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# taz.de -- Debatte USA und Nato: Gemeinsam abspecken wäre besser
> Das Verteidigungsbündnis Nato hat längst seine Mission verloren. Trotzdem
> drängen die USA ihre Verbündeten, die Militärausgaben weiter zu erhöhen.
Bild: Teure Anschaffungen: Auch für das neue Jagdflugzeut F/A-22 (vorn) gibt d…
Die USA haben ein Problem mit dem Maßhalten. Restaurants bieten riesige
Vorspeisenteller an, Lebensmittelläden verkaufen „Riesenschluck“-Tassen und
routinemäßig veranstalten Amerikaner Wettbewerbe, wer in zehn Minuten die
meisten Hot Dogs, Pizzas oder Hähnchenflügel runterkriegt.
Auch das Pentagon hat dieses Problem mit dem Maßhalten. Das Budget des
Verteidigungsministeriums hat sich seit 2000 verdoppelt – die
Inflationsrate eingerechnet. Auch hier ist nicht nur die Menge das Problem,
sondern auch die Qualität.
Das Pentagon hat enorme Summen für veraltete Waffensysteme ausgegeben,
Aufschläge von Vertragspartnern akzeptiert und weist einen erheblichen
Personalüberhang auf. Kein Wunder also, dass das Pentagon weltweit die
größten Militärausgaben verantwortet. 43 Prozent der gesamten
Militärinvestitionen weltweit gehen auf die USA zurück.
Die Fettsucht des Verteidigungsministeriums ist einer der Gründe, warum die
US-Regierung kurz vor einem Schlaganfall steht und ökonomisch gelähmt ist.
Und was tun die Politdoktoren? Sie schlagen im wesentlichen drei Mittel zur
Heilung vor:
Der Mehrheit bei den Republikanern drängt darauf, das
Verteidigungsministerium weiter aufzublähen. Ihr Budgetvorschlag für 2013
übersteigt den Entwurf des Pentagon um 4 Milliarden und beläuft sich auf
damit insgesamt 554 Milliarden US-Dollar. Sämtliche Kürzungen in den
nächsten Jahren sollen das Verteidigungsministerium unberührt lassen. Mitt
Romney beabsichtigt in der nächsten Dekade sogar 2,1 Milliarden US-Dollar
auf das vorhandene Budget draufzuschlagen.
## Obama will vergleichsweise wenig sparen
Die Obama-Administration selbst will in dieser Zeit 500 Milliarden
einsparen. Das hört sich nach strengem Gürtel-enger-Schnallen an,
tatsächlich aber bedeutet das bis 2021 nur eine Kürzung um 8 Prozent. Zum
Vergleich: Nach den Kriegen in Korea und Vietnam haben die Präsidenten den
Militärhaushalt jeweils um fast 30 Prozent zusammengestrichen.
Option 3 ist der gastritische Bypass. Das wäre ein radikaler Eingriff.
Senator Tom Coburn von den Republikanern etwa plädiert für eine Kürzung von
über einer Billion und will zudem eine Umwidmung der Gelder für zivile
Konfliktlösungen. Die Amerikaner wollen laut einer jüngsten Umfrage 2013
eine Kürzung von rund 18 Prozent im Militärhaushalt.
Indessen bereitet sich die Nato auf den Gipfel in Chicago vor. Ob die
Einschnitte und der anhaltende Rückgang der europäischen Rüstungsausgaben
eine Zweckentfremdung der Mittel einleiten? Sie sollten es. Jetzt ist die
Gelegenheit, die obsoleten Systeme aus dem Kalten Krieg und die taktischen
Nuklearwaffen zu entsorgen. Auch die 80.000 US-Soldaten, die immer noch
zwischen 28 Militärbasen rotieren, ließen sich mit Verweis auf den
Sparzwang prima abziehen.
## Noch viel mehr Waffen für alle
Bislang drehte sich die Diskussion darum, wie man die 2 Prozent des
Bruttosozialproduktes ausgeben kann. Jetzt könnte man endlich darüber
reden, wie Europa und die USA den wirklichen Gefahren für Europa und die
USA begegnen können.
Das Problem ist allerdings, dass die USA auf den Sparkurs in jeder Hinsicht
falsch reagieren. Wir exportieren einfach unseren militärischen
Massenkonsum in die ganze Welt, genauso wie Coca-Cola oder McDonald’s.
Deshalb drängt Obama die europäischen Verbündeten dazu, ihren Militäretat
zu erhöhen.
„Lastenteilung“ ist dieser Tage das Zauberwort in den Nato-Zirkeln. Selbst
Kanada, das seinen Militäretat 2011 von 15 Milliarden auf 23 Milliarden
erhöht hat, wurde vom US-Repräsentanten der Nato, Ivo Daalder, kritisiert,
„eine unfaire Bürde zu sein für all diejenigen, die an ihre Ressourcen
gehen.“
Noch schlimmer, vielleicht, war Obamas Entscheidung, zum Ausgleich der
Kürzungen die Waffenausfuhr zu erleichtern. Die USA sind seit vielen Jahren
die weltgrößten Waffenexporteure. Mit der „Export Control Reform
Initiative“ beabsichtigt das US-Militär die Exporte bis 2015 zu verdoppeln.
Modernisierung und „Anschlussfähigkeit“ waren lange die
Rationalisierungsstrategien für den Waffenverkauf. Diese Argumente zielen
vor allem auf die Nato-Mitglieder aus Osteuropa und dem Balkan, die nur
wenig in das extensive Upgraden investieren.
## Die Nato ist dazu gemacht, Kriege zu führen
Die USA nutzen diverse Argumente, um ihre Militärsucht vernünftig
erscheinen zu lassen, etwa den Aufstieg Chinas oder das Nuklearprogramm
Nordkoreas. Trotzdem hatte die Nato letztens Schwierigkeiten, die ganz
große Mission auszumachen. „Angesichts der europäischen Finanzkrise, der
Defizitreduzierung in den USA und des zunehmenden Drucks auf den
Verteidigungsetat besteht der Zusatzwert der Nato darin, den Ländern bei
der besseren Zusammenarbeit zu helfen“, verkündet nun ihre Webseite. „Die
Nato kann Kräfte bündeln und multinationale Projekte managen.“
All diese Emphase aufs Kooperieren wird die Nato aber nicht im Geschäft
halten. Die Nato ist dazu gemacht, Kriege zu führen. Ihr Lebenselixier ist
die Bedrohung, nur sie hält die Allianz zusammen. Die Sowjetunion aber ist
nur noch eine blasse Erinnerung, Afghanistan keine durchführbare Aufgabe
mehr, und Libyen hat enthüllt, dass die Nato nicht die Schlagkraft oder den
politischen Willen besitzt, jedem „Schurkenstaat“ an ihren Grenzen
beizukommen.
Nichttraditionelle Bedrohungen wie Terrorismus, Piraterie oder die
Cyber-Attacken verlangen eben andere Kompetenzen. Die anhaltende globale
Wirtschaftskrise zwingt jedes Mitglied dazu, sich seine Ausgaben noch
einmal genau anzusehen. Zeit, sich mit der Diät und dem neuen Lifestyle
anzufreunden. Für die USA und Europa bedeutet das, sich von ihrer
gefährlichen Abhängigkeit vom Militär zu lösen und sich zivilen
Konfliktlösungsmodellen zuzuwenden.
Laut Experten ist es schwieriger, allein abzunehmen. Anstatt die Europäer
zum Fressen zu drängen, wäre es also besser, gemeinsam abzuspecken. Wer
weiß: Wenn die Nato es ernst meint, kann sie womöglich auch Russland und
China für den Diätplan gewinnen.
21 May 2012
## AUTOREN
John Feffer
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