# taz.de -- Occupy-Protestaktion: Eine Nummer kleiner | |
> Ein halbes Jahr nach dem Boom ihrer Kapitalismuskritik sind von der | |
> Berliner Bewegung nur Bruchstücke geblieben. Ein Sternmarsch soll nun | |
> verhindern, dass der Protest als bloße Idee endet | |
Bild: Zur Kunstschau Berlin Biennale wurden die Occupisten eingeladen. Zum Ster… | |
Elf lassen sich an diesem Mittwochabend vor der Beuth-Hochschule am | |
Leopoldplatz nieder, auf dem Pflaster vorm Haus Bauwesen. Vier Frauen, | |
sieben Männer. Studenten, Arbeitende, Arbeitslose, ein Rentner. Das also | |
ist Occupy Wedding. | |
Jella reicht Kekse herum, andere rollen Zigaretten. Robert, der Rentner, | |
legt Plakate und Kreppband in die Mitte, für die Demo am Samstag. Dass sie | |
eine überschaubare Gruppe bilden, hält die Kiez-Occupisten nicht davon ab, | |
Tagesordnung und Rednerleitung festzulegen. Los geht’s: Wie radikal denn | |
die Musik auf der Demo werden dürfe? Wie es um die Idee steht, die | |
Badstraße mit Freifunk zu versorgen? Und was ist mit der Schenkbox, die man | |
aufstellen wollte? Dann geht es noch um Welthunger und darum, ob der | |
Kapitalismus zu reformieren ist. So sieht wohl lokal handeln, global denken | |
aus. | |
Es gibt sie also noch, die Berliner Occupisten. Was war das für ein Hype, | |
als die Kapitalismuskritiker im vergangenen Herbst zu Hunderten ihre | |
Asambleas vorm Bundestag abhielten. Als die spanische Idee des | |
Platzbesetzens und die New Yorker Parole „Occupy!“ die Hauptstadt | |
erreichte. Und was wurde es still, nachdem die Polizei im Januar das Camp | |
der Occupisten am Hauptbahnhof samt einem Dutzend verbliebener Bewohner | |
geräumt hatte. | |
An diesem Samstag soll es wieder lauter werden. Mit einem Sternmarsch | |
wollen die Occupies ihren Protestsommer beginnen. Zuletzt waren sie in die | |
Kieze ausgewandert, es gibt jetzt Occupy Neukölln, Occupy Kreuzberg, Occupy | |
Friedrichshain. Und Wedding. „Wir wollten nach der Räumung irgendwo | |
überwintern und nicht auseinanderbrechen“, sagt vor der Beuth-Hochschule | |
ein mittelalter Dreadlockträger, der sich Crazy nennt. Das, findet er, | |
klappte. | |
Man kann es auch anders sehen. Zur samstäglichen Asamblea vorm Bundestag | |
versammeln sich nur noch eine Handvoll Leute. Dort wird immer noch | |
diskutiert, ob Handzeichen dem Austausch förderlich sind oder eher nicht. | |
Und auch auf den Stadtteiltreffen erscheinen meist nur ein Dutzend Leute. | |
Es sind läppische Zahlen für eine Bewegung, die mal eine ganze Gesellschaft | |
erobern wollte. | |
„Ach“, sagt Florian, „solche statistischen Wertungen sind Teil des alten | |
Systems.“ Der Softwareentwickler sitzt mit anderen Berliner Occupisten der | |
ersten Stunde – Mona, Zoe, Pola, Manuel – im Innenhof des | |
Kunst-Werke-Hauses in der Auguststraße. Seit zwei Wochen läuft hier die | |
Berliner Kunstbiennale, die diesmal ganz politisch sein will und dafür | |
Occupy Zelte aufschlagen ließ. Im Hauptsaal hängen nun überall | |
Transparente: „Empört euch“. Und alle zwei Tage treffen sich die Aktivisten | |
auf Bierbänken zur Asamblea. | |
Die fünf im Innenhof schlürfen Kaffee, teilen sich eine Eierstulle und | |
versuchen Aufbruchstimmung zu verbreiten. Natürlich wünsche man sich alles | |
ein bisschen schneller und größer, sagt der 40-jährige Florian, der trotz | |
dichtem Bart jünger aussieht. „Und ja, nur drei Stunden draußen stehen und | |
reden funktioniert nicht.“ Aber, so wirft Mona, eine junge Frau mit blonden | |
Locken, ein, auch im Winter sei „’ne Menge passiert“. Wochenlang sei der | |
Sternmarsch vorbereitet worden, monatelang die Biennale. Dort würden heute | |
bis zu 100 Leute mitmachen, auch Spanier und New Yorker, sagt Mona. „Es ist | |
ein Fehler, die Bewegung nur regional zu sehen.“ | |
Allerdings gibt es hier längst auch andere, die erfolgreich das Konzept der | |
Schwarmintelligenz okkupieren: die Piraten. Auch sie preisen, ganz wie | |
Occupy, die Basisdemokratie, halten Meinungsfreiheit und Transparenz hoch, | |
kritisieren die etablierte Politik. Und ihre Asamblea heißt Liquid | |
Feedback. | |
Von 900 auf 2.800 Mitglieder legten die Berliner Piraten seit dem letzten | |
Herbst zu. Heute sitzt die Partei im Abgeordnetenhaus und in allen | |
Bezirksparlamenten. „Ihr wollt Mitbestimmung?“, fragten die Pankower | |
BVV-Piraten kürzlich. „Hier kriegt ihr sie!“ Und baten via Internet um | |
Abstimmungstipps fürs Parlament. Sieht so die Berliner Revolution aus? | |
Einer könnte es wissen. Johannes Ponader. Seit zwei Wochen ist der | |
35-Jährige Bundesgeschäftsführer der Piraten. Davor war er lange Zeit ein | |
Gesicht der Berliner Occupy-Bewegung. Als das Camp geräumt werden sollte, | |
verhandelte er mit Polizei und Eigentümern, sprach mit der Presse. Das | |
schmeckte nicht allen. Er sei zu „präsent“, zu „systemnah“, warfen ihm | |
Mitstreiter vor. | |
Heute sagt der selbsternannte Gesellschaftskünstler, dass Occupy es | |
schwerhaben wird, wenn man beginne, alles Organisierte zu verachten. „Dann | |
kappt Occupy die Schnittstellen zur Mitte der Gesellschaft.“ Im Grunde aber | |
wollten die Bewegung und die Piraten Ähnliches, so Ponader. „Nur haben sich | |
die einen entschieden, in die Strukturen zu gehen, und die anderen, bewusst | |
draußen zu bleiben.“ Ponader hat sich jetzt für die Strukturen entschieden. | |
Er war schon bei den Piraten, bevor er zu Occupy kam, in Bayern, wo er bis | |
vor einem Jahr lebte. Nun ist er nur noch bei den Piraten. | |
Schwächt sich Occupy selbst, weil es so harsch mit seinen Leistungsträgern | |
umgeht? Florian, einer der fünf von der Biennale, schweigt zu dieser Frage | |
erst mal. Auch er war früher ein Vielsprecher auf den Asambleas, vertrat | |
Occupy in Talkshows – und erntete dafür Kritik. Florian steckte zurück. | |
Heute sagt er, dass die Kritik „durchaus gesund“ sei. „Es geht um | |
Vertrauen.“ | |
Manuel, einer der Radikaleren, mit übers Ohr gestecktem Plastikblümchen, | |
räumt ein, dass man „vielleicht liebevollere Umgangsformen“ hätte finden | |
müssen. „Wer Wissen hat, muss aber auch lernen, Wissen weiterzugeben.“ Und | |
Hierarchien „aufzubrechen“ sei immer richtig. Ponaders Weg, sagt Manuel, | |
sei, bei allem Respekt, nicht seiner. „Das parlamentarische System hat doch | |
abgewirtschaftet.“ | |
Die Piraten, auch da ist sich die Runde einig, seien keine Rivalen. „Wir | |
müssen von diesem Konkurrenzdenken wegkommen“, betont Mona immer wieder. | |
Florian pflichtet bei: Entscheidend sei, dass Leute „etwas tun, die die | |
Schnauze voll haben“. Und es sei doch erfreulich, dass die Occupy-Idee der | |
Basisdemokratie von anderen aufgegriffen werde. So wie auch nächste Woche, | |
wenn Linksradikale, Parteien und Gewerkschafter in Frankfurt das | |
Bankenviertel blockieren wollen – unter dem Label „Blockupy“. | |
Reicht das schon? Bleibt am Ende von Occupy nur eine Idee? In Wedding hofft | |
man auf mehr. „Schreibt auf die Flugblätter für Samstag unsere Trefforte“, | |
mahnt der 66-jährige Robert, der mit aufgestütztem Arm auf dem Pflaster | |
liegt. „Wir wollen doch, dass viele herkommen.“ | |
Mehr als zwei Stunden sitzen die elf Weddinger vor der Beuth-Hochschule | |
zusammen. Es gibt Tonangeber wie den eloquenten Robert. Pragmatiker wie die | |
Stadtgärtnerin Jella. Es gibt aber auch Klaus, der fast flüsternd über | |
Nahrungsmittelknappheit und Kunstdünger referiert. Oder Alinka, die sich | |
leicht in ihren Worten verliert. Und doch, alle hören sich zu, lassen sich | |
aussprechen, gehen noch auf den abwegigsten Gedanken ein. „Hier reden Leute | |
miteinander, die sich sonst nie kennengelernt hätten“, sagt Crazy. | |
Vielleicht beginnt die Revolution auch ganz im Kleinen. | |
12 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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