# taz.de -- Kommentar Wahlrecht: Mehr Abgeordnete, weniger Wähler | |
> In Karlsruhe wird am Dienstag über das Wahlrecht verhandelt. Opposition | |
> und Tausende Bürger haben geklagt – und das Verfassungsgericht hat etwas | |
> gutzumachen. | |
Bild: Wenn Karlsruhe nun also die Überhangmandate beseitigen oder ausgleichen … | |
Unser Wahlrecht ist nicht perfekt, denn es gibt kein perfektes Wahlrecht. | |
Deshalb ist die Heilserwartung, die mit der Verhandlung des | |
Bundesverfassungsgerichts am Dienstag verbunden ist, bedenklich. Wieder mal | |
gilt die Entscheidung des Parlaments wenig und alle schauen auf Karlsruhe. | |
Doch selbst wenn die obersten Verfassungsrichter nun (übergangsweise) ein | |
eigenes Wahlrecht für die nächste Bundeswahl 2013 vorgeben, würde es an der | |
einen oder anderen Ecke haken. Es war deshalb ein Fehler, dass das | |
Bundesverfassungsgericht 2009 eine relativ kleine Verzerrung (das so | |
genannte negative Stimmgewicht) zum Anlass genommen hat, vom Bundestag eine | |
Neuregelung zu fordern. | |
Die Richter hatten es zuvor nicht beanstandet und hätten es dabei belassen | |
können. Wirklich besser ist das Wahlrecht auch nach der geforderten | |
Korrektur nicht, weil es nun neue kleine Probleme gibt. | |
Nach einer Klage von SPD, Grünen und 3.000 Bürgern liegt das Wahlrecht nun | |
schon wieder in Karlsruhe und diesmal geht es auch um eine relevantere | |
Frage: die Überhangmandate. Sie entstehen, wenn eine Partei mehr | |
Direktmandate holt, als ihr proportional nach den Parteistimmen zustehen. | |
## Großes Akzeptanzproblem | |
Überhangmandate können bei knappen Mehrheitsverhältnissen dazu führen, dass | |
eine Kanzlerin zwar mehr Abgeordnete hinter sich hat als die Opposition, | |
aber weniger Wähler. Das wäre keine kleine Wahlverzerrung, sondern ein | |
großes Akzeptanzproblem. | |
Wenn Karlsruhe nun also die Überhangmandate beseitigen oder ausgleichen | |
will, dann wäre das zu begrüßen. Einfacher wird das Wahlrecht zwar auch | |
dann nicht. Aber wer das negative Stimmgewicht beanstandet, muss erst recht | |
die Überhangmandate neutralisieren. | |
Zu hoffen ist aber auf ein einstimmiges Urteil, das auch Akzeptanz schafft. | |
Eine Entscheidung wird erst in ein paar Monaten erwartet. Zuletzt hat das | |
Bundesverfassungsgericht 1997 über die Überhangmandate geurteilt und eine | |
Beseitigung mit 4 zu 4 Stimmen abgelehnt. Das war peinlich, weil die | |
Richter exakt entsprechend ihrer mutmaßlichen Parteipräferenzen abstimmten. | |
Sie haben also etwas gutzumachen. | |
5 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Verfassungsgericht verurteilt Wahlrecht: „Sieg über schwarz-gelbe Arroganz“ | |
Während die Koalition sich bestätigt sieht, jubelt die Opposition über die | |
Blamage von Schwarz-Gelb. Doch alle wissen, dass es einen Konsens zum | |
Wahlrecht geben muss. | |
Wahlrecht vor dem Verfassungsgericht: Nicht länger willkürlich | |
SPD und Grüne finden wenig Gutes am neuen Wahlrecht der schwarz-gelben | |
Regierung. Nun klärt das Verfassungsgericht, ob die Neuregelung rechtmäßig | |
ist. | |
Bilanz & Reformbedarf des neuen Wahlrechts: "Starke Disproportionalität" | |
Der Verfassungsausschuss hat sich gestern mit einer Studie über das neue | |
Wahlrecht beschäftigt. Herausgeber Lothar Probst bemängelt die | |
Intransparenz des neuen Systems | |
Studie überprüft Bremer Demokratie: "Ein Stück Lotterie drin" | |
Eine Analyse verweist auf system-mathematische Schwächen des neuen Bremer | |
Wahlrechts: "Fremdverwertung" und "Personenstimmenparadox". |