# taz.de -- Montagsinterview: "Enterbt war ich sowieso!" | |
> Michael Brenncke ist Travestiekünstler und Intendant der kleinsten | |
> Showbühne Berlins in Neukölln. Ein Gespräch über Tunten und Türken - und | |
> über Licht und Schatten. | |
Bild: Tritt seit 25 Jahren in Neukölln auf: Martin Brenncke. | |
taz: Herr Brenncke, wie haben Sie das Wochenende verbracht – schön im | |
Neuköllner Kiez? | |
Michael Brenncke: Nein, ich war in Rheinsberg. Mit Vogelgezwitscher und | |
allem. Habe ein Eis gegessen und bin sofort wieder nach Hause gefahren. Das | |
war so ruhig dort, grauenhaft! Ich brauche Stadt: je mehr Rummel, desto | |
besser. | |
Aber Rheinsberg ist doch ein sehr schwuler Ort. | |
Wenn man von den Neonazis absieht, vielleicht. Friedrich der Große und | |
Katte … früher muss es da hoch hergangen sein. Aber da habe ich ja leider | |
noch nicht gelebt, sonst hätte ich sicher Spaß gehabt. | |
Sie sind Jahrgang 1943. | |
In Steyr, Oberösterreich geboren. Ich bin bei meinen Großeltern | |
aufgewachsen. Meine Mutter war in Hamburg, die hat mich dann mit 14 zu sich | |
geholt, als meine Großmutter gestorben war. Aber das ging auch nur ein Jahr | |
gut. | |
Warum? | |
Na ja. Man soll seine Eltern lieben, nicht? Als ich zu ihr zurückkam, war | |
es ihre siebte Ehe. Und ich war schon zu groß. Wenn wir zusammen auf der | |
Straße gingen, fragten die Leute, ob sie Besuch habe. Sie hat nie gesagt: | |
„Das ist mein Sohn.“ Sie hat nicht zu mir gestanden. | |
Wie kamen Sie denn zum Theater? | |
Ich wollte zur Ballettschule, aber meine Mutter hat es mir verboten. Kein | |
Beruf für Männer! Kaufmann sollte ich werden, wie in Hamburg üblich. | |
Ein Pfeffersack. | |
Ich zog dann zu Peter Gorski, dem Adoptivsohn von Gustaf Gründgens. In der | |
Ballettschule habe ich geputzt, um die Ausbildung zu finanzieren. Margot | |
und Hedi Höpfner haben mich unterrichtet. Mein Gott, ich war 15. Irgendwann | |
bin ich zu Gründgens gegangen und habe mich für meine erste Rolle beworben: | |
in Schneeweißchen und Rosenrot. | |
Und welche Rolle wurde es? | |
Der Bär, der nachher der Prinz wird. Am Abend der Premiere stand auf einmal | |
meine Mutter vor dem Bühnenausgang. Und fragte, ob ich den Muttertag | |
vergessen habe. Ich habe ihr noch geantwortet: Und du hast vergessen, dass | |
du ein Kind hast. Das war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen | |
haben. Vor ein paar Jahren erst habe ich erfahren, dass sie gestorben ist. | |
Enterbt war ich ja sowieso: Homosexuell! Schauspieler! | |
Eigentlich haben die Väter traditionell Probleme mit schwulen Söhnen. | |
Nein, es war umgekehrt. Meinen Vater habe ich immer nur von der | |
gegenüberliegenden Straßenseite gesehen. Irgendwann habe ich ihn einfach | |
angesprochen. Er war gerade im Begriff, nach München zu gehen, und so ging | |
ich einfach mit. Er war Gastronom, hatte dort mehrere Lokale. Und ich ging | |
in München ans Theater. | |
Als Balletttänzer? | |
Nein, ich hatte einen Unfall, danach war es vorbei mit dem Tanzen. Also | |
Schauspieler! 3.000 Vorstellungen von Sartres „Ehrbarer Dirne“. En suite, | |
jeden Abend. Ich war der Sohn des Senators, Fred. Und gelebt habe ich bei | |
meinem Vater. | |
Damals war Paragraf 175 in seiner Nazi-Fassung noch in Kraft, | |
Homosexualität war strafbar. | |
Ich habe mich nie wirklich versteckt. Ich habe immer versucht, das zu | |
ignorieren. Es gab eine Szene, aber ich mied sie eher. | |
Hatten Sie wenigstens Liebschaften? | |
Mit einem Bühnenbildner vom Theater. Hübsch und jung. Und dann war es ganz | |
schnell wieder vorbei. Dann hatte ich einen in Österreich, der war aber | |
verheiratet, hatte Kinder … wie es so war zu dieser Zeit. Aber ich wollte | |
mich sowieso nie mit einem Mann binden. | |
Warum? | |
Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Es gab in mir keine Idee | |
davon. Zwei Männer leben zusammen! | |
Aber heute Sind Sie verheiratet. | |
Ja, mit meinem Mann Ludwig. Wir haben auch einen Sohn. Er ist adoptiert, | |
aber das ist sehr kompliziert, weil ein Männerpaar ein Kind nicht einfach | |
so adoptieren kann, das geht nur nacheinander. Sie machen es einem | |
möglichst schwer. | |
Kannten Sie Schwule, die aufgrund des 175er im KZ waren? | |
Ganz ehrlich: Ich wollte damals nichts davon wissen. Es war alles so | |
grauenhaft und beängstigend. Ich habe mich nicht darum bemüht, aber es | |
wurde auch nicht darüber gesprochen. Die Schwulenszene war für mich immer | |
irgendwie tabu. | |
Warum? | |
Mir war das zu aufdringlich. Angeben und zeigen, hey, ich bin schwul. Gut, | |
wieder ehrlich gesagt: Es lag auch daran, dass es so unangenehm war, wenn | |
die Leute wussten, man ist schwul. Da war man unten durch. Ich habe mich | |
nicht verleugnet, aber auch darauf geachtet, nicht aufzufallen. Auf der | |
Straße musste man unsichtbar sein – klar, es gab Klappen, zum Beispiel am | |
Viktualienmarkt. Aber das waren flüchtige Begegnungen, mehr nicht. | |
Wann haben Sie überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickelt, was Sie sind? | |
Mit fünfzehn hat mich meine Mutter zu Professor Bürger-Prinz geschleppt, | |
dem berühmten Psychiater, weil sie gemerkt hatte, dass ich kein „normaler | |
Junge“ bin. Der musste mich untersuchen, ob ich schwul bin. Er hat dann zu | |
ihr gesagt, dass das keine Krankheit ist, sondern ein Empfinden. „Lassen | |
Sie ihn leben“, hat er gesagt. Aber das hat sie nicht akzeptiert. Sie | |
wollte ihre Schwiegertochter, ihre Enkelkinder. | |
Wie hat Ihr Vater sich dazu verhalten? | |
Mein Vater wusste, was los ist. Aber es war auch klar, dass die Leute im | |
Geschäft das nicht erfahren sollten. Mir war das dann irgendwann alles zu | |
blöd, ich wollte meine Ruhe haben. Ich fand diese Ablehnung einfach nur | |
dumm. | |
War denn nicht wenigstens das Künstlermilieu offener? | |
In München nicht. Meine Theaterintendantin zum Beispiel, die war eine | |
richtige Schwulenhasserin. Und bei der Bewerbung für eine Rolle hat mich | |
einmal der Regisseur angesprochen: „Du bist kein Mann“, sagte er. Sag ich: | |
„Ich hab ihn aber noch.“ Das war’s dann mit der Rolle. | |
So war das damals … | |
Was heißt damals – vor zwei Jahren war ich beim CSD in München. Es war | |
unglaublich. Da haben die Leute gesagt: „Guck mal, da kommen die Schwulen.“ | |
Es waren ja nur sechs Wagen, und die haben alle weggeguckt. Bayern ist | |
schön, aber verbrettert. | |
Und dann kam: Berlin. | |
Ja, endlich! Ich war hier zunächst Solo-Pantomime im Theater des Westens. | |
Um halb zwölf, wenn die Vorstellung zu Ende war, hieß es: Jetzt gehen wir | |
aus. Ich konnte das zuerst gar nicht fassen – aber die sagten: Um die Zeit | |
fängt’s bei uns erst an. Ich verkehrte ja mehr so mit den vornehmeren | |
Tunten, mit denen, die in die Oper gehen. Das waren auf einmal wunderbare, | |
offene Kreise. Und wenn man auf der Straße mal gekreischt hat oder einige | |
der Mädels ein Handtäschchen schwenkten, wurde man nicht angepöbelt. Ich | |
war frei! Ich musste keine Angst mehr haben, verhaftet zu werden oder ein | |
paar aufs Maul zu bekommen. | |
Wohin sind Sie ausgegangen? | |
Ins Chez Nous, ins Pink Elephant, zu Romy Haag. Kleist-Casino – wie soll | |
ich sagen … du hast dich da gut gefühlt. Irgendwo stand dann David Bowie | |
rum. Was soll ich sagen?! Es war toll. | |
Romy Haag, das Chez Nous – die große Zeit der Travestie. | |
Im Theater des Westens waren die großen Nummern aus Paris zu Gast. Und die | |
Garconnes Terribles. Das war damals eine Riesennummer, auch in London. Da | |
wäre ich noch nicht auf die Idee gekommen, dass ich selbst mal im Fummel | |
auf der Bühne stehe, in der Wüste von Neukölln. | |
Vor genau 25 Jahren haben Sie das Theater im Keller eröffnet. | |
Na ja, eigentlich wollten wir eine Suppenküche eröffnen. Ich weiß noch, der | |
Hit zu dieser Zeit war „Mamma Leone“. Da war hier im Kiez auch noch alles | |
anders. Es gab arme Neuköllner und zugezogene Türken. | |
Hatten die Probleme mit Ihrem Theater? | |
„Du Schwuchtel“ – „Du Arschficker“ – das kannst du heute noch höre… | |
du hier auf der Straße sitzt. Das war damals noch härter. Neulich kam ein | |
türkischer Jungmann und meinte: „Na, du Schwuchtel, arbeitest du auch für | |
den Tuntenladen?“ Da habe ich geantwortet: „Ja mein Schatz, ich arbeite | |
hier, aber nicht wie du. Du gehst am Hermannplatz auf den Strich.“ Jetzt | |
grüßt er, wenn er vorbeigeht. | |
Wenn, dann pöbeln die Jungmänner? | |
Ja, bei den älteren Migranten gibt es eine andere Haltung inzwischen. Und | |
bei den Jungs ist das auch nur so, wenn sie zu viert oder fünft unterwegs | |
sind. Dann müssen sie sich was beweisen. | |
Kommen wir noch mal zur Suppenküche … | |
Neukölln war so was von arm damals. Wir sind von Haus zu Haus, um zu | |
sondieren, ob es überhaupt Kundschaft für so eine Suppenküche gäbe. Aber | |
der eine mochte keine Kartoffeln, der andere keinen Reis oder nur Tomaten. | |
Wir haben das dann gelassen. Ein Ballettkollege von mir meinte: „Machen wir | |
Travestie.“ Am Kurfürstendamm war das ja sehr erfolgreich, aber in | |
Neukölln? Wir haben es dann einfach gemacht. Ich stand zum ersten Mal im | |
Fummel auf der Bühne – und es machte Spaß. Seitdem läuft der Laden. Die | |
meiste Zeit ausverkauft. Wir sind das einzige ständige Travestieteater | |
Berlins. Mit nur 47 Plätzen, dafür haben wir eine VIP-Loge. Da sitzen | |
meistens die Tunten drin und halten ihr Gläschen Sekt raus, herrlich. | |
Und Ihr Publikum? | |
Zwischen 20 und 100. Zurzeit oft aus Bayern, Holland, Dänemark. Touristen. | |
Letzte Woche erst hatte ich zwei Bayern richtig mit Lederhosen da, die habe | |
ich dann auf die Bühne geholt. Als sie wieder runtergingen, wollten sie ein | |
Küsschen – süß, nicht? Aber wir haben auch unser Stammpublikum in Berlin. | |
Apropos süß: Im Reuterkiez entwickelt sich gerade eine sehr junge, queere | |
Szene. | |
Finde ich gut. Die ganzen kleinen schwulen Spanier mit ihren Bärten, und | |
dann zeigen sie stolz ihr Brusthaar: Hey, wir sind alle so männlich! Nichts | |
gegen früher, aber ich fühlte mich zum Teil nicht mehr wohl, das Milieu war | |
gekippt. Jetzt kommt der Prenzlauer Berg her und alles mischt sich. | |
Amerikaner, Franzosen – zum Teil kaufen die ihr Bier noch an der Tanke, | |
aber wenn die dann irgendwann zu Ende studiert haben, kommen sie vielleicht | |
auch mal zu uns ins Theater. Im Moment sind wir noch zu teuer für die, das | |
verstehe ich. Aber wir bekommen ja überhaupt keine Subventionen. | |
Wirklich nie? | |
Wir haben mal zur Eröffnung ein paar alte Stühle vom Bezirksamt bekommen. | |
Zu unserem Jubiläum kam jemand vom Rathaus, aber vom Kultursenator kam | |
nichts, gar nichts. Nicht mal ein Brief. Auch von Klaus Wowereit nicht, der | |
Kultursenatorin. Travestie, pah! Im Saalbau Neukölln, da wollte ich mit der | |
Künnecke ein Abonnement-Theater machen – wir hatten keine Chance. Der | |
Schwule und die schräge Alte. | |
Evelyn Künnecke? | |
Lotti Huber, Brigitte Mira, alle sind hier aufgetreten. Die Künneke war ja | |
ein Phänomen, die hat dann nach einer halben Stunde einfach aufgehört und | |
gesagt: „Entweder ihr klatscht oder ich gehe.“ Und dann haben sie aber | |
geklatscht! Oder Marika Rökk: Die hat sich dann verbeugt und immer wieder | |
den Satz „Scheißpublikum, Scheißpublikum“ gesagt, wenn’s ihr nicht gepa… | |
hat. Ach, der Tuntenball damals in der Hasenheide … | |
Wann war das? | |
Gottchen, fragen Sie mich nicht, ich bin so vergesslich. In den | |
Achtzigerjahren. Nackte Männer ritten auf Elefanten in die „Neue Welt“, so | |
was gibt es ja heute nicht mehr. Und dann waren einmal Zarah Leander und | |
die Rökk zugleich da. Das war was! Da kamen die Leute wirklich verkleidet, | |
und dazu gab es richtige Stars. Nur schön war das. Mein Sohn sagt: „Erzähl | |
nicht immer von früher.“ Aber ich sage dann zu ihm: „Mike, es war früher | |
wirklich schöner!“ | |
Na ja … erinnern wir uns an den Anfang des Gesprächs – es war nicht alles | |
golden damals. | |
Es ist offener geworden, richtig. Es kommen ja auch junge Männer vorbei, | |
wenn man im Fummel draußen sitzt, und lachen freundlich und rufen: „Hey, | |
cool.“ Das ist doch toll. | |
Im Theater im Keller treten auch viele junge Travestiekünstler auf. | |
Das sind Schauspielschüler. Die haben hier ihren Spaß, probieren sich aus. | |
Für junge Schauspieler ist es fast unmöglich, einen Job zu bekommen. Und | |
dann landen sie in unserem Familienbetrieb. Ohne meinen Mann und meinen | |
Sohn gäbe es das Theater nicht mehr. Mein Mann macht die Technik, Mike | |
vorne die Gastronomie – ich bin nur noch Statistin. Ich werde auf die | |
Markierung geschoben und los geht’s. | |
Macht es Ihnen keinen Spaß mehr? | |
Doch, und wie! Immer wenn ich auf der Bühne stehe, ist alles plötzlich | |
wunderbar. | |
21 May 2012 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
## TAGS | |
Chanson | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Interview mit Sängerin Ethel Merhaut: „Heute ist alles lauter!“ | |
„Süß & Bitter“, heißt das Soloalbum von Ethel Merhaut. Ein Gespräch –… | |
Songtexten – über jüdische Komponisten und den nächsten Aufguss mit | |
Eibischwurzel. | |
Der sonntaz-Streit: „Wofür bedanken?“ | |
Anna Thalbach findet, niemand kann etwas für das Muttersein seiner Mutter. | |
Mutter Beimer will trotzdem Blumen, am liebsten jede Woche. | |
Mehrgenerationenhaus für Schwule: Männertreu im Fenster | |
In Charlottenburg beziehen die ersten Bewohner den "Lebensort Vielfalt", | |
Berlins erstes Mehrgenerationenhaus für Schwule. Ältere sollen hier ohne | |
Diskriminierung leben können. |