# taz.de -- Studie überprüft Bremer Demokratie: "Ein Stück Lotterie drin" | |
> Eine Analyse verweist auf system-mathematische Schwächen des neuen Bremer | |
> Wahlrechts: "Fremdverwertung" und "Personenstimmenparadox". | |
Bild: Zufallsgemisch? Die Bürgerschaft wurde nach der letzten Wahl deutlich bu… | |
Knapp sechs Prozent der Stimmen entschieden bei der letzten | |
Bürgerschaftswahl über 40 Prozent der Mandate. Zu diesem Ergebnis kommt | |
eine Studie der Uni Bremen, die die Auswirkungen des neuen Wahlrechts auf | |
die Zusammensetzung des Parlaments analysierte. | |
2011 hatten die Bremer Wahlberechtigten erstmals fünf Stimmen, die sie | |
entweder auf einen Kandidaten vereinigen oder, über Parteigrenzen hinweg, | |
verteilen konnten. Zuvor war nur das Ankreuzen einer Parteiliste mit einer | |
vorgefertigten Kandidaten-Rangfolge möglich. | |
Dieser Zuwachs an direktem Einfluss, der auf eine Initiative des Vereins | |
„Mehr Demokratie“ zurückgeht, hat deutliche Schattenseiten, wie die | |
Uni-Studie zeigt. Demnach genügten im Durchschnitt 0,2 Prozent der | |
Gesamtstimmen, das waren 2011 rund 2.000 Einzelstimmen, um ein | |
Personenmandat zu erhalten. Da die Spitzenkandidaten eine sehr hohe Anzahl | |
von Personenstimmen erhielten, sei es zu einer „Femdverwertung“ dieses | |
Stimmüberschusses gekommen, erläutert Valentin Schröder, Mitverfasser der | |
Studie. In der Folge verdankten die meisten Personenmandat-Inhaber ihren | |
Sitz nur zu einem kleinen Teil der Stimmen, die tatsächlich auf sie selbst | |
entfallen seien. | |
Ist das neue Wahlrecht also gar nicht so demokratisch? „In der Summe bin | |
ich sehr zufrieden“, entgegnet Parlamentspräsident Christian Weber (SPD). | |
Allerdings gibt es noch einen zweiten neuen Effekt: Als Gegenstück zur | |
„Fremdverwertung“ lässt sich ein „Personenstimmenparadox“ feststellen, | |
erläutert Schröder. Der SPD-Politiker Max Liess beispielsweise hätte | |
beinahe seinen Abgeordnetensitz wegen zu vieler Personenstimmen verloren: | |
Diese lassen den Anteil der Listen-Mandate schrumpfen, so dass man als | |
Kandidat durch eine Lücke aus zu vielen und gleichzeitig zu wenigen | |
Personenstimmen rutschen kann. Dass dies kein lediglicher hypothetischer | |
Systemfehler ist, zeigte die Hamburger Bürgerschaftswahl. „Da ist ein Stück | |
Lotterie drin“, so Lothar Probst, Herausgeber der Studie. | |
Damit bestätigt die Uni-Studie die kritischen Anmerkungen, mit denen sich | |
der Leiter des statistischen Landesamtes, Landeswahlleiter Jürgen Wayand, | |
vor der Bürgerschaftswahl zu Wort gemeldet hatte. Wayand hatte darauf | |
hingewiesen, „dass Personenstimmen nicht unbedingt auch dieser Person | |
zugute kommen“ – und war dafür insbesondere von Grünen-Fraktionschef | |
Matthias Güldner heftig attackiert worden. Wayands Aussagen grenzte an | |
„Amtsmissbrauch“, erklärte Güldner, der Innensenator müsse „diesem äu… | |
fragwürdigem Treiben unverzüglich ein Ende bereiten“. | |
Stattdessen nun also die wissenschaftliche Bestätigung, erstellt im Auftrag | |
der Bürgerschaft. Präsident Weber und der Politologe Probst sprechen nun | |
von „Stellschrauben“, mit den das Wahlsystem nachjustiert werden könne. | |
Welche das seien, bleibt allerdings unklar. „Sehr viel kann man nicht | |
ändern“, sagt Probst auf Nachfrage, wenn man das jetzige System prinzipiell | |
beibehalten wolle. Allenfalls über die Frage, ob zuerst die per Liste oder | |
die per Personenstimmen gewählten Kandidaten zum Zuge kommen, könne man | |
„noch mal nachdenken“, so Probst. In Niedersachsen werden zuerst die | |
Personenstimmen berücksichtigt, doch der Bremer Staatsgerichtshof hatte die | |
umgekehrte Variante als verfassungskonform beschieden. | |
Tim Weber von „Mehr Demokratie“ steht zu der von ihm mitinitiierten | |
Wahlrechtsänderung: Vorher seien es nur wenige Parteitags-Delegierte | |
gewesen, die über die Kandidatenauswahl entschieden hätten. Weber: „Wenn es | |
jetzt sein kann, dass wenige Wähler solche Entscheidungen treffen, ist das | |
ein Ausdruck von lebendiger Demokratie.“ | |
Die Uni-Studie stellte immerhin fest, dass es keine graphischen | |
Wahlfaktoren gegeben habe. Im Gegensatz zu den Hamburger Wahlunterlagen, wo | |
sich eine Kandidaten-Platzierung beispielsweise rechts oben positiv | |
auszuwirken schien, seien in Bremen keine „Layout-Effekte“ zu beobachten | |
gewesen. | |
11 Apr 2012 | |
## AUTOREN | |
Henning Bleyl | |
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