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# taz.de -- 20-Jahre Schwulen-und Lesbenverband: "Wir wollen nicht das System s…
> Der Lesben- und Schwulenverband feiert heute Abend im Roten Rathaus. Der
> Geschäftsführer Jörg Steinert erklärt, was erreicht wurde - und was nicht
Bild: CSD in Köln 2012: Von rosa Flügelchen bis zur Hundemaske.
taz: Herr Steinert, gibt es den Lesben- und Schwulenverband
Berlin-Brandenburg in zwanzig Jahren noch?
Jörg Steinert: Auf jeden Fall! Wir haben noch viel zu tun.
Aber wenn doch die Gleichstellung von Schwulen und Lesben so gut wie
eingetütet ist?
Vor zwanzig Jahren startete der LSVD die „Aktion Standesamt“. Das war die
Initialzündung für die Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften.
In Berlin und Brandenburg sind wir jetzt juristisch gleichgestellt, ja.
Aber wir sind ja nicht nur ein Verband von Juristen. Es gibt noch so etwas
wie eine gesellschaftliche Wirklichkeit. Homophobie …
Moment: Was fehlt denn noch juristisch?
Was der Landesgesetzgeber tun kann, das haben wir in Berlin 2008
verwirklicht, da ging es um Besoldungsverordnungen, um die Versorgung
hinterbliebener Partner. Aber in Brandenburg zum Beispiel beschäftigen wir
uns gerade mit dem Jagdgesetz.
Bitte?
Artikel 22 des Jagdgesetzes, da geht es um ein Wildschadensverfahren.
Bislang sind nur Verheiratete berücksichtigt, nicht jedoch Menschen, die in
einer Lebenspartnerschaft leben.
Wenn jemand durch ein Wildschwein getötet wird?
Zum Beispiel. Das zeigt die Absurditäten, mit denen wir uns seit 2001
beschäftigen. Der Bundesgesetzgeber hatte die Lebenspartnerschaft auf den
Weg gebracht. Aber es fehlte der Wille, das bis auf alle Ebenen gleich zu
regeln.
Es geht also um ein Feintuning des Lebenspartnerschaftsgesetzes auf
Landesebene?
Genau. Wir sind ja gut mit Juristen bestückt, Gott sei Dank. Wir bieten ja
auch Rechtsberatung an – was insbesondere im Familien und Ausländerrecht
gerne in Anspruch genommen wird. Es gibt da einfach noch sehr viele
Unsicherheiten. Und noch immer Benachteiligungen, besonders bei der
Stiefkindadoption.
Die ist doch jetzt erlaubt?
Aber die Jugendämter machen oft Probleme. Soll das leibliche Kind von der
Lebenspartnerin adoptiert werden, heißt es oft: Das geht nicht! Oder es
werden absurde Überprüfungen vorgenommen. Es gibt aber auch andere Fälle:
Wenn eine Hebamme sagt, wir wollen kein lesbisches Paar im
Geburtsvorbereitungskurs, dann werden wir aktiv.
So etwas gibt es noch? In der „Hauptstadt der Schwulen“ …?
… würden wir Berliner behaupten, aber die Kölner sagen etwas anderes. Man
kann aber sagen, dass wir hier in vielen Fällen weiter sind – in Dresden
zum Beispiel kann man noch immer nicht die Regenbogenfahne auf dem Rathaus
hissen. Probleme gibt es bei uns aber auch immer noch: Homophobie in der
Schule, Gewalt gegen Schwule …
Ein Thema, mit dem man sich nicht nur Freunde macht.
Das Überfalltelefon Maneo, mit dem wir eng zusammenarbeiten, wird immer
wieder angefeindet, ja. Ich kann das nicht nachvollziehen. Es wird einfach
nüchtern aufgelistet, was passiert. Und es ist doch wichtig, dass man die
Opfer ernst nimmt. Viel zu viele Schwule und Lesben bagatellisieren noch
immer ihre Gewalterfahrungen. Dann gehen sie zu Maneo – und andere sind der
Meinung, das stimmt alles nicht … Aber wir werden ja auch aktiv in den
Quartieren, in Neukölln und Moabit etwa.
Nähern wir uns dem schwierigen Thema indirekt: Die aktuelle LSVD-Kampagne
heißt „Hassan ist schwul, Gül ist lesbisch.“
Ja, in Absprache mit dem Türkischen Bund und Terre des Femmes. Es geht um
konstruktive Ansprache, wir wollen Menschen mitnehmen, die Homosexualität
ablehnen. Deshalb arbeiten wir auch gezielt an Schulen mit einem hohem
Anteil türkischsprachiger und arabischer Schüler. Viele dieser Jugendlichen
hatten bislang keine Möglichkeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Und, kommt das gut an?
Eine schöne Erfahrung hatten wir bei Projekttagen in Moabit. Am Anfang
lachten alle nur, aber am Ende haben die Jugendlichen gesagt: Endlich redet
mal einer mit uns darüber. In unseren Familien geht das nicht, und in der
Schule werden nur Witze gemacht. Stadtgebiete mit besonderem
Entwicklungsbedarf, heißt es so schön im Behördensprech, da müssen wir hin.
In Zehlendorf sind wir schon lange.
Wie ist es denn mit Homophobie in der Mitte der Gesellschaft bestellt?
Homophobie gibt es überall, sie ist nur ungleich verteilt. Im Theater gibt
es sie weniger als im Fußballstadion, sage ich mal …
Ist der LSVD mächtig?
In welcher Beziehung? Wir haben unsere Ansprechpartner in der Politik, wir
sind in der Lage, mit allen Parteien und Fraktionen zu sprechen, das halten
wir für sehr wichtig. Wir haben auch immer mit konservativen Parteien
gesprochen. Wir reden mit den Kirchen, mit den Migrantenorganisationen.
Macht haben wir vielleicht in dem Sinne, dass wir gut vernetzt sind.
Sind Lesben und Schwule eine Randgruppe?
Sie sind eine Minderheit. Und die haben immer Auseinandersetzungen mit
Mehrheiten – der jüdischen Gemeinde in Berlin geht es auch nicht anders.
Müssen Minderheiten solidarisch sein?
Solidarität erhoffe ich mir eigentlich von allen. Wenn Minderheiten gegen
die Mehrheit kämpfen müssen, dann ist das nicht sehr charmant. Die Mehrheit
ist da in der Pflicht.
Können andere Minderheiten vom LSVD lernen?
Ein Behindertenverband hat uns mal angesprochen, weil er unsere Arbeit toll
findet. Ansonsten würde ich das eher als Austausch bezeichnen, wir schauen
ja auch, was die anderen machen, der Landesverband der Sinti und Roma etwa
– die wurden auch lange vom offiziellen Gedenken an die Opfer des
Nationalsozialismus ausgeschlossen.
Weiterhin fehlt eine Rehabilitierung jener Schwulen, die noch bis 1969 nach
dem Paragrafen 175 in der Nazi-Fassung bestraft wurden.
Ein Schandfleck ist das! Da weisen wir ja wirklich schon seit Jahren drauf
hin, es muss endlich klargestellt werden, dass diese Menschen keine
Verbrecher waren und sind.
Die Schatten der Vergangenheit – junge Schwule und Lesben können mit
klassischer Identitätspolitik, wie sie der LSVD betreibt, nur wenig
anfangen.
Na ja, das ist immer die Behauptung gewisser Menschen, die sich auf die
Queer Theory und Judith Butler beziehen: dass es sich dabei um eine ganze
Generation handelt. Aber wenn ich mir die Aktivisten angucke, muss ich
sagen, so jung sind die zum Teil gar nicht.
Böse, böse.
Es handelt sich einfach um einen andere Politikauffassung. Wir machen
Bürgerrechtspolitik, wir wollen nicht das System sprengen, sondern den
Menschen Möglichkeiten schaffen. Diese Divergenz wird ja auch bei den
beiden CSDs deutlich: Es gibt den großen und den alternativen CSD mit ganz
anderen Inhalten.
Sie sind da nicht gut gelitten?
Ich weiß noch, wie wir den „braunen Stöckel“ verliehen bekamen. Da ging es
darum, dass wir für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben in der
Bundeswehr gekämpft haben. Und da sagen dann eben andere: Soldaten sind
Mörder. Bitte sehr, aber das ist nicht unser Ansatz. Unser Ansatz ist:
Solange es eine Bundeswehr gibt, müssen dort auch gleiche Rechte herrschen.
Kann der LSVD für sich in Anspruch nehmen, eine ganze Community zu
repräsentieren?
Wir setzen uns für die Interessen von Lesben und Schwulen ein, für
Gleichstellung. Es gibt bestimmt Menschen, die sich nicht von uns vertreten
fühlen – aber worum geht es denen? Oft nicht um Lesben und Schwule konkret,
sondern um ganz andere Fragen: Gilt das Grundgesetz nicht, weil es allein
auf westlichen Werten beruht? Für mich ist das gar keine Frage. Das
Grundgesetz ist eine große Errungenschaft. Wir werden nicht in einer
queeren Wolke aufgehen. Wir sind ein Verband, der sich für Schwule und
Lesben einsetzt.
15 May 2012
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Pro Köln
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