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# taz.de -- Cloud Gaming: Zocken in der Wolke
> Cloud Gaming heißt der neueste Trend der Videospiele. Die Technologie
> könnte die gesamte Spieleindustrie revolutionieren – und Raubkopien
> bekämpfen.
Bild: Über den Wolken, schalalala, wird das Zocken viel schöner noch sein...
Mit ein paar Klicks ist heute für jeden das gesamte Spektrum der
Unterhaltungsindustrie zu haben. Die legendäre Rolling-Stones-Platte „Exile
on Main Street“ ist genauso verfügbar wie Heath Ledgers oscarprämierter
Joker in „The Dark Knight“. Fast alle musikalischen und cineastischen
Erzeugnisse der letzten Jahrzehnte sind im Internet in Sekundenschnelle per
Stream abrufbar. Doch ausgerechnet beim jüngsten aller Kulturgüter war das
bislang kaum vorstellbar: den Videospielen.
Noch immer ist es eine nervenraubende Angelegenheit, bis ein Spiel
überhaupt läuft. Lange Wartezeiten sind bei allen Plattformen die Regel:
Auf Konsolen wie der Playstation 3 oder XBox 360 müssen ständig neue
Spiele-Updates heruntergeladen werden, auf dem PC bedarf es dazu noch
ewiger Installationen, bevor die Zockerei losgehen kann. Und ohne teure
Hardware geht sowieso nichts. Doch nun steht eine Technologie in den
Startlöchern, die mit alldem Schluss machen und dadurch das gesamte
Spielerlebnis revolutionieren könnte: Cloud Gaming.
Schon jetzt verschieben viele Menschen ihre Dateien per „Dropbox“ in die
digitale Datenwolke, die „Cloud“, oder nutzen ganz selbstverständlich
Bildbearbeitungs- oder Textverarbeitungsprogramme im Browser, ohne diese
auf dem eigenen Computer installieren zu müssen. Stattdessen laufen die
Anwendungen auf Servern in turnhallengroßen Rechenzentren, die über das
Internet von jedem Ort erreichbar sind.
„Cloud Computing“ nennt sich diese Technik und ist der Inbegriff für das
Überallarbeiten geworden. Nun sollen auch Videospiele in die digitale Wolke
wandern und dort für mehr Spaß sorgen.
## Cloud Gaming in den Kinderschuhen
In den USA ist Cloud Gaming bereits seit 2010 verfügbar, trotzdem steckt
das Prinzip noch immer in den Kinderschuhen. Am Markt fahnden derzeit
gerade einmal ein halbes Dutzend US-Firmen nach dem lukrativsten
Geschäftsmodell.
Am meisten für Furore sorgte bislang der kalifornische Anbieter OnLive,
dessen Unternehmenswert auf rund 1 Milliarde Dollar geschätzt wird. Wer den
Dienst nutzen will, muss eine monatliche Grundgebühr von 15 Dollar
entrichten. Anschließend können rund 150 Spiele dazugekauft werden –
darunter Toptitel wie „Assasin’s Creed“ oder „L. A. Noire“.
Das Prinzip dabei ist einfach: Nach dem Kauf erscheint ein Spiel sofort als
Videostream auf dem Bildschirm. Am heimischen PC werden dann nur noch die
Tastatureingaben und Mausklicks gemacht, der Rest kommt von den
OnLive-Servern. In den dortigen Rechenzentren wird die Spielgrafik
komprimiert und per Internet an den Benutzer zurückgestreamt.
## In Deutschland nicht verfügbar
Weil beim Cloud Gaming die Server den Großteil der Rechenleistung
übernehmen, funktionieren selbst auf alten Büro-PCs neueste Topspiele. Der
einzige Haken: Bislang ist OnLive in Deutschland nicht verfügbar. Das
Unternehmen befindet sich noch immer in Verhandlungen mit der
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien.
In Deutschland bereits voll funktionstüchtig ist dagegen das Angebot des
Mitbewerbers Gaikai, bei dem man mit ein paar Klicks zahlreiche
Demoversionen von Topspielen ausprobieren kann. Für den Spieler ist das
komfortabel und günstig, die Kosten übernehmen die Hersteller der Spiele.
Zudem müssen die Testversionen nicht mehr umständlich gesucht und
heruntergeladen werden, sondern lassen sich direkt im Onlineshop oder auf
der Facebookseite des Spiels starten.
„Bislang versuchte man die Spieler mit Werbung auf seine Webseite zu
locken“, erklärte Gaikai-Chef David Perry der taz. „Wir versuchen die
Spiele jetzt dort zu platzieren, wo die Gamer abhängen.“
In der Praxis funktioniert das erstaunlich gut: Die Spiele lassen sich mit
wenigen Klicks starten und laufen ordentlich – nur gelegentlich kommt es zu
Verzögerungen, sogenannten Lags, wenn die Server nicht schnell genug
antworten.
## Noch nicht schnell genug
Für rasante Mehrspielertitel wie „Battlefield 3“, wo es auf jede
Zehntelsekunde ankommt, reicht die Technik jedoch noch lange nicht. Zudem
ist Cloud Gaming momentan nur Großstädtern vorbehalten, denn eine extrem
schnelle und zuverlässige Internetverbindung ist unerlässlich. Unter 6
Mbit/s geht nichts. Liegt die Zukunft der Videospiele trotzdem in der
digitalen Wolke?
„Cloud Gaming wird das bisherige Angebot nicht verdrängen, sondern
ergänzen“, sagt Hartmut Gieselmann vom Computermagazin c’t. Der 41-Jährige
beobachtet seit den 90er Jahren die Trends der Videospielbranche. Vor ein
paar Jahren hat er ein Buch über die Wirkung von Kriegsspielen geschrieben.
Gieselmann betrachtet Cloud Gaming vor allem als wichtigen Schritt, um die
Verbreitung von Videospielen zu steigern: „Spiele können dann genauso auf
Knopfdruck genossen werden, wie Filme und Fernsehsendungen.“ Durch die
einfache Bedienung der Technik könne eine viel größere Zielgruppe
angesprochen werden. Ein PC oder eine separate Konsole sei nicht mehr
notwendig, der Installationsaufwand falle weg: „Cloud Gaming wird man in
den nächsten Generationen von Fernsehern wie einen Pay-TV-Kanal einschalten
können“, schätzt Gieselmann.
Auch für die Spieleentwickler wäre das ein enormer Fortschritt. Bislang
mussten die einzelnen Spiele für die jeweiligen Hardwarekomponenten von PC,
Xbox, Playstation oder iPad individuell angepasst werden. Mit Cloud Gaming
müsste ein Spiel dagegen nur auf einem Server installiert werden und könnte
dann auf sämtliche Plattformen gestreamt werden. Die Entwicklungskosten
wären deutlich geringer.
## Gegen Raubkopien
Und noch eine weitere Hoffnung ruht auf Cloud Gaming: Die Hersteller
versprechen sich von der Technologie endlich ein wirksames Mittel, um
effektiv Raubkopien zu bekämpfen.
Denn obwohl die Gaming-Industrie mittlerweile über 70 Milliarden Dollar pro
Jahr umsetzt, sind illegal verbreitete Kopien von Spielen noch immer ein
ernsthaftes Problem. Es kursieren Schätzungen, dass auf jedes verkaufte
Spiel vier illegal heruntergeladene Spiele kommen.
Cloud Gaming könnte da Abhilfe schaffen, weil die Spiele nicht mehr auf den
Festplatten der Benutzer installiert werden, sondern geschützt auf den
Servern der Hersteller liegen. Hacker hätten so gar keinen Zugriff mehr auf
die benötigten Dateien, um ein Spiel zu kopieren. Eine finale Lösung oder
gar ein Vorbild für die Musik- und Filmbranche sei das trotzdem nicht:
„Raubkopien werden nie verschwinden“, sagt Gaikai-Chef David Perry.
„Das Problem wird sich einfach verlagern“, erklärt Hartmut Gieselmann.
Anstatt die Spiele zu kopieren, würden in Zukunft die Serverzugangsdaten
der Spieler gehackt. „Der Leidtragende ist dann nicht mehr der Hersteller,
sondern der Anwender“, sagt Gieselmann. Onlinerollenspiele wie „World of
Warcraft“, die bereits seit Jahren über Server laufen, haben schon länger
mit solchen Problemen zu kämpfen. Trotzdem sei das Betreiben von Spielen
über Rechenzentren der einzige Weg, um Raubkopien signifikant zu
verringern.
## Spielkonsolenhersteller aufgepasst
Eine solche Entwicklung hätte jedoch auch Verlierer: die Hersteller von
Konsolen und Grafikkarten. Vor allem Letztere dürften Probleme bekommen,
wenn ihre teuren Modelle nicht mehr zum Spielen von High-End-Spielen
benötigt werden. Und auch die großen Spielkonsolenhersteller Sony, Nintendo
und Microsoft müssen aufpassen: „Mittelfristig werden die ihre Kisten mit
Spielen alleine nicht mehr verkaufen können“, sagt Hartmut Gieselmann.
Bis sich Cloud Gaming allerdings auf dem Massenmarkt etabliert hat, dürften
noch mindestens fünf Jahre vergehen. Exklusive Spiele für die „Cloud“ sind
jedoch bereits früher denkbar. Und diese könnten die gesamte
Videospielentwicklung auf ein neues Level heben: Durch die extrem gute
Hardware-Ausstattung der Serverzentren sind mit einem Schlag Spiele in
Kinooptik vorstellbar. Spätestens dann dürfte Cloud Gaming ein wichtiger
Teil der Gaming-Industrie sein.
David Perry erinnert die aktuelle Entwicklung deshalb an die Zeit der
Arcade-Spielhallen. Die Menschen spielten damals, Anfang der 80er, auf
riesigen, 10.000 Dollar teuren Automaten. Die Spiele auf den Maschinen
hießen „Pac-Man“ oder „Space Invaders“. „Damals strömten die Leute …
Hallen, weil sie so ein Erlebnis nirgendwo sonst haben konnten“, sagt
Perry. Mit Cloud Gaming soll es ganz genauso werden.
11 Apr 2012
## AUTOREN
Robert Iwanetz
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