| # taz.de -- PR-Strategie für die Piraten: Eleganz für Anfänger | |
| > Nazi-Vergleiche, Ahnungslosigkeit – die Piraten scheitern kommunikativ | |
| > des Öfteren. Zeit für eine professionelle Beratung aus der taz-Redaktion. | |
| Bild: Liebe Piraten, so kann das nicht weiter gehen, wir hätten da ein paar Ä… | |
| Du sollst nicht mit dem Nazi vergleichen | |
| Die erste Regel der deutschen Medienkommunikation ist einfach: Vergleiche | |
| nie mit der NSDAP, denn sie tut dir weh. Immer. | |
| Sätze wie „Der Aufstieg der Piratenpartei verläuft so rasant wie der der | |
| NSDAP zwischen 1928 und 1933“ machen in null Komma nix aus dem besonnen | |
| wirkenden Berliner Fraktionsgeschäftsführer der Piraten, Martin Delius, | |
| einen Irren auf dem Cover der Boulevardpresse. | |
| Denn Sarrazin zum Trotz: Solche Aussagen sind in Deutschland Selbstmord. | |
| Egal ob für die Exfernsehansagerin Eva Herman, die Hitlers Familienpolitik | |
| lobte, oder für Hertha Däubler-Gmelin, die ihren Abgang als | |
| Bundesjustizministerin selbst organisierte, als sie einen US-Präsidenten | |
| mit Hitler verglich. | |
| Dass die Piraten immer wieder in die rhetorische Nazi-Falle tappen, wundert | |
| eigentlich - sie kennen doch „Godwins Law“. Danach wächst die | |
| Wahrscheinlichkeit, dass in einer Onlinediskussion ein Nazivergleich | |
| gezogen wird, umso mehr, je länger sie läuft. Also: sich kurzfassen. | |
| Lass ab von Frauen | |
| „Die Frauen wollen halt nicht so in der ersten Reihe stehen, da muss man | |
| dann ja manchmal vor hundert oder tausend Leuten sprechen.“ Das sagte der | |
| frisch ins Berliner Abgeordnetenhaus gewälte Pirat Andreas Baum. Ein Satz, | |
| der zweierlei Probleme illustriert: 1. Das Gegenteil von gut ist häufig gut | |
| gemeint. Es ist schwierig, über etwas zu kommunizieren, das einem fremd | |
| ist. 2. Medien lieben einfache Themen und Thesen. Männerpartei, Sexismus - | |
| zack! - fertig ist die Geschichte. Bequemer für Journalisten als | |
| komplizierte Sachpolitik. | |
| Wenn dann noch Mitpiratinnen und Parteinachwuchs Sexismus als ein Problem | |
| beklagen, muss kommunikativ gegengesteuert werden. Aber im Optimalfall | |
| etwas sensibler als Piratensprecher Aleks Lessmann, der sagte: „In jeder | |
| Partei gibt es ,10 Prozent Idioten', um mal Gregor Gysi zu zitieren. Dazu | |
| gehören Ausländer- und Frauenfeinde.“ | |
| Wir brauchen schöne Bilder | |
| Urheberrecht aufweichen, Bedingungsloses Grundeinkommen ausprobieren, | |
| U-Bahn-Fahren ohne Fahrschein - viele Forderungen der Piratenpartei wirken | |
| wie ein klares Bekenntnis zur aufgehaltenen Hand - ohne den Schimmer einer | |
| Ahnung, wie man das eigentlich jemals seriös finanzieren soll. | |
| Da hilft es auch nicht, wenn zum Beispiel der medial äußerst aktive | |
| Berliner Piratenpartei-Abgeordnete Christopher Lauer im Streitgespräch mit | |
| Musiker Jan Delay im Spiegel bekennt, dass er sich neue Folgen der US-Serie | |
| "Family Guy" bei Pirate Bay herunterlädt. | |
| Warum also nicht einfach mal positive Bilder schaffen? Auf einem | |
| iTunes-Einkauf mit dem Piraten! Pressetermin am Fahrkartenautomaten des | |
| lokalen Nahverkehrsanbieters! Christopher Lauer bestellt ein Kamerateam | |
| hinzu, wenn er einem Straßenmusiker einen Fuffi in den Hut schmeißt! Das | |
| wären doch mal Bilder. | |
| Von den Grünen lernen | |
| Schon klar: Frisch und jung und unverbraucht sind die Ex-Stricker, Ökos und | |
| Friedensbewegte von den Grünen schon lange nicht mehr. Und trotzdem können | |
| sich auch die Piraten von dieser ehemaligen Lieblingspartei der Jungwähler | |
| eine Scheibe abschneiden. Zum Beispiel von ihrer Langatmigkeit. Oder | |
| formulieren wir es positiv: von ihrer Nachhaltigkeit. | |
| Den Atomausstieg zu fordern war zum Beispiel in den Achtzigern ungefähr | |
| ähnlich ambitioniert, um nicht zu sagen wahnsinnig, wie heute | |
| Internet-Tauschbörsen zu legalisieren oder gar das Urheberrecht insgesamt | |
| aufzuweichen. Aber was haben die Grünen gemacht? Dieselben Forderungen | |
| wieder und wieder gestellt. Kritiker behaupten gar, sie hätten unglaublich | |
| genervt. Und das über Jahrzehnte. Bis die Grünen jetzt, endlich, ihren | |
| Willen bekommen haben. Dauerhaft haltbar trotz öko - das richtige Nerven | |
| lernen heißt siegen lernen. | |
| Das Schimpfwort ist die Waffe des Rebellen, bis sie sich gegen ihn selbst | |
| richtet | |
| Für das antibürgerliche Image der Piraten ist es förderlich, sich nicht dem | |
| Sprech der etablierten Parteien anzugleichen. Auch Kraftausdrücke können | |
| dabei gewinnbringend Anwendung finden. Folgendes Beispiel zeigt jedoch, | |
| dass Wörter wie „Scheiße“ und „Kacke“ im falschen Kontext negative Wi… | |
| entfalten können: Im Januar kritisierte Pirat Kevin Barth auf Twitter die | |
| „israelische Kackpolitik“. Dabei äußerte er auch, dass er den "Juden an | |
| sich" unsympathisch finde. In Anbetracht der problematischen Vergangenheit | |
| Deutschlands - hier sei auf den Holocaust verwiesen - sind Kraftausdrücke | |
| insbesondere im Kontext von Israel, Judentum und Holocaust tendenziell eher | |
| zu vermeiden. Äußerungen wie „der Jude an sich“ können zudem den Eindruck | |
| einer unangemessenen Verallgemeinerung erwecken, was besonders im | |
| angesprochenen Kontext negative Reaktionen von Kritikern und Medien | |
| hervorrufen kann. | |
| Sorgfalt statt Sorgenfalten | |
| Flüchtigkeitsfehler passieren. Sie rufen aber den Anschein mangelnder | |
| Seriosität hervor. Dies ist auch beim Erstellen von Wahlprogrammen zu | |
| beachten. Sinnvoll ist es, diese vor der Veröffentlichung Korrektur lesen | |
| zu lassen. Dabei werden nicht nur Rechtschreib- und Grammatikfehler, | |
| sondern auch inhaltliche Fehler herausgefiltert. Beim | |
| schleswig-holsteinischen Piraten-Programm hätte ein sorgfältiger | |
| Korrekturleser beispielsweise gemerkt, dass die kommunalen Vertretungen in | |
| Schleswig-Holstein nicht wie in Baden-Württemberg „Verwaltungsräte“ heiß… | |
| sondern „Gemeinde- und Stadtvertretungen“. Flüchtigkeitsfehler dieser Art | |
| passieren vor allem dann, wenn Textstellen aus anderen Dokumenten wie etwa | |
| dem baden-württembergischen Parteiprogramm kopiert werden. Aber: Falsche | |
| Bezeichnungen von politischen Institutionen können den Eindruck erwecken, | |
| die Piraten wüssten nicht, wovon sie sprechen. Also lieber noch mal | |
| Korrektur lesen. | |
| Ahnung haben, nicht ahnen | |
| Der größte rhetorische Clou der Piratenpartei ist ohne Zweifel ihr | |
| authentisches Schulterzucken: Jede entwaffnend transparent gemachte | |
| Wissenslücke finden die Wähler bislang offenkundig erfrischend. | |
| Wie viele Schulden das Land Berlin hat? Lernte Berlins Spitzenkandidat | |
| Andreas Baum erst, nachdem er sich in einer Talkshow blamiert hatte. | |
| Eurokrise? „Wir sollten Angst haben vor einfachen Lösungen“, mäanderte die | |
| politische Geschäftsführerin Marina Weisband im Januar. Ein Weilchen mag | |
| diese „Wissen wir noch nicht“-Botschaft noch funktionieren. Besonders, weil | |
| sich die Piraten durch einen schlauen Kniff noch etwas Luft verschafft | |
| haben: indem sie den anderen Parteien vorwerfen, sie würden sich aufgrund | |
| mangelnder Ahnung auch ständig umentscheiden, die Piraten machten das nur | |
| transparenter. Aber die Geschichte zeigt: Nur wer Ahnung zumindest | |
| suggeriert, gestaltet auch poltisch mit. | |
| 24 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| M. Laaff | |
| J. Hagmann | |
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