Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Der Abgang Oskar Lafontaines: Der linke Rechthaber
> Mit Oskar Lafontaine verlässt der letzte deutsche Politiker alten Schlags
> die politische Bühne. Der Volkstribun und Egomane hat viele fasziniert
> und noch mehr enttäuscht.
Bild: Der Politiker Oskar Lafontaine hat viele fasziniert, viele abgestoßen, e…
BERLIN taz | Es ist ein heißer Sommernachmittag in Saarbrücken-Burbach.
Oskar Lafontaines Gesicht funkelt vor Begeisterung, als er das
Wahlkampfzelt der Linkspartei betritt, umringt von Fans, Kameras,
Journalisten. Er steht im Mittelpunkt, wie immer. Es ist Wahlkampfzeit
2009. Er brüllt, höhnt, greift an. Er polemisiert gegen gekaufte Renten-
und Finanzexperten, „die wie Michael Schumacher Werbung auf ihren Anzügen
tragen sollten, von den Banken und Versicherungen, die sie bezahlen“. Er
zitiert Ludwig Erhard, den Säulenheiligen der CDU, als Kronzeugen für
seinen Angriff auf den Neoliberalismus. Die überraschende Volte, mit der
der Gegner nicht rechnet, das ist seine Stärke. Lafontaine wird auch mal
nachdenklich und setzt leise Töne, aber nur um am Ende umso glanzvoller
über seine Gegner zu triumphieren. Niemand kann ein paar hundert Leute mit
einer politischen Rede so verzücken wie er. Diese Erhitzung bringt kein
Seehofer, kein Steinbrück und kein Westerwelle zustande. Nur er.
1995 putschte Lafontaine in Mannheim den überforderten SPD-Chef Scharping
mit einer einzigen Rede weg. Normalerweise werden solche Machtwechsel lang
vorbereitet und mit feingesponnenen Intrigen ins Werk gesetzt. Lafontaine
brachte die Machtarchitektur der SPD in einer halben Stunde zum Einsturz.
Ein Volkstribun, ein wortgewaltiger Magier.
Mit Oskar Lafontaine verlässt der letzte Charismatiker die Bühne. Einer wie
Franz Josef Strauß oder Joschka Fischer. Einer, der politische
Leidenschaften und Hoffnungen wecken und enttäuschen konnte wie kein
Zweiter. Er war mit 29 Jahren der jüngste Oberbürgermeister einer deutschen
Großstadt – in seiner Heimatstadt Saarbrücken. Er war der jüngste
Ministerpräsident. Er war das Wunderkind der Sozialdemokraten und bis zum
Mauerfall der Lieblingsenkel von Willy Brandt.
Damals, 1990, als er Kanzlerkandidat gegen Kohl war, trat ein typischer
Wesenszug von Oskar Lafontaine zutage: eine Mischung aus hellsichtigem
Scharfsinn und Rechthaberei, aus blitzgescheit und blind. Lafontaine sah
klarer als der Rest der politische Klasse, dass die Einheit teuer wird und
die schnelle Währungsunion die Industrie in der DDR vernichten würde. Er
behielt recht. Was er nicht sah, war, dass recht haben nicht reichte –
schon gar nicht in dieser welthistorischen Umbruchszene. Was Lafontaine
nicht sah, war, dass westdeutsche Linke seiner Generation ein untaugliches
Desinteresse an der DDR ausstrahlten. Man verstand sich doch als
postnational, proeuropäisch, die Wiedervereinigung hielt man eigentlich für
etwas Vorgestriges. Und die Idee, nicht mehr in die Toskana, sondern ins
Erzgebirge zu reisen, war ein Graus. Im Sommerurlaub 1990 fuhr Lafontaine
zum Maffay-Fest auf Mallorca.
## Nie bis ganz nach oben
Oskar Lafontaine ist der talentierteste Politiker seiner Generation
gewesen. Aber bis ganz nach oben hat er es nie geschafft. Nicht wegen eines
Mangel an Machtinstinkt. Sondern weil er manches Richtige überscharf sah
und dabei das Ganze aus dem Blick verlor. Als Linkspartei-Chef hat er nach
2005 die schroffe Abgrenzung gegen die SPD forciert. Er hat bis zum
Ermüdungsbruch gegen Hartz IV polemisiert. Doch nach 2009, als die SPD in
der Opposition war und andere Töne anschlug, hat er das rhetorische
Trommelfeuer nicht reduziert. Anti-SPD ist aber kein Daseinszweck für eine
Partei. Was Lafontaine fehlt, ist der Sinn für das rechte Maß.
Bisweilen hat man ihn als geifernden Ideologen beschrieben. Zu Unrecht. Er
hat, wie Angela Merkel, Physik studiert und verstand sich durchaus auf
kühle Kalkulation. Er war ruppig in seinen Mitteln, aber nicht der böse
Demagoge. Politisch äußerst biegsam, hat er sich des Öfteren neu erfunden.
In den 80er Jahren legte er sich als SPD-Reformer frontal mit den
Gewerkschaften an, als Ministerpräsident im Saarland verhöhnte er Beamte
als Sesselfurzer und als SPD-Linker Helmut Schmidt als autoritären
Charakter. Er hat sich, auch ungewöhnlich, politisch von seinen Frauen
beeinflussen lassen. Von Christa Müller hat er den Neokeynesianismus
gelernt, von Sahra Wagenknecht – ja was?
Dies ist nicht sein erster großer Abgang. Kein Politiker ist so oft
schmollend und auch im Innersten verletzt abgetreten. Sein spektakulärster
Rücktritt geschah 1999, als Finanzminister der rot-grünen Regierung und als
SPD-Chef. Das sah damals für viele frustrierte Sozialdemokraten aus wie
Flucht. Aber das war es nicht. Lafontaine sah damals, mal wieder schlauer
als der Rest, dass die Deregulierung der Finanzmärkte fatale Konsequenzen
haben würde. Er ging, weil er seiner Entmachtung nicht zusehen wollte.
1999 war sein Rückzug ein Drama für die SPD. Der Abgang 2012, der wohl sein
letzter sein wird, ist hingegen eine Farce, in der seine dunkle Seite
sichtbar wird. Das Egomane. „Passt mal auf, Kinder, ich erkläre euch das.“
Das hat er am letzten Dienstag dem Parteivorstand und den Landeschefs der
Linken gesagt, als er sein Angebot, noch einmal Parteichef zu werden,
erläutern sollte. „Oskar“, stellte ein Reformer schon 2009 ernüchtert fes…
„hat uns nie ernst genommen.“
## Verborgene Volte
Viele haben gerätselt, welcher Trick hinter seinem Angebot steckt, nur Chef
zu werden, wenn niemand gegen ihn antritt. Unvorstellbar schien, dass
Lafontaine, der Profi, sich davon abhängig macht, dass sein
innerparteilicher Rivale Dietmar Bartsch einfach aufgibt. Es musste doch
eine verborgene Volte geben. Aber die Wahrheit ist banal. Lafontaine
verspürt schon länger einen Zwiespalt. Einerseits langweilt er sich im
Saarland, dem politischen Exil – aber der Thrill der Politik und der Macht
hat für ihn an Glanz verloren. „Als ich jung war, war ich stolz, von
Kameras und Blitzlichtgewitter umgeben zu sein. Das ist heute nicht mehr
so“, erzählte er der taz vor einem Jahr in einem Saarbrücker Restaurant.
„Ich brauche nicht jeden Tag das Bad in der Menge“, hat er gesagt und seine
„innere Distanz“ zu dem Betrieb beschrieben. Das war nicht kokett, es klang
müde und ehrlich. So redet niemand, der es unbedingt noch mal wissen will.
Entweder zu meinen Bedingungen oder gar nicht, das war sein Angebot. Er hat
gar nicht mehr mehr gemerkt, welche tiefe Verachtung für seine Partei
daraus sprach. Er hat wohl auch geahnt, dass 2013 seine Anti-SPD-Polemik
nicht mehr zünden wird. Er hätte gewirkt wie jemand, der aus der Zeit
gefallen ist.
Was hat er erreicht? Die Linkspartei wird von Fliehkräften zerrissen.
Lafontaine hat nichts getan, um diese zu bändigen, im Gegenteil. Viele
Ostgenossen haben in Lafontaines herrischem Stil die Wiederkehr der
autoritären Parteiräson aus SED-Zeiten gesehen. Auf den Fluren haben sie
Witze über ihn gerissen. Zum Beispiel: „Was ist der Unterschied zwischen
Ratzinger und Lafontaine? Ratzinger ist nur der Stellvertreter.“ Lothar
Bisky hat einmal den „Stalinismus durch die Hintertür“ in der Partei
beklagt. Ein schiefes Bild. Was Lafontaines rüde Truppe tat, war eher
westsozialdemokratisches Mackertum, bei dem die Vordertür eingetreten wird.
Umgekehrt hat Lafontaine, desinteressiert an ostdeutschen Erfahrungen, in
den PDS-Reformern nur Wiedergänger der Neue-Mitte-Sozialdemokraten erkennen
wollen, sich selbst abgeschottet.
Der Politiker Oskar Lafontaine hat viele fasziniert, viele abgestoßen, egal
war er niemandem. Ist er gescheitert? Unvollendet auf jeden Fall.
23 May 2012
## AUTOREN
Stefan Reinecke
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hamburger Linken-Fraktionschefin: „Wir müssen kampagnenfähig werden“
Dora Heyenn will Personaldebatten schleunigst beenden. Deshalb kandidiert
sie jetzt für den Parteivorsitz. Und will für enttäuschte Sozialdemokraten
und Gewerkschafter stehen.
Dietmar Bartsch: Der Skeptiker
Er ist eine Schlüsselfigur im Führungsstreit der Linkspartei: Dietmar
Bartsch. Ein Ostler, ein Macher. Das Werben um Zustimmung im Westen fällt
ihm nicht leicht.
Streit der Woche: „Spielwiese für Alt-Stalinisten“
Steht die Linkspartei vor dem Aus? Pirat Oliver Höfinghoff sagt ja:
Frischer Wind blase aus einer anderen Richtung. Die Linke Caren Lay
widerspricht.
Die Sehnsucht nach der alten PDS: Allergisch auf Autokratie
Bei der Regionalkonferenz der Linken zeigt sich anlässlich des Dilemmas an
der Parteispitze eine Ost-West-Spaltung. Die wenigen Lafontaine-Fans haben
es schwer.
Führungslose Linkspartei: Das Gewicht der Westler
Wenn es um Parteitagsstimmen geht, zählt in der Linkspartei ein Westler
rund ein Drittel mehr als ein Ostler. Das wird zu Wahlakrobatik beim
Parteitag im Juni führen.
Kommentar Linkspartei und ihre Führung: Revolte aus Verlegenheit
Die Linkspartei braucht eine Führung, die Streit moderieren kann und
Autorität hat. Das Duo Schwabedissen/Kipping wäre ein Zeichen für eine
Neuerfindung.
Kipping und Schwabedissen für die Linke: Böcke sollen sich vom Acker machen
Katja Kipping und Katharina Schwabedissen kandidieren als weibliche
Doppelspitze für die Linkspartei. Ein „festes Paket“ haben die beiden noch
nicht.
Kommentar Linkspartei: Bartschs Bürde
Am Tag nach Lafontaines Abgang sucht die „Linke“ jetzt den „Dritten Weg�…
Führen muss der jedenfalls endlich in eine Richtung: Nach vorne.
Linkspartei nach Lafontaine-Rückzug: Jung und weiblich favorisiert
Nach dem Rückzug Oskar Lafontaines als Kandidat für den Parteivorsitz der
Linken mehren sich die Stimmen für eine weibliche Doppelspitze. Am
Mittwochmittag soll es eine Erklärung geben.
Führungsstreit in der Linkspartei: Doch nicht unersetzlich
Oskar Lafontaine zieht seine Kandidatur für den Parteivorsitz zurück. Ist
der Weg frei für Gegenkandidat Dietmar Bartsch? Auch mehrere Frauen sind
mittlerweile in der Spur.
Kommentar Lafontaines Rückzug: Opfer einer sagenhaften Eitelkeit
Die Linkspartei hat jetzt ihre letzte Chance, es Lafontaine nicht
gleichzutun und endgültig von der politischen Bühne abzutreten. Die linken
Frauen könnten sich positionieren.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.