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# taz.de -- Steigende Mieten: Exempel der Verdrängung
> Am Maybachufer will ein Hausbesitzer die Mieter aus ihren Wohnungen haben
> - und macht auch vor der Zwangsräumung bei einer gehbehinderten Rentnerin
> nicht halt.
Bild: "Fuck Yuppies": Protest gegen Gentrifizierung an einer Kreuzberger Hauswa…
An den Fenstern von Nuriye Cengiz hängen die Zettel schon seit Wochen.
„Hier wird gentrifiziert!“, lesen die Passanten. „Ich, Rentnerin, im
Rollstuhl, soll raus und will nicht!“ Es ist ein letzter Hilferuf. Denn
wenn nicht noch ein Wunder geschieht, muss Nuriye Cengiz zum Monatsende
tatsächlich aus ihrer Erdgeschosswohnung am Maybachufer ausziehen. Der neue
Hauseigentümer, so glaubt sie, will sie mit allen Mitteln loswerden, weil
er kein Geld an ihr verdient. Die meisten anderen Mieter sind in den
vergangenen Jahren ausgezogen. Aber Cengiz kämpft, und sei es mit Zetteln
am Fenster.
Nuriye Cengiz sitzt auf der Schlafcouch im Wohnzimmer, ihr Rollstuhl steht
im Flur. „Entschuldigen Sie, dass die Couch noch ausgeklappt ist“, sagt
sie, „normalerweise liege ich da, wegen meiner ganzen Krankheiten.“ Die
63-Jährige ist schwerbehindert und hat Pflegestufe 1. Asthma und psychische
Probleme plagen sie. Den körperlichen Gebrechen zum Trotz betet sie fünfmal
am Tag, auch wenn ihr das Niederknien schwer fällt.
Außer der Couch steht im Zimmer nicht viel. Die Zettel in den Fenstern
lassen wenig Licht herein, dazwischen erahnt man eine perfekte Sicht auf
den Landwehrkanal. Seit 2005 wohnt Cengiz hier. „Ich habe um diese Wohnung
gekämpft, damals schon“, sagt sie laut. Der damalige Eigentümer wollte
mangels Sicherheiten nicht an sie vermieten. Weil ihr Hausarzt für sie
bürgte, klappte es am Ende doch. 2009 musste sie schon wieder kämpfen, denn
die Miete für die knapp 60 Quadratmeter wurde um fast zwei Drittel erhöht,
von 386 auf 626 Euro.
Aber Nuriye Cengiz lebt von Grundsicherung und ist darauf angewiesen, dass
das Sozialamt ihre Miete zahlt. Das weigerte sich zunächst. Weil eine
behindertengerechte Wohnung, die ihr eigentlich zustehen würde, noch teurer
gekommen wäre, durfte Cengiz doch bleiben. Im Juni 1969 war sie aus der
Türkei mit ihrem Mann nach Berlin gekommen – er starb nur ein Jahr später.
Bis 1990 montierte Cengiz Telefone bei der Firma DFG, wo sie auch im
Betriebsrat aktiv war. Später machte sie an der Abendschule den Haupt- und
Realschulabschluss, von 1993 bis 1996 betreute sie als Mentorin
migrantische Jugendliche an einer Hauptschule. Dann wurde sie
krankheitsbedingt verrentet.
Dass die Mieterhöhung damals so hoch ausfiel, liegt am Wegfall der
sogenannten Anschlussförderung. Der Senat hatte 2003 beschlossen, die
Mieten im sozialen Wohnungsbau nicht mehr zu subventionieren. Mit dem
Wegfall der Förderung hatten Hauseigentümer das Recht, von den Mietern die
deutlich höhere Kostenmiete zu verlangen.
„Viele Vermieter führen diese Erhöhung durch, weil sie die Wohnungen
leerkriegen wollen“, sagt Heinz Paul. Der Rechtsanwalt hat schon viele
Mieter in solchen Fällen vertreten, seit Kurzem ist auch Cengiz seine
Mandantin. „Entweder die Wohnung wird teuer verkauft oder neu vermietet“,
erklärt Paul. Im letzteren Fall darf der Vermieter verlangen, was der Markt
hergibt. „Der eigentliche Verbrecher ist nicht der Eigentümer, sondern der
Gesetzgeber“, findet der Anwalt.
Im Haus von Nuriye Cengiz am Maybachufer sah es zunächst so aus, als würden
sich die Mieten nicht abrupt erhöhen. Der frühere Eigentümer, die R & W
Immobilienfonds 69 GbR, schlug jährlich nur ein paar Euro drauf. Aber 2008
erwarb die Falstaf AG das Gebäude, eine Vermögensverwaltung, über die man
im Internet herzlich wenig erfährt. Sie trieb die Mieten konsequent in die
Höhe.
## Ungebetener Besuch
Als Nuriye Cengiz trotzdem nicht auszog, bekam sie Besuch: „Im Januar 2011
fing die von Falstaf eingesetzte Hausverwaltung an, immer wieder bei mir zu
klingeln. Die wollten mich zum Auszug überreden“, erzählt sie. Im Februar
2011 habe fast jeden Tag jemand vor ihrer Tür gestanden. An einem dieser
Tage erwähnte Nuriye Cengiz, dass sie schon länger davon träume, in die
Türkei zu ziehen, ihr aber das Geld fehle. Prompt versprach ihr die
Hausverwaltung, alles zu organisieren und zu zahlen. „Ich fand das gut“,
sagt Nuriye Cengiz.
Um alles sauber zu regeln, ging sie zu einem Anwalt, der setzte ein
Schreiben an die Verwaltung auf. Als die nicht antwortete, schickte er das
Schreiben noch mal. Und noch mal. Vergeblich. Irgendwann rief Cengiz direkt
bei Falstaf an, erzählt sie. Eine Frau, die sich als Chefsekretärin
bezeichnet habe, habe ihr mitgeteilt: Ja, der Deal stehe noch. Sie erhalte
das Geld, wenn sie ausgezogen sei. Einen Teil brauchte Cengiz aber sofort –
um die Übersiedlung vorzubereiten. Kein Problem, habe ihr die Sekretärin
gesagt: Behalten Sie einfach eine Monatsmiete ein. Cengiz verließ sich
darauf – ihr Fehler.
Im Oktober erhielt sie wegen der nicht gezahlten Miete die fristlose
Kündigung der Wohnung. Es folgten weitere Schreiben, schließlich eine
Räumungsklage. Nuriye Cengiz versuchte sich zu wehren, zog vor Gericht und
verlor in zwei Instanzen.
Mit Heinz Paul ist Cengiz noch einmal in Berufung gegangen – große
Erfolgschancen sieht der Anwalt nicht. Schließlich lässt sich kaum
beweisen, dass die Mieterin das Einverständnis der Chefsekretärin hatte.
„Die muss nur sagen, dass sie sich nicht an die Absprache erinnern könne.“
Nuriye Cengiz ist nicht die Einzige im Haus, die unter dem neuen Eigentümer
zu leiden hat. „Von den 31 Mietparteien, die hier mal gelebt haben, sind
noch fünf da“, erzählt Mustafa Büyükyaprak. Seit mehr als 15 Jahren wohnt
er hier auf 75 Quadratmetern mit seiner Frau und einer seiner drei Töchter.
Fast zehn Jahre lang hatte seine Frau die Hauswartsstelle inne, Mitte 2011
wurde ihr gekündigt – zusammen mit der Wohnung. Rechtmäßig war, wie sich
herausstellte, nur die Kündigung des Jobs.
Falstaf erhöhte die Miete zum 1. April 2011 um mehr als zwei Drittel – von
700 auf 1176,88 Euro. Die Büyükyapraks sahen das nicht ein. Sie nahmen sich
einen Anwalt, der Widerspruch einlegte, und zahlten weiter 700 Euro. Im
Februar kam die Räumungsklage wegen Mietschulden.
Warum die Falstaf AG so rabiat mit langjährigen Mietern umgeht? Mehrere
Anfragen der taz blieben unbeantwortet. Die Vermutung liegt nahe, dass der
Verkauf nach Sanierung weitaus profitabler ist: Eine rund 75 Quadratmeter
große Wohnung im Haus wird für 280.000 Euro angeboten, erzählen Cengiz und
die Büyükyapraks. Macht gut 3.700 Euro pro Quadratmeter, mehr als doppelt
so viel wie das berlinweite Mittel laut Wohnungsmarktbericht der
Investitionsbank Berlin-Brandenburg.
Die Räumungsklage gegen Nuriye Cengiz hat die Falstaf AG mittlerweile
wieder fallen lassen, doch vor Kurzem kam erneut eine Kündigung. Vorher
hatte die Eigentümerin ein letztes Angebot gemacht: Bis Ende 2014 dürfe
Cengiz noch bleiben, dann sei Schluss. Die vertraut solchen Angeboten nicht
mehr und lehnte ab. Bis heute weiß sie nicht, wohin sie gehen soll. „Zur
Not müssen die mich hier raustragen“, sagt sie trotzig.
27 Apr 2012
## AUTOREN
Klaas-Wilhelm Brandenburg
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