# taz.de -- Probleme von Jungparteien: Kinderkrankheiten | |
> Die Grünen hatten Anfang der 1980er ihr braunes Waterloo. Inklusive | |
> analogem Shitstorm. Der Unterschied zu den Piraten: Sie hatten noch mit | |
> Veteranen der NS-Zeit zu kämpfen. | |
Bild: Ohne Impfung drohen klassische Kinderkrankheiten. | |
KÖLN taz | Der Aufschrei war groß. In den Medien, aber auch parteiintern. | |
Dass sich ein führender Funktionär der noch jungen Partei zu einem solch | |
geschmacklosen Vergleich hinreißen ließ, stieß bei vielen auf blankes | |
Unverständnis. Sie steige „formell nach einem ähnlichen Muster auf wie die | |
Nazi-Partei“, sagte das Bundesvorstandsmitglied. Und es setzte noch einen | |
drauf: Die „Gier, sich durch Aufstieg zur politischen Macht zu | |
verwirklichen“ zeige „formale Ähnlichkeiten“ mit der „aufsteigenden | |
Nazi-Partei“. | |
Nein, das stammt weder von Martin Delius noch von sonst einem verwirrten | |
Piraten. Es war Rudolf Bahro, der diese abenteuerliche Parallele gezogen | |
hat. Auf der Bundesversammlung der Grünen 1984 in Hamburg. Die Rede des | |
früheren DDR-Dissidenten, seinerzeit einer der Wortführer des | |
fundamentalistischen Flügels der Grünen, sorgte für heftige Turbulenzen. | |
Mit großer Mehrheit beschloss der Parteitag, sich von Bahros Äußerungen zu | |
distanzieren. | |
Bahro selbst sagte zum Abschluss der Debatte, dies sei „vielleicht mein | |
politischer Selbstmord innerhalb der Grünen“. Genauso war es auch: Ein Jahr | |
später trat der einstige Held der undogmatischen Linken in der BRD aus der | |
Partei aus. | |
Bisweilen wiederhole sich Geschichte, wenn auch nur als Farce, schrieb | |
einmal Karl Marx. Wer sich die derzeitige Aufregung über die Piratenpartei | |
mit den Anfangsjahren der Grünen vergleicht, muss zu dem Schluss kommen, | |
dass da etwas dran ist. Auch die Grünen hatten Anfang der achtziger Jahre | |
ihre gehörigen Probleme mit absurden Nazi-Vergleichen. | |
## Lust zur Provokation | |
Wie Delius war auch Bahro kein Nazi, sondern nur jemand, dem seine Lust zur | |
Provokation eine Falle gestellt hatte. Aber gleichwohl gab es auch bei den | |
Grünen solche wie jenen älteren Herrn, „der sich nach dem dritten Bier | |
nicht gerade freundlich über die Juden geäußert hat“, wie es der damalige | |
ökolibertäre Grüne und heutige Welt-Herausgeber Thomas Schmid seinerzeit | |
zurückhaltend formulierte. | |
Gehörige Probleme hatte die Partei auch im Umgang mit den bräunlichen | |
Gesellen, die bei ihr Unterschlupf gesucht hatten. 1985 sah sich der | |
Bundeshauptausschuss der Grünen sogar gezwungen, den – in Konkurrenz zur | |
Alternativen Liste stehenden – grünen Landesverband in Westberlin wegen | |
neonazistischer Unterwanderung zwangsaufzulösen. | |
## Desaster für die Ökopartei | |
Zum Glück für die Piraten gibt’s allerdings einen gravierenden Unterschied: | |
Die Grünen hatten noch mit den Veteranen der NS-Zeit zu kämpfen. Ein | |
Problem, das sich aus demografischen Gründen der Piratenpartei nicht mehr | |
stellt. So wird ihnen ein Desaster, wie es die Ökopartei nach der | |
Bundestagswahl im März 1983 erlebte, erspart bleiben. | |
Werner Vogel war damals für Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt | |
worden. Als Alterspräsident hätte der 75-jährige Pensionär eigentlich als | |
erster Grünen-Abgeordneter überhaupt im Deutschen Bundestag reden sollen. | |
Doch dann holte ihn seine Vergangenheit ein: Die Medien machten öffentlich, | |
dass Vogel im Dritten Reich Mitglied der NSDAP und der SA gewesen war. | |
Die siegestrunkenen Grünen trafen diese Schlagzeilen völlig unvorbereitet. | |
Die einen verlangten den sofortigen Mandatsverzicht, andere wollten, dass | |
Vogel in der Rede als Alterspräsident seinen Rücktritt erklärte. Wieder | |
andere meinten, er solle das Mandat annehmen – schließlich sei er | |
„geläutert“. Tränen flossen, Vogel verzichtete auf sein Mandat, und die | |
NRW-Grünen organisierten eiligst eine Versammlung mit dem Titel | |
„Nationalsozialistische Vergangenheit und grüne Zukunft“. | |
24 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
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