# taz.de -- Genossen machen die taz: Nicht nur Oma Ayse ist besonders | |
> Immer mehr Migranten werden in Deutschland alt und pflegebedürftig. Eine | |
> Reform der Pflegedienste ist überfällig – doch nicht nur ihretwegen. | |
Bild: Ein Teil der Lösung: Pflegende mit Migrationshintergrund. | |
BERLIN taz | Der Traum vieler türkischer MigrantInnen vom Lebensabend am | |
Bosporus verblasst langsam. Die Generation der „GastarbeiterInnen“, die | |
sich in der Bundesrepublik durch harte Arbeit und einen genügsamen | |
Lebensstil genug Geld verdienen wollten, um in der ursprünglichen Heimat | |
einen beschaulichen Lebensabend verbringen zu wollen, wird langsam | |
abgelöst. | |
Jetzt finden sich immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund, die in | |
Deutschland alt und pflegebedürftig werden. So langsam spricht sich diese | |
Erkenntnis rum, und es gibt vor allem in großstädtischen Ballungsräumen | |
oder in öffentlich geförderten Projekten Ideen zum Thema | |
„Multikulti“-Pflege, zu interkultureller Öffnung und interkultureller | |
Kompetenz. | |
Ambulante und stationäre Pflegeaufgaben sind körperlich und psychisch | |
anstrengende Jobs mit ungünstigen Arbeitszeiten und gerade bei den | |
ambulanten Pflegediensten eher karger Bezahlung, sarkastisch gesprochen ein | |
klassischer Frauenberuf. Und übrigens einer der wenigen echten Berufe, bei | |
denen es an Fachkräften mangelt. Und dieser Mangel wird zunehmen, weil die | |
Menschen älter und gebrechlicher werden. Oma Ayse braucht Pflege genau so | |
wie Opa Mehmet. | |
Weil familiär oder durch Haus- oder Wohngemeinschaften geprägte | |
Unterstützungsstrukturen abnehmen, ist professionelle Pflege notwendig. Die | |
häufig mit Angst besetzten Vorstellungen von Pflegeeinrichtungen hat der | |
geniale Kabarettist Georg Schramm anschaulich geschildert: „Sind Sie auch | |
Rentner? Pensionär sogar, noch besser. Heiminsasse oder freilaufend? Noch | |
draußen. Schön für Sie. Da haben Sie ja das Schlimmste noch vor sich.“ | |
Für Menschen mit Migrationshintergrund beinhaltet dieses „Schlimmste“ noch | |
weitere Unwägbarkeiten. Kommt mit dem Pflegedienst plötzlich ein Mann, um | |
die Mutter zu waschen? Und was ist eigentlich in dem „Essen auf Rädern“? | |
Schweinefleisch? „Vor allem in städtischen Ballungsgebieten wie Frankfurt, | |
Berlin oder dem Ruhrgebiet gibt es immer mehr betreuungsbedürftige | |
Ausländer“, beobachtet auch Oliver Aitcheson vom Bundesverband Ambulante | |
Dienste. „Viele Pflegedienste stellen deshalb gezielt ausländische | |
Mitarbeiter ein oder spezialisieren sich.“ | |
## Mit Unterschiedlichkeit umgehen | |
Doch „gezielt ausländische Mitarbeiter“ einstellen macht aus der Not eine | |
Tugend. Zwar ist es sinnvoll, die Einrichtungen interkulturell zu öffnen | |
und auch die Mehrsprachigkeit zu nutzen. Besser aber wäre es, durch | |
Qualifizierungen in interkultureller Kompetenz alle Pflegefachkräfte in die | |
Lage zu versetzten, mit Unterschiedlichkeit umzugehen. Es sind ja nicht nur | |
muslimische Frauen, die sich schämen, sich einem fremden Mann nackt zu | |
zeigen, oder nur gläubige Muslime, bei denen die Schuhe ausgezogen werden | |
sollen. | |
Das „Spezialisieren“ dagegen bringt gefährliche Entwicklungen hervor: In | |
einem Gespräch mit Pflegedienstleitungen warb ein Bereichsleiter deutlich | |
für „türkische Abteilungen“. Seitdem alle türkischen Menschen in einer | |
Abteilung untergebracht seien, gebe es keine Probleme mehr. Das Stereotyp | |
einer lärmenden Familienhorde wird hier massiv bedient und durch Separieren | |
„gelöst“. | |
Wenn meine Schwiegereltern, die sich als Bauern und Bäuerinnen gegen | |
Maschinenlärm und muhende Kühe verständigen müssen, mich besuchten, wären | |
meine sämtlichen migrantischen FreundInnen nicht mehr zu hören. Und wer | |
schon einmal Auseinandersetzungen von Aleviten mit Schiiten und Sunniten | |
erlebt hat, nimmt spätestens dann Abschied von der kruden Vorstellung, das | |
seien einheitlich agierende „Türken“ oder „Muslime“. | |
Das Ziel wäre also: Die Pflegekräfte sind genau so bunt, so kulturell, | |
ethnisch und sozial unterschiedlich wie die zu Pflegenden. Damit ich mich | |
auch im Ried-Dialekt über die grandiose Saison der Dortmunder Borussia im | |
Jahre 2012 unterhalten kann. | |
Dies ist ein Text aus der Sonderausgabe „Genossen-taz“, die am 14. April | |
erscheint. Die komplette Ausgabe bekommen Sie am Samstag an Ihrem Kiosk | |
oder am [1][eKiosk] auf taz.de. | |
13 Apr 2012 | |
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## AUTOREN | |
Walter Lochmann | |
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