# taz.de -- Medizinische Versorgung: "Wir doktern nicht herum" | |
> In Lübeck gibt es künftig eine Anlaufstelle für Menschen ohne Papiere, | |
> die einen Arzt brauchen. Till Koch vom Medibüro Kiel weiß, was sie | |
> erwartet. | |
Bild: Mund auf, Zunge raus: Eine Aufforderung, die Menschen ohne Papiere selten… | |
taz: Herr Koch, in Deutschland steht jedem Menschen eine medizinische | |
Grundversorgung zu. So weit die Theorie, wie sieht es in der Praxis aus? | |
Till Koch: Schöne Theorie, aber in Wahrheit ist es so, dass Menschen ohne | |
Papiere immer die Abschiebung fürchten müssen, sobald sie in den Kontakt | |
mit einer Behörde kommen. Was dazu führt, dass sie medizinische Hilfe erst | |
gar nicht in Anspruch nehmen, oft monatelang dringende Behandlungen | |
aufschieben, darüber chronisch krank werden oder Frauen | |
Risikoschwangerschaften ohne eine einzige Vorsorgeuntersuchung durchmachen. | |
Darum haben wir das Medibüro in Kiel ins Leben gerufen, um Illegalisierten | |
medizinisch behilflich zu sein. | |
In Lübeck öffnet nun auch ein Medibüro – was erwartet die Lübecker? | |
Medibüros sind Vermittlungsstellen, wir doktern also nicht selbst an den | |
Patienten herum. Am wichtigsten ist daher, ein ausreichend großes Netzwerk | |
an Ärzten, Hebammen und Laboren aufzubauen. Dafür haben wir fast ein Jahr | |
gebraucht. | |
Wer kommt zu Ihnen? | |
Mehr als die Hälfte sind tatsächlich Menschen aus den neuen EU-Ländern wie | |
Rumänien, die zwar nicht illegal sind, aber keinen Anspruch auf | |
Sozialleistungen haben und weder hier noch im Heimatland krankenversichert | |
sind. Gerade in Kiel gibt es sehr viele Roma und die Stadt schickt sie oft | |
zu uns. | |
In Hamburg ruft auch mal das Gesundheitsamt an: Wir haben hier | |
unterversorgte Menschen, können Sie da was machen? | |
Das ist schon absurd, denn eigentlich müsste sich die Stadt ja um eine | |
Lösung bemühen, statt die ehrenamtliche Hilfe zu instrumentalisieren. | |
Wie finanzieren Sie sich? | |
Die Ärzte arbeiten kostenlos und der Rest wird über Spenden finanziert. Und | |
wir bemühen uns, die Betroffenen, soweit es geht, auch mit heranzuziehen. | |
Neulich brauchte beispielsweise jemand einen Zahnersatz und da hat der | |
Patient 100 Euro und wir 200 Euro bezahlt. | |
Über Spenden heißt, dass die medizinische Versorgung davon abhängt, ob | |
gerade Geld da ist? | |
Wenn kein Geld da ist, können wir nicht helfen. Das ist uns in Kiel bisher | |
zum Glück nicht passiert, weil wir pro Woche auch nur etwa fünf Patienten | |
haben. Da haben Städte wie Hamburg oder Hannover natürlich ganz anderen | |
Zulauf. Es wird sich zeigen, wie es in Lübeck laufen wird. | |
8 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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