# taz.de -- Ethikrat für Inzest-Legalisierung: Freiheit für Geschwisterliebe | |
> Der Ethikrat rührt an ein Tabu. Er regt an, Sex zwischen volljährigen | |
> Geschwistern nicht mehr unter Strafe zu stellen – und nennt dafür gute | |
> Gründe. | |
Bild: Geschwisterliebe gab es schon in griechischen Sagen: Kaunos und Byblis, a… | |
BERLIN taz | Es sind herzzerreißende Geschichten: Familien werden | |
auseinandergerissen, Väter landen im Gefängnis, alle leiden. Weil sich zwei | |
gefunden haben, die sich nicht finden durften: Halbgeschwister, die sich | |
erst im Erwachsenenalter kennen- und lieben lernten. In Deutschland ist der | |
Inzest – auch unter Geschwistern – verboten. Verfassungsgericht und | |
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte haben dieses Verbot bestätigt. | |
Nun aber will der Ethikrat es reformieren. | |
In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme empfiehlt der Rat, den | |
Strafrechtsparagrafen 173 neu zu fassen. Im Moment verbietet dieser den | |
„Beischlaf“ mit „leiblichen Abkömmlingen“ oder „leiblichen Verwandten | |
aufsteigender Linie“. Auch „leibliche Geschwister“ werden bestraft, aber | |
erst, wenn sie über 18 Jahre alt sind. | |
Die Mehrheit des Ethikrats empfiehlt nun, die Strafbarkeit des Inzests | |
zwischen leiblichen Geschwistern über 18 Jahren aufzuheben. Ist einer der | |
Partner unter 18 und über 14, dann soll die Strafbarkeit nur aufgehoben | |
werden, wenn die beiden nicht „in einem Familienverbund tatsächlich | |
zusammenleben“. Sind beide Teil einer gelebten – nicht einer rein | |
rechtlichen – Familie, dann sollen sie weiterhin bestraft werden. | |
## In Frankreich erlaubt, in den USA verboten | |
Über den Inzest zwischen Kindern und Eltern spricht der Ethikrat | |
ausdrücklich nicht. Der Inzest wird in etwa der Hälfte der Länder auf der | |
Welt, so etwa in den meisten Staaten der USA, bestraft, in der anderen | |
Hälfte, etwa in Russland und Frankreich, ist er straffrei. | |
Das Inzestverbot werde unter anderem mit dem Schutz der Familie begründet. | |
Dieser Schutz entfalle aber, wenn die beiden Geschwister in getrennten | |
Familien aufwuchsen, argumentieren die Ratsmitglieder. Diese seien durch | |
eine Beziehung ihrer erwachsenen Kinder nicht gefährdet. Im Gegenteil | |
könnte das Inzestverbot Familien aus Geschwistern erst auseinanderreißen – | |
und gerade nicht schützen. | |
Als weiteren Grund für das Verbot sah auch das Verfassungsgericht die | |
Tatsache an, dass das Risiko erblich bedingter Krankheiten bei Kindern aus | |
Geschwisterverbindungen erhöht sei. Doch der Rat argumentiert, „dass für | |
andere Paare, die genetisch belastet sind, keineswegs ein Zeugungsverbot | |
ausgesprochen werden dürfte“. Zudem sei es möglich, dass aus dem | |
„Beischlaf“ niemals Kinder gezeugt würden, sei es durch Verhütung, sei es | |
durch das Alter der Beteiligten. | |
## Das Tabu bleibt auch ohne Strafe | |
Dass ein gesellschaftliches Tabu durch eine Strafnorm aufrechterhalten | |
werden müsse, lehnt die Mehrheit ebenfalls ab. Die Inzestabneigung entstehe | |
laut Wissenschaft durch die Nähe des Aufwachsens von Kindern – und nicht | |
durch ein kulturelles Tabu. „Das Tabu würde auch ohne Strafnorm seine | |
Wirkung behalten“, folgern die AutorInnen. Und ein reiner „Gefühlsschutz“ | |
einer gesellschaftlichen Mehrheit durch das Strafrecht sei nicht | |
gerechtfertigt. | |
Eine Minderheit des Ethikrats teilt diese Auffassung nicht: Der Inzest | |
zwischen Geschwistern führe zu einer Rollenverdopplung und Rollendiffusion. | |
Das Recht habe die Aufgabe, die Norm im allgemeinen Bewusstsein zu halten. | |
Der Symbolgehalt der teilweisen Aufhebung des Verbots würde ein | |
„irritierendes Signal“ aussenden und könne „Destabilisationsprozesse“ | |
auslösen. | |
Kritisch äußerte sich die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im | |
Bundestag Elisabeth Winkelmeier-Becker. „Der Wegfall der Strafandrohung | |
gegenüber inzestuösen Handlungen innerhalb von Familien würde dem Schutz | |
der unbeeinträchtigten Entwicklung von Kindern in ihren Familien | |
zuwiderlaufen.“ Aus der SPD hieß es, derzeit wolle sich niemand zu diesem | |
Thema äußern. | |
24 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
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