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# taz.de -- Ausstieg aus der rechten Szene: Entwöhnung von den Kameraden
> Innerlich brach Felix Benneckenstein schon früh mit der rechten Szene.
> Doch es dauerte Jahre, bis er den Ausstieg fand. Inzwischen hat er selbst
> eine Aussteigerhilfe gegründet.
Bild: Es ist nicht leicht, sich aus der Gruppe auszuklinken: Neonazis in Bayern.
MÜNCHEN taz | Am schwersten zu glauben ist für Felix Benneckenstein, dass
man ihm verzeiht. Der 25-jährige ehemalige Rechtsradikale sitzt in einem
Wienerwald-Restaurant in München-Obergiesing, neben ihm seine Freundin
Heidi – auch sie lange Jahre in der Szene aktiv, bevor sie mit ihm
gemeinsam ein neues Leben anfing. Vor ihm eine halbe Maß Bier und in seinem
Gesicht, einem pausbackigen Jungengesicht, großes Erstaunen, ja
Ungläubigkeit fast, dass ihm diese Gesellschaft, zu der er nie gehören
wollte und die er aus tiefstem Herzen verabscheute, nun so viel Vertrauen
und Wohlwollen entgegenbringt.
Gerade hat ihn ein Reporter des Bayerischen Rundfunks angerufen, um ein
Interview zu vereinbaren. Die Medien machen derzeit viel Wirbel um
Benneckenstein. Denn er hat die Szene nicht nur verlassen. Er hat darüber
hinaus auch eine privat organisierte Aussteigerhilfe für ehemalige Neonazis
gegründet. Darüber wollen viele berichten. Dem Journalisten vom Telefon war
Benneckenstein schon früher begegnet.
Damals war er noch im Freien Netz Süd aktiv. Gemeinsam mit anderen
Kameraden störte er einen Vortrag, den der Reporter über die rechte Szene
in Bayern hielt. Genau kann sich Benneckenstein nicht mehr erinnern. Es
waren so viele Aktionen damals. „Auf jeden Fall wurden wir irgendwann des
Saales verwiesen“, sagt er und grübelt. „Vermutlich haben wir im Gehen
Parolen geschrien.“ Dass dieser Mann nun freundlich zu ihm ist, passt nicht
in Benneckensteins Weltbild. Denn das war in den vergangenen zehn Jahren
von Ablehnung, Hass und einer kruden Ideologie geprägt.
Bereits mit fünfzehn kam Benneckenstein mit der Szene in Kontakt, in
Erding, einer 35.000-Einwohner-Stadt, 36 Kilometer nordöstlich von München.
Es war, wie man es aus den Klischees kennt: Sie schnitten sich die Haare
kurz, trugen New-Balance-Schuhe und Bomberjacken und waren ganz begeistert
von dem Film „American History X“.
Um Politik ging es damals noch nicht, Benneckenstein wollte gegen die
Eltern aufbegehren. Er stammt aus einem gutbürgerlichen, linksliberalen
Elternhaus. Schuld an seinem Verhalten will er ihnen nicht zuweisen. Die
Sache zu psychologisieren, davon hält er nichts. Im Gegenteil. „Meine
Eltern haben immer wieder versucht, mich davon abzubringen“, betont er.
Doch Benneckenstein wollte nicht hören. Er wollte alles anders machen. Also
suchte er sich das, was seine Eltern am meisten schmerzte – die rechte
Szene.
## Der Hass verbindet
Schlechte Erfahrungen mit Ausländern hatte er bis dahin nicht gemacht.
„Aber das passiert ganz von allein, wenn man sich in diesen Kreisen
bewegt.“ Der Hass gegen Ausländer war das verbindende Element. Wer bislang
keine Konflikte mit Migranten kannte, erlebte sie spätestens in der Gruppe.
Dazuzugehören war wichtiger als die Logik, die dahintersteckt. Oder die
Wahrheit. Wer nichts Negatives erlebt hatte, der dachte sich einfach etwas
aus.
Zeitgleich ging er vom Gymnasium ab, reichte bei Prüfungen so lange leere
Seiten ein, bis ihm seine Eltern den Wechsel an die Hauptschule erlaubten.
Er zog zu Hause aus, wohnte mal hier, mal dort und verließ die Schule ohne
Abschluss. „Man fühlt sich in einer Märtyrerrolle – einer gegen alle“, …
Benneckenstein, „rebelliert gegen die Spießigkeit.“
2004 nahm er Kontakt zum NPD-Bezirksverband Oberbayern auf, ließ sich
„Schulungsmaterial“ schicken. „Ich wollte nicht der Mitläufer sein, von …
in den rechten Songs immer die Rede ist, wollte in politischen Diskussionen
mitreden können.“ Von da an ging alles sehr schnell, fast automatisch.
„Plötzlich habe ich all die Leute kennengelernt, die ich vorher nur aus dem
Fernsehen kannte“, sagt Benneckenstein. „Das hat mir imponiert.“
Gemeinsam mit anderen half er, den NPD-Kreisverband
Erding-Freising-Ebersberg aufzubauen, fuhr mit seinem Infostand von Dorf zu
Dorf und veranstaltete Liederabende. Weil er ganz gut Gitarre spielen
konnte, trat er als Liedermacher Flex auf, sang vom Wiederaufbau
Deutschlands, von der Volkssolidarität und dem Kampf für Freiheit und gegen
Antifaschisten. „Man hat es leicht, dort jemand zu werden“, sagt er. „Und
dann ist man wer.“ Brüche in der nationalsozialistischen Ideologie blendete
er aus.
## Besessen von der ’Revolution‘
Bald schon war ihm die NPD nicht mehr radikal genug. Er sah keinen Sinn
darin, die Gesellschaft auf parlamentarischem Weg zu verändern. „Ich wollte
das System zerschlagen, und gegen den Staat war jedes Mittel recht.“ Also
schloss er sich der Kameradschaft München an, diskutierte nächtelang über
den Umsturz der Gesellschaft, ging zu Mahnwachen, auf Demonstrationen und
Konzerte und war stolz darauf, mit den „bösen Buben aus dem Fernsehen“
persönlich bekannt zu sein. Eine Bäckerlehre brach er ab, weil der Betrieb
pleiteging. Danach hielt er sich als Hilfsarbeiter über Wasser.
„Ich war so besessen von einer ’Revolution‘, dass mir arbeiten nicht so
wichtig war wie der sogenannte Kampf“, sagt er. Im Juli 2007 schließlich
zog er nach Dortmund-Dorstfeld, einen Stadtteil, der, wie Benneckenstein
sagt, „der rechten Szene gehört“. Etwa ein Jahr lang wohnte er in einem
Haus mit mehreren Kameraden und fand, was er in Bayern immer aufbauen
wollte: „Eine starke nationale Bewegung, die in der Jugendkultur eine
gewisse Vormachtstellung beansprucht.“
Doch in Dortmund kam es auch zum Bruch. Als sich ein guter Freund
ideologisch distanzierte und ihm andere Kameraden daraufhin die Türe
eintraten und ihn bedrohten, weigerte sich Benneckenstein mitzumachen,
versuchte den Kumpel vor der Wut der Kameraden zu schützen. Daraufhin wurde
auch er geächtet. Er ging zurück nach München und stürzte in die Sinnkrise.
„Eigentlich wollte ich damals schon aussteigen“, sagt er rückblickend.
Doch es kam alles anders. Ein Freund nahm sich das Leben. Es folgte ein
weiterer persönlicher Schicksalsschlag. Außerdem erschien sein Album, das
er schon vor längerem mit der Combo „Bock auf Freiheit“ produziert hatte.
Benneckenstein war als Liedermacher plötzlich so gefragt wie nie. Obwohl
ihn schon Zweifel plagten, schien es ihm leichter, sich in die Geborgenheit
des alten Freundeskreises zu flüchten.
„Wie stark der Einfluss des persönlichen Umfelds sein kann, wird außerhalb
der Szene immer unterschätzt“, sagt er. „Die alten Freunde, dieses gewohnte
Leben, von dem man sich nur schwer trennen kann, all das kann die
Entscheidung zum Ausstieg um Jahre verzögern.“ Benneckenstein begann ein
Doppelleben. Zu Hause, mit Freundin Heidi, diskutierte er über die
Neonazi-Ideologie, die ihm immer weniger schlüssig erschien. Draußen vor
den Kameraden und auf der Bühne markierte er den starken Mann und erspielte
mit seinen Auftritten viel Geld für die Kameradschaftskasse.
## Die Aussteigerinitiative lehnt ab
2009 kam die endgültige Wendung: Beim Versuch, eine Freundin zu schützen,
wurde er von einer Gruppe rivalisierender Neonazis verprügelt und erlitt
ein Schädelhirntrauma. Als er von der Polizei verhaftet wurde – gegen
Benneckenstein lagen mittlerweile fünf Haftbefehle wegen Landfriedensbruch,
Beleidigung, versuchter Körperverletzung und nicht bezahlter Geldstrafen
vor – trat der Verfassungsschutz an ihn heran und legte ihm eine Aussage
gegen einen seiner Peiniger nahe.
Im Gefängnis dachte er darüber nach. „Mit dem Staat zu kooperieren, ist in
der Szene ein Tabu“, erklärt er. Benneckenstein sah in dem Schritt jedoch
eine Chance. Im Mai 2010 sagte er gegen den Neonazi aus. Noch in Haft bat
er die Sozialarbeiterin, einen Kontakt zur Berliner Aussteigerinitiative
Exit zu vermitteln. Doch die lehnte ab, riet ihm, sich an die
Aussteigerhilfe des bayerischen Verfassungsschutzes zu wenden. „Aber einer
Institution, die selbst Mitarbeiter in die Szene einschleust, wollte ich
nicht vertrauen.“ Nach seiner Entlassung musste er deshalb selbst
zurechtkommen. „Ohne meine Freundin hätte ich es nicht geschafft.“
Benneckenstein stand vor dem Trümmerhaufen, der einmal sein sehr verqueres
Leben war. Er holte die Mittlere Reife nach und begann eine Lehre in einem
sozialen Betrieb. Und er gründete, unterstützt von Exit, selbst eine
Initiative für ausstiegswillige Neonazis.
Die implizite Anklage, die hinter dem durch Spendengelder finanzierten
Verein „Aussteigerhilfe Bayern“ steckt, wiegt schwer. „Der Staat hätte so
viele Möglichkeiten gehabt, wenigstens zu versuchen, mich zum Nachdenken zu
bringen“, sagt Benneckenstein aufgebracht. Das Bierglas vor ihm ist längst
nicht mehr das erste. „Niemand hat uns in der Schule mal beiseitegenommen
und mit uns geredet, obwohl alle wussten, was mit uns los war“, zählt er
auf. „Oder in der JVA, da wäre so viel Zeit gewesen, aber kein
Sozialarbeiter, der das Gespräch sucht, nichts.“
Auch die Diskussion über ein NPD-Verbot dürfe nicht geführt werden, ohne
nicht auch über Alternativen für die Rechtsradikalen, die dort engagiert
sind, nachzudenken. „Irgendjemand muss die Leute doch auffangen“, sagt er.
Diese Aufgabe will Benneckenstein nun neben Vorträgen und Präventionsarbeit
an Schulen selbst übernehmen. Will anderen Rechtsradikalen zeigen, was er
in den letzten Monaten erfahren hat: dass diese Gesellschaft so viel mehr
ist als nur ein vermeintlich repressiver Staat.
Zwar fürchtet er die Wut, die seine ehemaligen Kameraden auf ihn haben
könnten. Doch seine neue Überzeugung wiegt schwerer. „Jetzt, da ich endlich
frei denken kann, ist es für mich eine absolut logische Schlussfolgerung,
dass ich alles daransetze, anderen Jugendlichen diesen Weg zu ersparen.“
17 Apr 2012
## AUTOREN
Marlene Halser
## TAGS
Schwerpunkt Neonazis
Schwerpunkt Rechter Terror
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