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# taz.de -- Urteil des Europäischen Gerichtshofes: Auch einvernehmlicher Inzes…
> Der Straßburger Gerichtshof bestätigt die Karlsruher Rechtsprechung. Sex
> zwischen Bruder und Schwester bleibt in Deutschland rechtswidrig.
Bild: Sind mittlerweile kein Paar mehr: Patrick und Susan.
FREIBURG taz | Einvernehmlicher Sex zwischen Geschwistern darf bestraft
werden. Das entschied an diesem Donnerstag der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Das deutsche Inzestverbot kann damit
bestehen bleiben, die Klage des heute 35-jährigen Patrick Stübing wurde
abgelehnt. Er saß in Deutschland mehr als drei Jahre in Haft, weil er
regelmäßig mit seiner Schwester geschlafen hatte.
Die Geschichte von Patrick Stübing und seiner sieben Jahre jüngeren
Schwester Susan K. hat in Deutschland schon viele Wellen geschlagen. Als
„verbotene Liebe“ oder „Liebe mit Aktenzeichen“ wurde sie bezeichnet. S…
hat rechtspolitische Diskussionen ausgelöst und 2008 sogar das
Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Bisher ohne Erfolg.
Es handelt sich nicht um ein Massenphänomen. Im Gegenteil. Inzest unter
Geschwistern ist extrem selten, weil Kinder, die zusammen aufwachsen, in
der Regel keine sexuelle Anziehung empfinden. Doch die Geschwister Patrick
Stübing und Susan K. wuchsen nicht gemeinsam auf. Patrick war drei Jahre
alt, als er in ein Kinderheim kam. Sein Vater, ein Alkoholiker, hatte ihm
ein Messer an den Hals gehalten, Nachbarn hatten deshalb die Polizei
alarmiert. Patrick kam bald zu Pflegeltern, einem kinderlosen Paar bei
Potsdam, die ihn auch adoptierten. Deshalb hat er einen anderen Nachnamen
als seine Schwester.
Als Patrick Stübing älter ist, sucht er Kontakt zu seinen leiblichen
Eltern. Das Jugendamt stellt den Kontakt zur Mutter her, die noch lebt.
Patrick will sie für eine Woche besuchen, fühlt sich wohl und aufgehoben
und zieht, 23-jährig, sogar bei seiner alten Familie ein. Dass er eine
Schwester hat, wusste er vorher nicht. Jetzt teilen sie sich ein Zimmer.
## Geistig etwas zurückgeblieben
Doch schon nach einem halben Jahr stirbt die herzkranke Mutter. Nun sind
die beiden allein und versuchen sich Halt zu geben. Susan K. ist geistig
etwas zurückgeblieben und hat nicht einmal die Förderschule abgeschlossen.
Ihr Bruder war zwar auch auf der Förderschule, ist aber deutlich
selbstständiger, und machte anschließend eine Lehre als Schlosser. Susan
bewundert ihren Bruder. Bald schlafen sie miteinander, ohne Schutz, Susan
K., damals 16, wird schwanger. Das Jugendamt schöpft Verdacht und findet
heraus, dass Stübing der Vater des Kindes ist. Die Strafanzeige des
Jugendamtes führt zu einer ersten Verurteilung.
In Deutschland ist der Geschlechtsverkehr zwischen Geschwistern strafbar.
Zwei Jahre Haft oder Geldstrafe drohen laut Paragraf 173 des
Strafgesetzbuchs. Früher hieß die Straftat „Blutschande“, heute „Beisch…
zwischen Verwandten“ und ist mit Strafe bedroht – selbst wenn alle
Beteiligten volljährig sind und aus freiem Willen handeln.
## Die Eltern überfordert
Patrick Stübing und Susan K. wissen nun zwar, dass sie etwas Verbotenes
tun, hören aber nicht damit auf. Die beiden zeugen noch drei weitere
Kinder, zwei von ihnen sind leicht körperbehindert und gelten auch als
minder intelligent, ein drittes hat einen Herzfehler, der aber operiert
werden kann. Die drei älteren Kinder werden vom Jugendamt weggenommen, die
Eltern seien überfordert, heißt es. Das vierte Kind, ein Mädchen, darf
Susan K. behalten. Patrick Stübing muss aber immer wieder ins Gefängnis, um
die Strafen wegen fortgesetzten Inzests abzusitzen. Mehr als drei Jahre
verbringt er in Haft. Sie bleibt wegen ihrer Abhängigkeit zu ihrem Bruder
straflos.
2008 landet sein Fall beim Bundesverfassungsgericht. Ein Leipziger Anwalt
hat sich seiner angenommen und will den Inzest-Paragrafen für
verfassungswidrig erklären lassen. Einvernehmlicher Sex unter Erwachsenen
dürfe nicht strafbar sein. Viele Medien hielten das Gesetz für überholt und
rechneten mal wieder mit einem Rüffel aus Karlsruhe. Doch überraschend
deutlich wurde die Verfassungsbeschwerde mit sieben zu eins Richterstimmen
abgelehnt.
Es gab in Karlsruhe offensichtlich ein Bündnis der konservativen und
feministischen RichterInnen. Die Strafbarkeit des Geschwister-Inzests sei
vertretbar, so die Erklärung, um das traditionelle Bild der Familie zu
bewahren, den unterlegenen Partner einer Beziehung zu schützen und um
Erbschäden zu vermeiden. Nur der liberale Vizepräsident Winfried Hassemer
hielt Stübings Klage für berechtigt.
Auch der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte ließ Stübing nun
abblitzen, einstimmig mit sieben zu null Stimmen. Die Richter stellten
fest, dass der Geschwister-Inzest in etwas mehr als der Hälfte der
europäischen Staaten strafbar ist, während in den übrigen Staaten keine
Strafe droht. Wenn aber in Fragen von moralischer Bedeutung in Europa kein
Konsens besteht, billigt der EGMR den Staaten in der Regel einen großen
Beurteilungsspielraum zu. So auch hier. Die Haftstrafe für einvernehmlichen
Sex mit seiner Schwester habe Patrick Stübings Recht auf Privatleben nicht
verletzt. Er bekommt deshalb keine Entschädigung.
Die Beziehung zu seiner Schwester ist inzwischen auch zerbrochen.
12 Apr 2012
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Inzest
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