# taz.de -- Doktoranden der Forschung klagen: Aufruhr im Eliteclub | |
> Max-Planck-Doktoranden sammeln Unterschriften gegen das | |
> „Stipendienunwesen“. Ihre Institute heuern immer mehr Stipendiaten als | |
> billige Arbeitskräfte an. | |
Bild: Die Forschungsbedingungen an Max-Planck-Instituten sind nach Ansicht der … | |
Die Max-Planck-Gesellschaft ist eine der führenden Forschungsorganisationen | |
in Deutschland, wer hier forscht, arbeitet im Dunstkreis der | |
wissenschaftlichen Elite oder gehört selbst dazu. Das schöne Selbstbild | |
wackelt allerdings. Doktoranden der Max-Planck-Gesellschaft sammeln gerade | |
Unterschriften und fordern eine faire Behandlung. | |
Sie beklagen enorme Unterschiede in dem überwiegend aus Bundesmitteln | |
geförderten Verein, was ihr Einkommen und ihre soziale Absicherung | |
anbelangt. | |
Von den rund 5.000 Doktoranden in der Max-Planck-Gesellschaft erhalten rund | |
3.300 ein Stipendium, der Rest hat einen Vertrag. Der wesentliche | |
Unterschied: Stipendiaten sind nicht sozialversichert. Den Richtlinien der | |
Gesellschaft zufolge ist das Stipendium zwar recht üppig bemessen: gezahlt | |
werden monatlich bis zu 1468 Euro, hinzu kommen Zuschläge etwa für | |
Krankenversicherung, Kinder oder die Anreise nach Deutschland. Außerdem | |
sollen Stipendiaten absolut weisungsunabhängig sein und sich ganz ihrer | |
Doktorarbeit widmen. | |
Das Problem ist allerdings: das sind Richtlinien, die Realität sieht oft | |
anders aus. Die Max-Planck-Gesellschaft besteht aus 80 Instituten und jeder | |
Direktor herrscht weitgehend autark über sein Reich, dem Credo der | |
Wissenschaftsfreiheit keinen Fall zu verrateneit folgend. Darunter fällt | |
offenbar auch die Behandlung der Doktoranden. | |
## Bis zu 60 Stunden wird gearbeitet | |
Diese berichten jedenfalls über gewaltige Unterschiede sowohl zwischen den | |
Instituten als auch innerhalb eines Instituts. „Bei uns haben alle | |
unterschiedliche Konditionen, über den Vertrag oder die Höhe des | |
Stipendiums entscheidet der Chef, wie er gerade Lust hat“, berichtet einer. | |
Die Arbeitsbelastung wäre für alle jedoch gleich hoch, etwa 60 Stunden | |
würden die Doktoranden wöchentlich für das Institut arbeiten, egal ob sie | |
ein Stipendium oder einen Hausvertrag haben oder zu der Handvoll gehören, | |
die nach Regeln für den öffentlichen Dienst bezahlt werden. Das | |
Stipendiaten weisungsfrei an ihrer Doktorarbeit schrieben, sei so der | |
Doktorand „absolut illusorisch“. | |
Die Initiatoren der Petition fordern nun, diesen vollen Einsatz für die | |
Forschung auch angemessen zu vergüten, und zwar den Standards der Deutschen | |
Forschungsgemeinschaft, der Selbstverwaltung der Wissenschaftler, | |
entsprechend mit mindesten 65 Prozent einer Stelle im öffentlichen Dienst | |
Das entspräche etwa 2.000 Euro brutto. Außerdem sollten Doktoranden frei | |
zwischen Vertrag und Stipendium wählen können, und die MPG-Regeln für | |
Stipendien im Alltag auch tatsächlich umgesetzt werden. | |
Die aktuelle Petition ententzündet sich an einer Replik des Präsidenten der | |
Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss auf einen Artikel, der Ende März auf | |
Spiegel online erschien. Peter Gruss schrieb, dass es sich bei einer | |
Promotion um „Lehrjahre im Labor“ handle, die als solche auch nicht wie | |
eine „ganze“ Stelle vergütet würden. Deutschlands gesamte Begabtenförder… | |
fuße auf Stipendien, Kritik an der Praxis der MPG tat er als Klage | |
einzelner Promotionsstipendiaten ab. | |
## Unmut der Nachwuchswissenschaftler | |
Dass sich Gruss in seiner Einschätzung der Lage leicht verschätzt haben | |
könnte, zeigt die Petition: binnen zehn Tagen sammelten die Initiatoren | |
1.000 Unterschriften. | |
Denn der Unmut der Nachwuchswissenschaftler im Elite-Zirkel schwelt schon | |
länger: Der Stipendiatenanteil innerhalb der Max-Planck-Gesellschaft ist | |
zwischen 2004 und 2009 von 40 Prozent auf 60 Prozent gestiegen. Die | |
Sprecherin der MPG, Christina Beck, räumt auch freimütig ein, dass der | |
Anteil der Doktoranden sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt | |
hat und zwar maßgeblich durch ausländische Stipendiaten. „Da unterscheidet | |
sich die Max-Planck-Gesellschaft aber nicht von Hochschulen und anderen | |
Institutionen, es gibt nun mal nur ein bestimmtes Kontingent an Stellen“, | |
sagt Beck. | |
Betroffen sind laut einem MPG-Mitarbeiter aber auch immer mehr promovierte | |
Wissenschaftler. Diese bekommen monatlich etwa 1.600 Euro Stipendium und | |
damit die Hälfte dessen, was ihnen laut Tarif-Vertrag zustände. Als die | |
Doktorandenvereinigung der Max-Planck-Gesellschaft, das PhD-Netzwerk, das | |
Thema „Stipendien versus Verträge“ im Herbst 2011 zusammen mit | |
Gewerkschaftler erörtern wollte, verweigerte der stellvertretende | |
Generalssekretär der MPG seine Teilnahme. „Stipendien werden zunehmend | |
genutzt um Tarifverträge zu umgehen“, so das Fazit eines | |
Max-Planck-Wissenschaftlers. | |
## Eine einmalige Petition | |
Wie seine Kollegen möchte er anonym bleiben, auch die Doktoranden, die die | |
online-Petition gestartet haben, wollen sich öffentlich nicht äußern. Die | |
SprecherInnen des PhD-Netzwerkes schweigen auf Anfrage ebenfalls. | |
Eine Haltung, die bei vielen auf Verständnis stößt. Es sei einmalig, dass | |
sich Doktoranden überhaupt mit solch einer Petition vorwagten, im | |
allgemeinen lehne sich niemand bei diesem heiklen Thema aus dem Fenster, | |
heißt es. | |
Wer es dennoch tut, dem drohen Konsequenzen, denn die Institutsdirektoren | |
sind nicht nur Arbeitgeber sondern auch Betreuer der Promotion. „Bei uns im | |
Institut hat die Hexenjagd schon begonnen“, meint eine DoktorandIn und | |
bittet darum, ihre Identität auf jeden Fall zu verschleiern. Wenigstens bis | |
die Doktorarbeit beendet ist. | |
27 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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