# taz.de -- Kommentar „Der Schrei“: Zum Schreien | |
> Der Wert der Kunst war, ist und bleibt Behauptung. Die irrsinnigen | |
> Summen, die gezahlt werden, sind realer Wahnsinn, der mit rationaler | |
> Marktlogik nichts zu tun hat. | |
Bild: Auch eine unechte „Mona Lisa“ wird zum Spekulationsobjekt. | |
Wahnsinn! 120 Millionen Dollar (91,3 Millionen Euro) für ein Bild gezahlt! | |
Laut ist das Echo, wenn auf dem Kunstmarkt die Preise hochgehen. Lauter | |
erscheint es als „Der Schrei“ selbst auf dem 1895 von Edward Munch gemalten | |
Bild, das am Mittwochabend bei einer Versteigerung bei Sotheby’s in New | |
York an einen unbekannten Käufer ging. Listen werden erstellt über die | |
teuersten Verkäufe der letzten Jahre. | |
Gilt die gesteigerte Aufmerksamkeit dem Kunstwerk? Oder doch eher dem Preis | |
und seiner davonschießenden Höhe? Die Kunsthalle Schirn in Frankfurt am | |
Main vermeldet für ihre laufende Ausstellung des norwegischen Malers einen | |
Rekordansturm und deutet das als ein gewachsenes Interesse an dem Künstler, | |
der auch ein wichtiger Geburtshelfer des deutschen Expressionismus gewesen | |
ist. Das spräche für die Kunst. | |
Aber es würde doch sehr erstaunen, wenn die Kaufsumme nun tatsächlich als | |
Zeichen der Anerkennung dieses Werkes im Besonderen und eines gestiegenen | |
Wertes der Kunst für die Gesellschaft im Allgemeinen gewertet würde. | |
Nein, die Aufmerksamkeit gilt dem Geld. Hohe Preise in der Kunst haben ein | |
hohes Erregungspotenzial, weil der Wert der Kunst immer schon Behauptung | |
war und ist. Dass der Käufer anonym bleibt, steigert die Verdachtsmomente. | |
Eines der teuersten Bilder aller Zeiten wird angestarrt wie ein Beleg | |
dafür, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehen kann. Und stumm, mit | |
erschrocken weit aufgerissenen Augen, starrt es zurück. | |
Das Unmessbare des Wertes der Kunst ist etwas Unheimliches, dem der Markt | |
mit Preisindexen und Charts zu begegnen versucht: Sie versuchen ihn im | |
Rationalen zu verankern, in den Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Aber es | |
ist auch gerade diese behauptete Ratio des Marktes, der die Rekordpreise | |
eine lange Nase drehen. In ihnen scheint plötzlich etwas Irrationales und | |
Wahnsinniges auf, eines der Gespenster des Kapitals. | |
Das macht den Kunstmarkt zu einer Bühne der Stellvertreter: Denn das | |
Spektakel einer Auktion, wenn ein Bild versteigert wird, ist eben viel | |
anschaulicher als andere Transaktionen des Finanzmarktes, die ebenso auf | |
fiktiven Werten beruhen. Aber im Kopfschütteln über die Summen, die dabei | |
gezahlt werden, in der nur mäßig verhohlenen Empörung darüber schwingt ein | |
Misstrauen mit, das viel mehr meint als nur den Kunstmarkt. | |
3 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Katrin Bettina Müller | |
## TAGS | |
Kunst | |
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