# taz.de -- Debatte Syrien: Vogelperspektive, geliebt und falsch | |
> Warum interessieren sich etliche Friedensforscher kaum für den Widerstand | |
> in Syrien? Eine Erwiderung auf die Analyse von Reinhard Mutz. | |
Bild: Solange die internationale Öffentlichkeit zu schlecht informiert ist, wi… | |
Es ist so weit: Der Aufstand gegen Assad gleitet in einen blutigen | |
Bürgerkrieg à la Irak ab. Der Anschlag in Damaskus mit 50 Toten und rund | |
vierhundert Verletzten am letzten Wochenende zeige, so stellte der | |
ehemalige Leiter des Instituts für Friedensforschung in der taz (16. 5.) | |
fest, dass [1][//:„der Widerstand zunehmend von ausländischen Terrornetzen | |
infiltriert“] werde. | |
Passé ist die Chance auf einen demokratischen Wandel in Syrien, das Land | |
dürfte auf Jahre in mehr oder weniger religiös aufgeladenen und extrem | |
brutalen Scharmützeln versinken. Die Weltöffentlichkeit zuckt traurig mit | |
den Schultern. | |
## Schiefe Fehleranalyse | |
Schuld an dieser Eskalation, fährt Reinhard Mutz fort, sei im erheblichen | |
Maß die immer wieder aufblitzende Drohung der angeblichen „Freunde | |
Syriens“, einen Regimewechsel herbeizuführen. Diese Option führe dazu, dass | |
Assad erbittert jeden Meter seines Landes mit Panzern verteidige, dass er | |
den Friedensplan von Kofi Annan letztlich gar nicht umsetzen kann. Libyen | |
sei ja noch in aller Gedächtnis. | |
Was auf den ersten Blick einleuchten mag, erweist sich auf den zweiten als | |
problematische Analyse. So geht Mutz zum einen vom prinzipiellen | |
Reformwillen Assads aus, Nahostexperten wie Volker Perthes können hierfür | |
kein Indiz entdecken. Die Antwort des Diktators auf die, es kann gar nicht | |
oft genug wiederholt werden, monatelang friedlichen Proteste, war sofort | |
brutal. Und das reformierte Wahlrecht lässt den absoluten Machtanspruch der | |
Baath-Partei ebenso wie die umfassende Macht der Geheimdienste | |
unangetastet. | |
## Unterscheidung ist zu kompliziert | |
Mutz bleibt für seinen Reformoptimismus den Beleg schuldig. Auch die | |
sozialen Wurzeln des Aufstands, werden ausgeblendet: Rund die Hälfte des | |
Reichtums findet sich in den Händen von fünf Prozent der Bevölkerung, die | |
Erwerbslosigkeit liegt bei etwa 30 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit | |
liegt weit darüber. | |
Zum anderen, und das ist vielleicht noch fahrlässiger, spricht der | |
Friedensforscher nonchalant von „dem“ syrischen Widerstand. Die | |
Unterscheidung zwischen den nach wie vor zumeist friedlich Protestierenden, | |
den vielen kleinen Hilfskomitees, den sich vermehrenden bewaffneten, zum | |
Teil al-Qaida nahestehenden Gruppen im Land, der nach wie vor reichlich | |
ineffizienten „Freien Armee Syriens“ sowie der Opposition im Ausland, diese | |
Gemengelage ist Reinhard Mutz offenbar zu kompliziert. | |
Die diversen Akteure werden zu einem Block zusammengefasst, der sich nun im | |
Griff „ausländischer Terrornetzwerke“ befände, sich demnach willentlich | |
oder zumindest unterm Strich von Terroristen auf die Seite des Mordens hat | |
ziehen lassen. Mit solchen Aufständischen aber kann sich kein Demokrat | |
solidarisieren, die kann er nur eindämmen wollen. | |
## Fixierung auf den Diktator | |
Die friedlichen Aktivisten selbst bezeichnen sich angesichts der | |
komplizierten Lage übrigens häufig als „Syrier ohne Freunde“. Ihre Kritik | |
am zerstrittenen syrischen Oppositionsrat, der sich nicht ausreichend um | |
die Verhältnisse vor Ort kümmere, ist bekannt, ihre Angst vor einer | |
„Irakisierung“ der Verhältnisse auch. Zigtausende Iraker sind nach dem | |
Sturz Husseins nach Syrien geflüchtet. | |
Die Angst vor ähnlichen Verhältnissen saß daher längst vor den Anschlägen | |
in vielen Köpfen. Laut UNHCR sind derzeit 110.00 Menschen innerhalb des | |
Landes auf der Flucht, Tausende sind bereits in der Türkei und im Libanon | |
angekommen. Die Fixierung auf „den“ Terror und die Definition, dieser habe | |
mit den Anschlägen in Damaskus die Oberhand gewonnen und nicht etwa mit der | |
dauerhaften Bombardierung von Wohnvierteln in Homs und Hama, ist eine | |
typisch westliche Sicht – geprägt im Windschatten von 9/11. | |
Natürlich ist die Lage unübersichtlich und die Freund-Feind-Unterscheidung | |
prekär, nicht nur für die geschützten Beobachter im Ausland, sondern vor | |
allem für die SyrerInnen in Syrien. Doch warum entscheiden Mutz und viele | |
andere aus der Friedensbewegung sich so leichthändig für die | |
Komplexitätsreduzierung zugunsten des Machthabers? Diese Parteinahme ist | |
falsch. | |
## Öffentlichkeit zu wenig informiert | |
Denn es ist nicht die Aufgabe der Friedensbewegung, Diktatoren zu stützen, | |
das tut die internationale Gemeinschaft schon zur Genüge. Die Aufgabe ist | |
vielmehr, eine Öffentlichkeit zu erzeugen, die sich mit dem zivilen | |
Widerstand beschäftigt, die über Wissen um die Situation vor Ort verfügt | |
und sich dann gegebenenfalls solidarisiert. Die kritische Öffentlichkeit | |
steht in der Verantwortung, zumindest dazu beitragen, die | |
Verhandlungspartner unter Legitimationsdruck in Sachen Menschenrechte und | |
Menschenwürde zu setzen. | |
In der internationalen Öffentlichkeit aber spielt etwa der Umstand, dass | |
nach einem Jahr der Kämpfe weder das Rote Kreuz noch der Rote Halbmond | |
Verletzte behandeln können, noch immer kaum eine Rolle. Auch dieses | |
Versäumnis hängt mit der mangelnden Solidarisierung zusammen. Warum sollte | |
man sich dafür einsetzen, dass internationale Helfer ihre Gesundheit für | |
Terroristen riskieren? | |
## Ohne Russland geht gar nichts | |
Mit Solidarität für die Aktivisten in Syrien ist es natürlich nicht getan. | |
Die geopolitische Ebene darf darüber nicht aus dem Blick fallen. Mutz hat | |
Recht, dass die UN Russland dazu bewegen muss, ihre Schutzmachtposition | |
aufzugeben. Das wird nur passieren, wenn es einen Ausgleich für die | |
Aufkündigung der Allianz mit Syrien erhält. Schließlich laufen die | |
Waffengeschäfte mit Assad gut, und auch der Zugang zum geopolitisch | |
wichtigen Hafen Latikia ist garantiert. | |
Doch statt russische Interessen bestmöglich zu integrieren, zeichnet sich | |
ein ganz anderer Trend ab. In der Süddeutschen Zeitung stellte der | |
Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, jüngst | |
gar eine Rückkehr zu Verhältnissen des Kalten Kriegs fest. Die | |
Marginalisierung von Russland bei den Nato-Verhandlungen um den | |
Raketenschirm sei katastrophal und zwar für die Sicherheitslage insgesamt. | |
Bleibt hinzuzufügen: Ohne die Einwilligung von Russland und ohne die | |
internationale Solidarität mit dem zivilen Widerstand hat das | |
demokratiewillige Syrien wenig Zukunft. Das ist zwar paradox, aber zum | |
Spagat zwischen Mikro- und Makroebene gibt es nun mal keine kluge | |
Alternative. | |
18 May 2012 | |
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## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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