# taz.de -- Training für Olympia in Berlin: London Calling | |
> Das größte Leistungszentrum für deutsche Sportler steht in | |
> Hohenschönhausen. Bis zu 700 AthletInnen trainieren hier für ihr großes | |
> Ziel - die Olympischen Sommerspiele | |
Bild: Da soll's hingehen: Organisator Sebastian Coe mit der Olympischen Flamme … | |
Alexander Nobis hat die letzten 1.000 Meter vor sich, er kneift die Augen | |
zusammen. Seit 30 Minuten läuft er gegen das Band an – zunächst langsam, | |
nun im schnellen Wettkampftempo. Es ist Viertel vor zehn am Freitagmorgen. | |
Nobis ist Moderner Fünfkämpfer und absolviert einen Stufentest auf dem | |
Laufband. Dabei wird das Band intervallweise schneller gestellt, gerade ist | |
es bei 18 Stundenkilometern angekommen. | |
Der 21-jährige Sportler atmet schwer, er hechelt fast. „Eine Stufe noch“, | |
keucht er. Nobis ist angeschnallt auf dem Band, er trägt Elektroden unter | |
einem Netzhemd auf der Haut, eine Atemmaske sitzt auf seinem Mund. Neben | |
ihm blinken auf zwei großen Monitoren Kurven und Zahlen: Laboratmosphäre. | |
„Dort sehen wir Puls und Sauerstoffwerte beim Atmen“, sagt Elke Neuendorf, | |
Sportmedizinerin am Olympiastützpunkt in Hohenschönhausen, während sie auf | |
einen der Bildschirme zeigt. „Und links messen wir die Herzfrequenz.“ | |
Hier, am Sportforum, befindet sich mit dem Olympiastützpunkt das größte | |
Leistungssportzentrum Deutschlands. Die 35 festen Mitarbeiter vor Ort – | |
darunter Trainer, Sportmediziner und Psychologen, Physiotherapeuten und | |
Laufbahnberater – betreuen bis zu 700 AthletInnen in 17 olympischen | |
Disziplinen. | |
Die meisten von ihnen arbeiten derzeit auf dieses eine Ziel hin: London | |
2012. Nur noch zwölf Wochen sind es bis zum Beginn der Sommerspiele Ende | |
Juli. „Man merkt schon, dass das Olympiajahr etwas Besonderes für die | |
Athleten ist“, sagt Neuendorf. „Da sind alle ein bisschen kribbelig.“ | |
Nobis hat es geschafft. Noch ein bisschen Auslaufen, dann steigt er vom | |
Band. Die Adern im Gesicht zeichnen sich ab, der Blick des schmalen, großen | |
Sportlers geht ins Leere. „Die Fünfkämpfer haben meistens Topwerte“, sagt | |
Neuendorf – zum Fünfkampf gehören die Disziplinen Fechten, Schwimmen, | |
Reiten, Schießen und Crosslaufen. Für Nobis sieht der Stufentest gut aus: | |
Atem- und Herzfrequenz, Belastungspuls – alles bestens. Noch ist er | |
allerdings nicht für Olympia qualifiziert, der Leistungscheck am | |
Olympiastützpunkt ist ein weiterer Schritt auf dem Weg dorthin. | |
Seit 1987 gibt es den Stützpunkt in Berlin. Zunächst war er im Olympiapark | |
angesiedelt, dann zog die Zentrale nach der Wende ins Sportforum. Seither | |
findet sich hier die Eliteförderung des Sports. Bundesweit gibt es 19 | |
Olympiastützpunkte – jeweils mit regionaler Schwerpunktsetzung der | |
Sportarten. In Berlin liegt der Schwerpunkt auf den Disziplinen Schwimmen, | |
Leichtathletik, Fechten, Judo, Boxen und den Eisdisziplinen. Die | |
Leistungssportler und ihre Trainer finden hier an einem Ort ein gebündeltes | |
Betreuungsangebot vor. | |
Das Gelände des Stützpunkts breitet sich auf einem Areal von 45 Hektar aus | |
– einer Fläche von mehr als 60 Fußballfeldern. Hier gibt es 35 | |
Sportanlagen, darunter drei Eishallen, zwei Turn- und zwei | |
Leichtathletikhallen. Das Rundumpaket für Sportler sieht neben den | |
Trainingsstätten die sportmedizinische Betreuung, die Karriereplanung der | |
Athleten und ein an den Stützpunkt angeschlossenes Internat vor. Auch der | |
Behindertensport ist hier zu Hause: Etwa 30 Athleten bereiten sich derzeit | |
auf die Paralympics vor, die fünf Wochen nach den Olympischen Spielen am | |
29. August beginnen. | |
Neuendorf und ihre beiden Assistentinnen sitzen vor den Sportlerakten und | |
tragen die neuen Werte ein. Fettgehalt des Körpers, Sauerstoffaufnahme, | |
Laktatwerte, Energiebedarf, Puls, Herzfrequenz – es gibt kaum einen Wert, | |
der mit den Hightech-Apparaten nicht zu erfassen ist. Einige Geräte, die | |
hier in der medizinischen Abteilung des Olympiastützpunkts stehen, sind | |
extra für Spitzensportler entwickelt worden. Das Laufband, auf dem sich der | |
Moderne Fünfkämpfer gerade gequält hat, kostet etwa 100.000 Euro. Es eignet | |
sich auch für Radsportler, man kann Steigungen darauf fahren. „Bis zu 17 | |
Prozent Anstieg schaffen wir“, sagt Neuendorf. Die Radler trainieren im | |
Winter auf dem Band und simulieren ihren ganz persönlichen Giro. | |
Die Ausstattung in Berlin ist ein Grund, warum Athleten auch aus anderen | |
Bundesländern anreisen – etwa 15 Prozent der deutschen Spitzenathleten | |
kommen hierher. „Wir haben außerdem die Sportmedizin und Reha direkt vor | |
Ort, während andere Stützpunkte mit externen Ärzten und Therapeuten | |
arbeiten“, sagt Neuendorf und betont: „Wir stehen voll hinter diesem | |
Konzept.“ Der Olympiastützpunkt wird zu 95 Prozent vom Bund und zu 5 | |
Prozent vom Land und aus Sponsorengeldern finanziert. Der jährliche Etat | |
liegt bei etwa 4,5 Millionen Euro. Die Trainer verdienen trotzdem eher | |
schlecht: Einige kommen gerade mal auf 26.000 Euro brutto im Jahr. | |
Im Untergeschoss ist derweil die Hochsprung-Bundestrainerin Brigitte | |
Holzapfel eingetroffen. Holzapfel, selbst ehemalige Olympionikin, tauscht | |
sich mit Eberhard Deutscher aus, der die Abteilung Trainingswissenschaft | |
leitet. Deutscher soll bei zwei jugendlichen Nachwuchshochspringern | |
Sprunghöhen aus dem Stand und die Bodenkontakte des Fußes messen. Dazu baut | |
er gerade eine Lichtschranke auf dem Boden auf und verbindet sie mit | |
Geräten, die an den Physikunterricht erinnern. Die beiden Athleten machen | |
sich derweil schon mal im Nebenraum warm. | |
„Wir sind noch nicht bei 100 Prozent mit den beiden“, sagt Holzapfel zu | |
Deutscher. Sie erzählt von der Sportlerdiät, die einer ihrer Schützlinge | |
einhalten muss. „Findet er natürlich nicht so toll, kann ich auch | |
verstehen“, sagt sie. Auch so etwas bekommen die Trainer hier mit auf den | |
Weg: strenge, individuell abgestimmte Ernährungspläne für die Sportler. | |
Diese zitiert Deutscher nun herbei. Die Athleten, beide um die 20 Jahre | |
alt, sollen von einem Gymnastikkasten in den Bereich der Lichtschranke | |
springen. „Es geht um den kurzen Bodenkontakt“, sagt Deutscher. „Stellt | |
euch vor, das ist eine Herdplatte und ihr springt barfuß darauf.“ | |
Vier Etagen höher sitzt Harry Bähr. Bähr ist der Leiter des | |
Olympiastützpunkts. Der 50-Jährige hat zunächst 13 Jahre selbst als | |
Trainingswissenschaftler am Stützpunkt gearbeitet, ehe er 2009 diese | |
Position übernahm. „Unsere Aufgabe ist es, optimale Rahmenbedingungen für | |
Leistungssport zu schaffen“, sagt er. „Die meisten kommen zu uns, wenn sie | |
elf, zwölf Jahre alt sind. Von da an tun wir alles dafür, dass sie fit für | |
den Leistungssport werden.“ Das beginne damit, dass jeder Nachwuchssportler | |
einen Laufbahnberater zugewiesen bekomme. „Die sprechen mit den Trainern | |
und setzen dann Etappenziele“, sagt Bähr. „Dann schauen sie, wie sich | |
Schule, Ausbildung und Familienleben am besten mit dem Leistungssport in | |
Einklang bringen lassen.“ | |
Muss ein junger Sportler zwangsläufig seine Jugend für den Leistungssport | |
opfern? „Die haben natürlich nicht so eine Jugend wie andere Kids“, sagt | |
Bähr. Angehende Leistungssportler trainieren bereits mit zwölf Jahren | |
zweimal täglich, verbringen also bereits bis zu fünf Stunden am Tag auf dem | |
Trainingsgelände. „Wir schauen aber, dass das Soziale hier nicht zu kurz | |
kommt“, betont Bähr. Er baut auf den Spaß, den die Jugendlichen beim Sport | |
miteinander haben. Dass es darüber hinaus nicht so viele soziale Kontakte | |
für die Sportler gibt, sei nicht zu verhindern. | |
Ebenso unvermeidlich ist das Thema Doping. Mit Robert Harting wird etwa ein | |
Athlet betreut, der vor der Leichtathletik-WM 2009 öffentlich über die | |
Freigabe von Doping nachgedacht hat – und mit Claudia Pechstein eine | |
Athletin, die eine Dopingsperre hinter sich hat, bei der eine endgültige | |
Klärung noch aussteht. „Wir arbeiten eng mit der Nationalen Doping-Agentur | |
(Nada) zusammen“, sagt Bähr, „und auch hier finden natürlich ständig | |
Dopingkontrollen statt.“ Der Rest liege bei den Athleten und Trainern. Die | |
Athleten geben bei der Nada ihre Aufenthaltsorte an, die Dopingkontrolleure | |
können einsehen, wann sie am Olympiastützpunkt sind. | |
Nobis und seine Teamkollegen sitzen in der medizinischen Abteilung | |
beisammen, tauschen sich über den Laufbandtest aus und sprechen über den | |
weiteren Trainingstag. „Wir treffen uns um 12 Uhr zum Schwimmen“, sagt | |
Nobis, „bis dahin haben wir noch eine Stunde Regeneration.“ „Habt ihr | |
eigentlich euren Jetlag schon überwunden?“, fragt Elke Neuendorf – die drei | |
sind gerade erst aus Rio de Janeiro zurück, und ihr erster Weg führte sie | |
zum Stützpunkt. | |
Nun richten die Sportler alles auf den 11. August aus: Dann beginnt in | |
London der Moderne Fünfkampf. | |
25 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Jens Uthoff | |
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