5.4. 1992 begann die Bl… | |
SARAJEVO taz | Auf Sarajevos Hauptstraße, der Titostraße, sind seit | |
Karfreitag 11.541 rote Stühle aufgereiht. Fast einen Kilometer lang. Jeder | |
Stuhl symbolisiert einen Toten während der 44-monatigen Belagerung der | |
Stadt durch serbische Truppen. | |
Die Menschen bleiben betroffen vor allem dort stehen, wo mehrere hundert | |
kleine Stühle an getötete Kinder erinnern. Eine beeindruckende | |
Demonstration des Erinnerns. | |
Zwar wird dem Initiator Haris Pavovic wenig Sensibilität vorgeworfen. War | |
es denn wirklich nötig, die Stühle ausgerechnet aus Belgrad zu | |
organisieren, fragen viele. Die älteren Bürger erinnern sich noch genau, | |
wie der Krieg begann. | |
Am 4. August schon hatten sich die serbischen Polizisten auf Befehl von | |
Radovan Karadzic aus der gemeinsamen Polizei zurückgezogen. Serbische | |
Extremisten bauten am 5. April an mehreren Stellen der Stadt Barrikaden wie | |
an einer Brücke über den Miljacka-Fluss unterhalb des jüdischen Friedhofes | |
und nahe dem Parlament. | |
Aus Protest gegen den Barrikadenbau formierten sich spontan Demonstrationen | |
aus verschiedenen Stadtteilen. „Ich war damals dabei“, sagt die heute | |
75-jährige Bakira Medvedovic. Sie sei mit der größten Kolonne gegen Mittag | |
aus Neu-Sarajevo vor dem Parlamentsgebäude angekommen. | |
Eine Kolonne der Demonstranten bewegte sich auf die Barrikaden zu. | |
„Plötzlich wurde vom jüdischen Friedhof aus auf die Demonstranten | |
geschossen“, sagt Meho Alicehajic, der damals auch vor Ort war. Die aus | |
Dubrovnik stammende Studentin Suada Deliberovic und Olga Susic, Mutter | |
zweier Kinder, wurden tödlich getroffen. | |
## 5. April 1992 | |
Der Krieg begann also schon am 5. April 1992 und nicht, wie Presseagenturen | |
fälschlich melden, am 6. Schon in der Nacht zum 6. explodierten Granaten im | |
Zentrum. Auch das Haus des heute 73-jährigen Meho Alicehajic wurde | |
getroffen. Im Zentrum kam es zu Schießereien zwischen regulärer Polizei und | |
bewaffneten serbischen Zivilisten. | |
Am 6. April, dem Tag der diplomatischen Anerkennung der Unabhängigkeit | |
Bosnien und Herzegowinas durch die meisten Staaten der damaligen | |
Europäischen Gemeinschaft, strömten zigtausende Menschen aus anderen Teilen | |
Bosniens in die Stadt. Es war eine große Demonstration für den Frieden. | |
„Die Bergarbeiter von Tuzla brachten Tito-Bilder mit“, erinnert sich Meho. | |
Plötzlich hallten erneut Schüsse. Vom Dach des Hotels Holyday Inn wurde in | |
die Demonstration geschossen. Es gab weitere Tote. Die Demonstranten | |
stürmten daraufhin das Parlamentsgebäude und bildeten spontan eine | |
antinationalistische „Regierung“, die sich gegen alle Nationalparteien | |
richtete. Pavlo Pavlovic wurde ihr Sprecher, doch übernahm die muslimische | |
Nationalpartei SDA unter Alija Izetbegovic gegen den Willen der | |
antinationalistischen Bewegung die Führung in Sarajevo. Die 44 Monate | |
währende Belagerung Sarajevos hatte begonnen. | |
Am 17. April 1992 wurde die multinationale Bosnische Armee gegründet, die | |
von je einem Muslim, Kroaten und Serben geleitet wurde und den Kampf gegen | |
die Belagerung durch die serbischen Nationalisten unter Radovan Karadzic | |
aufnahm. | |
6 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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