# taz.de -- Mehrgenerationenhaus für Schwule: Männertreu im Fenster | |
> In Charlottenburg beziehen die ersten Bewohner den "Lebensort Vielfalt", | |
> Berlins erstes Mehrgenerationenhaus für Schwule. Ältere sollen hier ohne | |
> Diskriminierung leben können. | |
Bild: Willkommensgruß für die neuen Mieter: Männertreu. | |
Blaue Blüten leuchten im Fenster der Wohnung von Peter Controweit. | |
Männertreu heißt die Blume. Die Schwulenberatung Berlin schenkt sie den | |
neuen Bewohnern des Mehrgenerationenhauses „Lebensort Vielfalt“ als | |
Willkommensgruß. | |
Seit Ende April beziehen die Mieter das ehemalige „Haus der Familie“ in der | |
Charlottenburger Niebuhrstraße. Früher war hier eine Kita untergebracht. | |
Die Schwulenberatung als Träger hat das Gebäude zum barrierefreien Wohnort | |
für mehr als 30 Bewohner umgestalten lassen. Vor allem junge und alte | |
Schwule, aber auch einige Heterosexuelle und Lesben werden hier leben, der | |
Jüngste 31, der Älteste 85 Jahre alt. | |
Peter Controweit hat als einer der Ersten ein 47-Quadratmeter-Apartment mit | |
Balkon bezogen. Neben dem Bett des 68-Jährigen stapeln sich Umzugskartons, | |
auf dem Esstisch steht lauwarme Apfelschorle – der Kühlschrank funktioniert | |
noch nicht. Controweit macht das nichts aus. Er freut sich auf seine | |
künftigen Nachbarn. Sprüche über den Flirtfaktor im „Homo-Haus“ hört er | |
öfter. Und stellt klar: „Wir Älteren wollen nicht übereinander herfallen, | |
nur weil wir in einem Wohnprojekt für Schwule leben.“ | |
## Selbstverständlich schwul | |
Der „Lebensort Vielfalt“ soll seine Bewohner nicht verkuppeln – er soll e… | |
Wohnumfeld sein, in dem Schwulsein selbstverständlich ist. „Viele ältere | |
Homosexuelle haben ihre Jugend und einen Großteil ihres Erwachsenenlebens | |
in einer schwulenfeindlichen Umgebung verbracht“, sagt Marcel de Groot, | |
Geschäftsführer der Schwulenberatung. Auch die Verfolgung unter den Nazis | |
haben einige der Älteren noch erlebt. Und der „Schwulenparagraf“ 175, der | |
Sex zwischen Männern unter Strafe stellte, wurde erst 1994 gänzlich | |
abgeschafft. | |
Für Peter Controweit ist es eine Erleichterung, nicht mehr verdeckt leben | |
zu müssen. Seit 1977 wohnt er in Berlin. Aufgewachsen auf dem Dorf im | |
Rheinland, traute er sich bis in die achtziger Jahre nicht, seine | |
Sexualität offen zu leben. Dass er als Sozialarbeiter mit Jugendlichen zu | |
tun hatte, machte ein Coming-out lange unvorstellbar. „Ich bin kein | |
Schwulenbewegter“, sagt Controweit. Trotzdem hat er von Anfang an am | |
Konzept des Mehrgenerationenhauses mitgearbeitet. Für ihn soll der | |
„Lebensort Vielfalt“ nicht nur Heimat, sondern Vorbild sein. Schon während | |
des Umbaus kam Besuch aus Litauen, Polen, der Ukraine. Marcel de Groot | |
führte beeindruckte Besucher durchs Haus: „In Staaten, wo Schwulsein | |
bekämpft wird, ist es unvorstellbar, dass in Deutschland der Staat ein | |
solches Projekt mitfinanziert“, sagt er. | |
Politische Unterstützung gab es schon in der Planungsphase ab 2007. „Dem | |
rot-roten Senat haben wir viel zu verdanken“, heißt es aus der | |
Schwulenberatung. Finanziert wird das Haus mit Hilfe der Stiftung Deutsche | |
Klassenlotterie. Weitere Anteile der über 5 Millionen Euro stammen von der | |
ARD-Fernsehlotterie, der Kreditanstalt für Wiederaufbau, aus Eigenmitteln | |
und Spenden. | |
Sechs der 24 Wohnungen beziehen Jüngere: Das Haus soll Kontakt zwischen | |
Generationen ermöglichen, denn nur wenige Schwule haben Kinder. Krankheit | |
und Immobilität verstärken die Einsamkeit im Alter. | |
Im zweiten Stock des Altbaus befindet sich eine Wohngemeinschaft für | |
schwule Männer, die an Demenz leiden. Sie werden rund um die Uhr von einem | |
Pflegedienst betreut. Die meisten Pfleger sind schwul. Die Schwulenberatung | |
hatte über eine Anzeige gezielt nach homosexuellen Pflegern gesucht. | |
„Gerade in Bereichen, die die Intimsphäre berühren, sollen die Bewohner | |
keine Angst vor Diskriminierung haben“, erklärt de Groot. | |
Auch Bewohner außerhalb der Demenz-WG können diesen Dienst in Anspruch | |
nehmen. Peter Controweit ist es egal, welche sexuelle Orientierung ein | |
Pfleger hat. Vor einiger Zeit hatte er einen „Herzklabaster“, erzählt er. | |
„Deshalb ist es mir wichtig, dass jemand da ist, der sich im Notfall um | |
mich kümmert.“ | |
Auch für Paare gibt es Wohnungen im „Lebensort Vielfalt“. Eine davon werden | |
Klaus Peter Ruppelt (62) und Lothar Köhler (58) beziehen. Bis auf eine | |
Kaffeemaschine, eine Flasche Laminatreiniger und natürlich das Männertreu | |
sind die Räume noch leer. Die Möbel stehen noch in der Wohnung in | |
Kreuzberg, die die Männer nun verlassen. „Mit über 70 ist ein Umzug viel | |
anstrengender als mit Anfang 60, deshalb ziehen wir jetzt schon um“, sagt | |
Ruppelt. Seit zwei Jahren führt er mit Köhler eine eingetragene | |
Partnerschaft, ein Paar sind die beiden schon viel länger. „Wir wollen hier | |
unseren Lebensabend verbringen“, sagt Köhler. | |
## Füreinander einkaufen | |
Mit den 78 Quadratmetern der neuen Wohnung verkleinern sich die beiden | |
zwar. Und die Miete von 850 Euro ist nicht gerade günstig. Das nehmen sie | |
aber gerne in Kauf, weil ihnen die Philosophie des Hauses gefällt. Ruppelt | |
will sich als Pate für andere Bewohner engagieren. Der Altenpfleger weiß: | |
„Im Tagesgeschäft hat das Pflegepersonal gerade Zeit fürs Nötigste. Aber | |
wir Nachbarn können Spazierfahrten mit Rollstuhlfahrern unternehmen oder | |
füreinander einkaufen gehen.“ | |
Aber braucht es dafür ein eigenes Haus? Marcel de Groot von der | |
Schwulenberatung wird oft gefragt, ob die Bewohner sich nicht selbst | |
ausgrenzten. Er widerspricht: „Wir sind eine schwule Einrichtung, aber wir | |
wollen alle anderen nicht ausklammern.“ Manche tun das allerdings selbst: | |
Einige der 200 Interessenten wollten nicht mehr einziehen, als sie | |
erfuhren, dass auch einige Frauen und Heterosexuelle im „Lebensort | |
Vielfalt“ wohnen werden. | |
Umgekehrt müssen Berliner Schwule auch heute noch mit homophoben | |
Anfeindungen leben. Am Tag der offenen Baustelle etwa sagte eine Nachbarin: | |
„Um Gottes willen, dass ich so was noch erleben muss.“ Dennoch, der | |
Großteil der Reaktionen aus der Umgebung fällt positiv aus. | |
Im Erdgeschoss eröffnet im Juni der „Wilde Oscar“. De Groot hofft, dass das | |
Projekt durch den Cafébetrieb zum Teil des Kiezes wird. Er ist stolz auf | |
das Haus mit der rosa Fassade, in dem mehr als fünf Jahre Arbeit stecken. | |
Und es wird nicht einmalig bleiben: Eine Initiative lesbischer Frauen aus | |
Neukölln sucht bereits nach einem Grundstück. | |
22 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Kathrin Breer | |
## TAGS | |
Homosexualität | |
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