# taz.de -- NPD-Aussteiger integrieren: Nazis rein! | |
> Die NPD und andere Neonazis gehören geächtet. Aber Aussteiger sollten von | |
> Parteien und Verbänden eingebunden werden - auch von den Piraten. Ein | |
> radikales Plädoyer. | |
Bild: Paradoxer Umgang: Nazis sollen aussteigen – aber dann will sie keiner h… | |
Wie kann man eigentlich die NPD gut finden? Wie kann man Ausländer | |
rauswerfen wollen, Holocaustleugner zu seinen Kameraden zählen und sich | |
einer autoritären Führung unterordnen? Wie muss ein Mensch ticken, der | |
dabei einmal mitgemacht hat? Und warum sollte man so jemanden noch bei | |
Attac, bei der SPD, bei Amnesty International und dem Bund für Umwelt und | |
Naturschutz, bei den Grünen oder als Mitglied der taz-Redaktion aufnehmen? | |
Gerade diskutiert die Piratenpartei über den Umgang mit ehemaligen | |
NPD-Mitgliedern. Anlass: Matthias Bahner und Valentin Seipt. Der eine war | |
bis vor Kurzem Mitglied des Landesvorstandes Mecklenburg-Vorpommern, der | |
andere war der Kreisvorsitzende der Freisinger Piraten. Beide mussten von | |
diesen Ämtern zurücktreten, nachdem ihre NPD-Vergangenheit ans Licht kam. | |
Der Umgang vieler Linker mit NPD-Mitgliedern ist verlogen und hochgradig | |
paradox. Solange sie in der Partei sind, fordert man sie auf, unverzüglich | |
auszusteigen und sich von ihrem rechtsextremen Freundeskreis loszusagen. | |
Die rot-grüne Bundesregierung finanzierte 2001 sogar aus dem Bundeshaushalt | |
ein Aussteigerprogramm für Mitglieder der rechten Szene, inklusive | |
Unterstützung bei der Suche nach neuer Wohnung und neuem Job. Das gleiche | |
Ziel verfolgt die private Initiative "Exit", finanziert unter anderem über | |
Spenden und Zuschüsse der Amadeu-Antonio-Stiftung. | |
## Rechte Vergangenheit verjährt nicht | |
Wer aber endlich ausgestiegen ist, wird keineswegs freudig aufgenommen. Das | |
Strafrecht kennt die Verjährung - doch wer eine Vergangenheit bei den | |
Rechtsextremen hatte, muss ein Leben lang damit rechnen, sich Vorwürfe | |
anzuhören und ausgegrenzt zu werden. Egal ob jemand auf die linke oder auf | |
die bürgerliche Seite wechselt. Die taz zum Beispiel schreibt in ihren | |
Artikeln über Braunschweig immer mal wieder, dass der dortige | |
CDU-Oberbürgermeister Gert Hoffmann früher in der NPD war. Oft ohne zu | |
erwähnen, dass das während seines Studiums war und inzwischen 42 Jahre her | |
ist. | |
Wenn ehemalige Nazis sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen und | |
begründen können, warum sie die damaligen Positionen heute für falsch | |
halten - warum sollte man sie nicht mit offenen Armen empfangen? Als | |
Basismitglieder, aber auch als Stadtratsabgeordnete, | |
Landesvorstandsmitglieder, Bürgermeister, Parlamentarier und Minister? | |
Das ist auch die Voraussetzung dafür, dass für Nazis der Ausstieg aus der | |
rechten Szene überhaupt als Alternative erscheint. Wer diesen Schritt geht, | |
verliert schließlich sein bisheriges Umfeld. Warum sollte man das tun, wenn | |
man weiß, dass man nur sehr schwer wieder irgendwo anders aufgenommen wird? | |
Wer ehemalige Nazis ausgrenzt, setzt also die falschen Anreize für die | |
Nazis, die noch über den Ausstieg nachdenken. | |
Die beiden Piraten Matthias Bahner und Valentin Seipt haben nicht von sich | |
aus über ihre Vergangenheit bei der NPD informiert. Bahner hatte sogar | |
explizit die Frage verneint, ob er schon einmal in einer anderen Partei | |
war. Erst auf Druck von außen offenbarten die beiden sich. Das war ihr | |
Fehler. | |
## Wahrheit muss sich lohnen | |
Bei Bahner kam dazu, dass er die Wahrheit erst nach und nach eingestand. In | |
einer ersten Stellungnahme sagte er noch: "Meine Aktivitäten dort | |
beschränkten sich ausschließlich auf Freizeitaktivitäten mit meinen | |
damaligen Schulfreunden." Er habe die Partei im Jahr 2004 verlassen. | |
Bahner bot damit der NPD eine Steilvorlage, um sich an ihrem Aussteiger zu | |
rächen. Die Partei teilte auf ihrer Webseite mit, dass Bahner "an | |
zahlreichen Kreisverbandssitzungen teilgenommen hat, sich an den Protesten | |
gegen die Anti-Wehrmachtsausstellung in Peenemünde beteiligte". Zudem sei | |
Bahner erst 2006 von der Mitgliederliste gestrichen worden - aber nicht | |
wegen eines Austritts, sondern weil er ein Jahr lang seinen | |
Mitgliedsbeitrag nicht mehr gezahlt hatte. Damit hat die NPD erreicht, was | |
sie wollte: Innerhalb der Piratenpartei laufen derzeit die Vorbereitungen | |
für ein Ausschlussverfahren gegen Bahner. "Tugenden wie Transparenz, | |
Offenheit und Ehrlichkeit, für die wir Piraten stehen, wurden massiv | |
verraten", heißt es darin zur Begründung. | |
Natürlich muss man von Politikern erwarten, dass sie über ihre | |
Vergangenheit nicht lügen. Valentin Seipt begründete sein Schweigen: Er | |
habe Vorurteile gefürchtet und deshalb auch seinem neuen Freundeskreis | |
nichts gesagt. Das kann man feige finden. Oder man überlegt, wie man es | |
NPD-Aussteigern leichter macht - damit es möglichst viele von ihnen gibt. | |
12 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |