# taz.de -- Nato-Gipfel in Chicago: Friede, Freude, Aufrüstung | |
> US-Präsident Obama ist sehr zufrieden mit dem Gipfel in seiner | |
> Heimatstadt. Der Abzugsplan für Afghanistan steht. Die Nato soll | |
> modernisiert und aufgerüstet werden. | |
Bild: Barack Obama: Freund der visionären Handbewegung. | |
CHICAGO dapd/dpa | Die Nato hat auf dem größten Gipfel in der Geschichte | |
des Militärbündnisses die Weichen für eine neue kollektive Verteidigung | |
gestellt und den Abzugsplan aus Afghanistan bis Ende 2014 festgeschrieben. | |
Neue Fähigkeiten und globale Partnerschaften sollen die Nato fit machen für | |
die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, sagte Nato-Generalsekretär | |
Anders Fogh Rasmussen am Montag zum Abschluss des zweitägigen Treffen mit | |
mehr als 60 Staats- und Regierungschefs. Bundeskanzlerin Angela Merkel | |
sprach von einem „sehr erfolgreichen Gipfel“. | |
Ausgeräumt wurden auf dem Gipfel die Irritationen um den Eilabzug der | |
französischen Truppen aus Afghanistan. Dies betreffe nur die Kampftruppen, | |
betonte Rasmussen. Ein solcher Abzug sei problemlos möglich, weil das | |
französische Kommando in Kapisa demnächst schon von den afghanischen | |
Sicherheitskräften übernommen werde. Der französische Präsident François | |
Hollande sagte, es werde „keine Sicherheitslücke“ entstehen. Zugleich | |
sicherte er der Nato zu, dass Frankreich in der ISAF-Schutztruppe bleibe | |
und bis Ende 2014 einen Beitrag leiste. | |
Für Merkel gehört die deutsch-französische Annäherung zu den wichtigen | |
Ergebnissen des Doppelgipfels G-8 und Nato, auf denen die Staats- und | |
Regierungschefs insgesamt vier Tage die aktuellen Probleme erörtern. „Es | |
gibt eine Kontinuität in der Zusammenarbeit. Das schließt unterschiedliche | |
Positionen nicht aus“, sagte sie. | |
## Sandwich, Weißwein, Partnerschaft | |
Zugleich bestritt Merkel, dass der französische Truppenabzug vom Hindukusch | |
einen Abzugswettlauf unter den 50 ISAF-Partnern auslösen könnte: „Ich sehe | |
das Risiko nicht.“ Noch am Sonntag hatte Außenminister Guido Westerwelle | |
(FDP) vor einem solchen Wettlauf gewarnt. Am Montag traf er sich am Rande | |
des Gipfels mit seinem französischen Amtskollegen Laurent Fabius zu | |
Sandwich und amerikanischem Weißwein, und betonte danach das Interesse an | |
einer engen deutsch-französischen Partnerschaft. | |
Im Mittelpunkt des Gipfels stand Afghanistan. Dabei kündigte die Nato an, | |
nach gut einem Jahrzehnt Kampfeinsatz jetzt für ein weiteres Jahrzehnt | |
Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe zu leisten. Die afghanische Regierung lud | |
dafür das Militärbündnis offiziell ein, ab 2015 eine Nato-geführte | |
Ausbildungsmission zu starten. | |
Im Gegenzug sagte die internationale Gemeinschaft die Finanzierung von | |
künftig 228.500 afghanischen Soldaten und Polizisten zu. Dafür werden 4,1 | |
Milliarden US-Dollar pro Jahr veranschlagt. Der Aufbau der afghanischen | |
Sicherheitskräfte gilt als Voraussetzung für den Abzug der immer noch knapp | |
130.000 ISAF-Soldaten. Die Regierung in Kabul mindestens 500 Millionen | |
Dollar selbst aufbringen. Von 2024 muss an muss sie die Einheiten selbst | |
unterhalten. | |
Am ersten Gipfeltag hatten die Staats- und Regierungschefs die erste Stufe | |
des neuen Raketenschilds in Dienst gestellt. Damit verfügt die Nato | |
erstmals über eine eigene Raketenabwehr - allerdings erst mit begrenzter | |
Reichweite. Der Schild besteht zunächst aus einem Frühwarnradar in der | |
Türkei, vernetzt mit Abfangraketen auf US-Kreuzern im Mittelmeer. Russland | |
fühlt sich von der Raketenabwehr - die vor allem gegen den Iran gerichtet | |
ist - provoziert. Nato-Chef Rasmussen erneuerte derweil die Einladung an | |
Moskau zur Zusammenarbeit. | |
## Laut Obama wird „geliefert“ | |
Der Gipfel machte auch ein wichtigen Schritt, um die Abhängigkeit der | |
Allianz von den Militärfähigkeiten der USA zu begrenzen: Das Bündnis gab | |
grünes Licht für die Beschaffung von fünf unbemannten Riesen-Drohnen, mit | |
denen eine Bodenaufklärung aufgebaut werden soll. Diese Schlüsselfähigkeit | |
konnten im Libyen-Krieg nur die USA liefern. Das neue Überwachungssystem | |
zur Gefechtsfeldaufklärung (AGS) wird dagegen von 13 Nato-Staaten getragen, | |
darunter Deutschland. | |
US-Präsident Barack Obama zeigte sich als Gipfelgastgeber sehr zufrieden | |
mit den Ergebnissen. „Auf dem Lissabon-Gipfel 2010 haben wir versprochen | |
mehr zu tun, jetzt liefern wir“, sagte er mit Blick auf die Einigung zum | |
neuen Verteidigungspaket „smart defence“. | |
Der Pakt umfasst eine Modernisierung der Allianz, eine stärkere | |
Spezialisierung unter den 28 Partnern und den Aufbau eines Raketenschilds | |
bis 2020. Nach Einschätzung von Rasmussen hat die Nato in Zeiten knapper | |
Kassen zu neuen Tugenden gefunden: "Es wird beschafft, was gebraucht wird | |
und was auch bezahlt werden kann." | |
Begleitet wurde der zweitägige Nato-Gipfel von teils wütenden Protesten. In | |
der Nacht zum Montag wurden 45 Personen festgenommen, wie die Polizei | |
mitteilte. Nach dem größten Demonstrationszug mit 15.000 Teilnehmern war es | |
in der Innenstadt zu gewalttätigen Ausschreitungen mit den | |
Sicherheitskräften gekommen. Dabei wurden vier Polizisten verletzt. | |
22 May 2012 | |
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