# taz.de -- Kriegsreporter erinnern an den Bosnienkrieg: Wiedersehen in Sarajevo | |
> In Bosnien erinnern auch die damaligen Kriegsreporter an den Krieg. Die | |
> meisten haben danach Afghanistan und Irak erlebt und sich jüngst in | |
> Libyen wieder getroffen. | |
Bild: Erinnern an den Krieg: Ein roter Stuhl für jeden Toten. | |
SARAJEVO taz | „Jetzt kommen die Kriegsreporter.“ Aida war aufgeregt. Die | |
jetzt arbeitslose Juristin hatte während des Krieges für die CNN-Reporterin | |
Christiane Amanpour als Stringerin gearbeitet und hatte damals ihre gesamte | |
Familie mit ihrem Verdienst ernähren können. „Kannst du mir einen Job | |
besorgen?“ Natürlich nicht. | |
Denn es ging bei dem Treffen der journalistischen Kriegsveteranen in | |
Sarajevo nicht darum, an neue Fronten zu eilen. Ursprünglich waren es | |
einige Fotoreporter, die über Facebook und Twitter ausgemacht hatten, den | |
20. Jahrestag des Bosnienkrieges in Sarajevo zu begehen. Sie brachten den | |
Stein ins Rollen. | |
Der Le-Monde-Reporter Remy Ourdan kündigte eine Veranstaltung an, andere | |
klinkten sich ein, plötzlich entstand ein Programm mit Diskussionen über | |
Journalismus im Krieg, mit Buchvorstellungen, Abendessen und informellen | |
Treffen, die sich vor Ostern einige Tage hinzogen. Man traf sich mit alten | |
bosnischen Freunden wie dem Chefredakteur der Wochenzeitschrift Slobodna | |
Bosna (Freies Bosnien), Senad Avdic, oder mit Aida Cerkez, die nach wie vor | |
für die Presseagentur AP vor Ort ist. | |
## Karrierestart Bosnienkrieg | |
Mit Berichten über Bosnien haben einige ihre Karrieren aufgebaut. Der | |
Amerikaner Roy Gutman erhielt wegen seiner Reportagen über die | |
Konzentrationslager in Westbosnien und Prijedor noch während des Krieges | |
den Pulitzerpreis, der ebenfalls Prijedor und Omarska beschreibende Brite | |
Ed Vulliamy kritisierte vehement seine Regierung, die damals die | |
serbisch-nationalistische Politik begünstigte, Christiane Amanpour wurde | |
zur journalistischen Ikone. | |
Gekommen war auch Alexandra Stiglmayr. Heute Leiterin des Büros der | |
European Stability Initiative (ESI). Sie hatte mit ihrem Buch | |
„Massenvergewaltigungen“ während des Krieges für Aufsehen gesorgt. Die | |
später für das Den Haager Kriegsverbrechertribunal arbeitende Florence | |
Hartman gehörte zu den mutigsten Reporterinnen zu Beginn des Krieges. | |
Unvergessen ist auch, wie die türkische Fernsehreporterin Sherif Turgut | |
sich im belagerten Sarajevo für verwundete Kollegen eingesetzt hat. | |
Die meisten sind dem Journalismus treu geblieben, haben nach Bosnien den | |
Kosovokrieg erlebt, sind nach Afghanistan und Irak gegangen, trafen sich in | |
Libyen wieder. Roy Gutman arbeitet jetzt für die McClatchy Company von | |
Istanbul aus für den Mittleren Osten und den Balkan, der Holländer Harald | |
Doornbos deckt die Region Pakistan bis Marokko für holländische Medien und | |
eine Fernsehstation in Dubai ab. | |
Andere wiederum haben ihre Kenntnisse weiterverarbeitet. Der Amerikaner | |
Chuck Sudetic schrieb als Ghostwriter das Buch der Chefanklägerin des | |
Kriegsverbrechertribunals, Carla del Ponte, und bekam damit Einblicke in | |
Dokumente, die anderen Journalisten verschlossen blieben. | |
## „Keine Racheakte trotz Krieg“ | |
Alle aber vereint die Erfahrung in Sarajevo. „Die Menschen hier haben trotz | |
aller Bedrückungen mit ihrer Toleranz und ihrem Witz mein Weltbild | |
mitgeprägt“, sagte Ed Vulliamy am Rande der Präsentation seines neuen | |
Buches über den Bosnienkrieg „The war is dead, long live the war“. | |
„Der bosnische Islam imponierte mir von Anfang an, trotz des Völkermordes | |
gab es nach dem Krieg keine Racheakte“, sagte Harald Doornbos vor den | |
11.541 leeren Stühlen, die am Karfreitag als Erinnerung an die Opfer | |
aufgestellt waren. | |
Für viele stellvertretend erklärte eine Überlebende der Konzentrationslager | |
von 1992 bei einem gemeinsamen Essen: „Ihr seid hierhergekommen, um über | |
unser Schicksal zu berichten. Ihr habt große Gefahren auf euch genommen, | |
einige sind getötet worden. Wir danken euch Kriegsreportern, dass ihr über | |
die hier geschehenen Verbrechen berichtet habt.“ | |
Inzwischen sind die meisten wieder abgereist. Nur Remy Ourdan will mit dem | |
Belgier Philippe Deprez und dem Autor selbst in der Stadt bleiben und ein | |
Dokumentationszentrum über Kriegsberichterstattung weltweit aufbauen. | |
„Sarajevo ist dafür der richtige Platz“, sagt er. | |
9 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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