# taz.de -- Live Art-Festival: Die Show bist du | |
> Beim Live Art Festival auf Kampnagel in Hamburg sorgt unter anderem das | |
> "Netzwerk junger europäischer Zuschauer" für Aktivität im Publikum. | |
Bild: Szene aus der Tanz-Performance [M]imosa. | |
Die Erneuerung im Theater kommt manchmal aus einer unerwarteten Richtung. | |
Da gibt es beispielsweise das Netzwerk junger europäischer Zuschauer, das | |
das Selbstverständnis des Zuschauers im Theater verändern will. Anstatt | |
passiv zu konsumieren, soll sich der Zuschauer als aktiver Teil des | |
Geschehens begreifen, soll interpretieren, reflektieren und sich | |
austauschen über das, was im Theater passiert. Alle paar Monate treffen | |
sich deshalb die Mitglieder des Netzwerks, größtenteils Studenten, irgendwo | |
in Europa auf einem Theaterfestival, um gemeinsam aktiv zuzuschauen. | |
Derzeit sind 70 von ihnen beim Live Art Festival auf Kampnagel in Hamburg. | |
Das Festival präsentiert elf Tage lang einen bunten Strauß verschiedener | |
Performanceformate: Es gibt Tanzstücke, Allagsinterventionen oder eine | |
Lichtperformance. Die jungen europäischen Zuschauer sind die ersten vier | |
Tage nicht nur bei den Aufführungen, sie leben auf dem Gelände. Hamburger | |
Designstudenten haben ihnen in einer der alten Fabrikhallen einen | |
Schlafsaal gebaut aus Europaletten, Theaterstellwänden und | |
Nachttischlampen. Nur Schlafsaal oder schon Kunst? Teil des Festivals auf | |
jeden Fall. Die Kuratorinnen Nadine Jessen und Melanie Zimmermann wollen, | |
dass das Festival zum Lebensraum wird. Performance soll als eine soziale | |
Kunstform begriffen werden. | |
Damit einher geht der ebenso altbekannte Gedanke, den Zuschauer als aktiven | |
Zuschauer in die Stücke zu integrieren. Zu erleben beispielsweise im | |
Auftaktstück der estnischen Choreografin Krõõt Juurak: Bei ihrer | |
Performance „Scripted Smalltalk“ ist die Bühne leer, es gibt lediglich | |
einen Text mit drei Sprechern. Die Sprecher wählt Juurak aus dem Publikum | |
aus und inszeniert damit eine spontane Lesung unter Laien. | |
Die Leute tauschen sich darüber aus, was das hier gerade soll: Wie sie ins | |
Theater gekommen sind, um eine Performance zu sehen, und nun selbst einen | |
Text lesen müssen; wie sie gefangen sind in der Situation, die der Text | |
vorgibt; wie sie nicht wissen, wo der Text hinführt; wie sie sich denken, | |
was das für ein Mist ist. Auch die Zuschauer fragen sich, was das alles | |
soll, und bekommen die eigenen Gedanken durch den Stücktext gespiegelt. | |
Theater ist das, was während der Aufführung im Kopf der Zuschauer vor sich | |
geht, das ist die Message dieses kleinen Experiments. | |
Einen Kontrast zu dieser textbasierten Arbeit bildet das Tanzstück | |
„[M]imosa“ der Tänzer und Choreografen Cecilia Bengolea, François | |
Chaignaud, Trajal Harrell und Marlene Monteiro Freitas. Sie alle haben eine | |
Wunschfigur namens Mimosa im Kopf, eine Figur, die sie nicht sind, aber der | |
sie im Tanz nahekommen. | |
Tanz bedeutet in diesem Fall: alle möglichen Spielarten von zeitgenössisch | |
bis klassisch, opulent kostümiert mit künstlichen Brüsten, Federschmuck | |
oder Ganzkörpernylonanzug. Männer werden hier Frauen und umgekehrt. Dabei | |
findet jede Verwandlung, jeder Kostümwechsel vor den Augen der Zuschauer | |
statt. Der Einblick in die Wunschbilder der vier Akteure geht einher mit | |
dem Blick auf die unverkleideten Körper und Personen. Dadurch entsteht eine | |
große Nähe. Am Schluss stehen die vier Tänzer am Ausgang und verabschieden | |
die Zuschauer persönlich. Die reagieren mit spontanen Danksagungen und | |
Küsschen. So kann man als Zuschauer auch aktiv sein. | |
bis 9.6.2012, Kampnagel, Hamburg. Programm: [1][www.kampnagel.de] | |
1 Jun 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.kampnagel.de | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
## TAGS | |
Kampnagel | |
Schwerpunkt Urheberrecht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Tanzstück auf Kampnagel: Zottelwesen tanzt nicht | |
Der französische Choreograf Christian Rizzo bezieht sich ohne Nostalgie in | |
„Le syndrome Ian“ auf die Klubkultur der späten 70er | |
c/o Pop Festival: Festival der sanften Töne | |
Elektropop dominierte das c/o Pop Festival in Köln. Die begleitenden | |
Podiumsgespräche zu Urheberrrechten liefen konfliktfrei ab – und ohne | |
Musiker. |