Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Serie Flüchtlingsleben (III): Unerwünscht gleich unversorgt
> Wer ohne Papiere in Deutschland lebt, sollte besser nicht krank werden.
> Denn obwohl jedem Menschen rein rechtlich die medizinische
> Grundversorgung zusteht, bliebe ihnen ohne Ehrenamtliche oft jede Hilfe
> verwehrt. Teil III der taz.nord-Serie über das Leben von Flüchtlingen.
Bild: Sitha Schwarzer (li.) und Christine Wiedemann arbeiten ehrenamtlich, das …
HAMBURG taz | Sitha Schwarzer wird Ärztin werden, sie ist mit ihrer
Ausbildung fast fertig und kennt den Alltag in der Klinik. "Hier ein MRT,
dort ein Blutbild - das geht zack, zack", sagt sie. Und nicht immer wird
lange nachgedacht, ob das jetzt wirklich notwendig oder bloße Routine ist.
"Und dann sitzt man hier, jemand hat einen dicken Tumor im Bauch, und kein
Mensch möchte ihn behandeln."
Hier, das ist das Hamburger Büro für medizinische Flüchtlingshilfe - kurz
Medibüro. Ein runder Kieferntisch füllt den halben Raum aus, mit den weißen
Raufaserwänden und dem blauen Teppich. Sonst gibt es nur noch eine selten
genutzte Behandlungsliege, ein Telefon und einen Karteikasten mit den
Patientenkarten nach Fachrichtung sortiert - von Chirurgie über
Naturheilkunde bis Zahnarzt.
Heute ist keine Sprechstunde, die Stühle auf dem Flur vor dem kleinen
Beratungszimmer sind leer. An den Beratungstagen kann es aber schon mal eng
werden, pro Woche kommen 25 bis 40 Menschen in die beiden jeweils
dreistündigen Beratungstermine - Schwangere, Diabetiker, Menschen mit
chronischen Schmerzen, Patienten nach einem Schlaganfall, traumatisierte
Flüchtlinge, Krebspatienten oder Kinder, deren Eltern ohne Papiere hier
leben. Die Liste der Beschwerden ist lang.
Gemeinsam haben sie, dass sie keine Krankenversicherung haben, sich die
Behandlungskosten nicht leisten können, und dass das Sozialamt höchstens
die Kosten für die medizinische Versorgung im Notfall übernimmt. Es kann
Monate dauern, ehe ein solch eventueller Rechtsanspruch geklärt ist. Aber
viele Erkrankungen lassen einen solchen Aufschub nicht zu, können chronisch
werden und sich weiter verschlimmern. Ehrenamtliche wie Schwarzer
vermitteln die Patienten weiter zu Ärzten, verhandeln vergünstigte
Konditionen und geben ihnen als Ersatz für die fehlende Krankenkassenkarte
einen Brief mit, der dem Arzt zusichert: Das Medibüro wird für Kosten bis
zu 75 Euro aufkommen.
Schwarzer ist eine von etwa 25 Ehrenamtlichen des Medibüros Hamburg,
gegründet 1994. Die 26-Jährige absolviert gerade ihr Praktisches Jahr. Es
war 2007, sie studierte noch in Göttingen, als eine Freundin ihr erzählte,
dass allein in Göttingen geschätzte 400 Menschen ohne Papiere leben und
keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben. "Das hat mich schockiert",
sagt Schwarzer. Sie begann, für das dortige Medibüro zu arbeiten. Als sie
nach Hamburg zog, machte sie hier weiter. Sie traf Christine Wiedemann, die
seit 3,5 Jahren für das Medibüro arbeitet.
"Medizinische Versorgung ist ein Grundrecht, und jeder muss angstfrei ins
Krankenhaus gehen können", sagt die 36-jährige Wiedemann. Sie arbeitet
schon lange als Krankenschwester, einige Jahre war sie in der ambulanten
Pflege. Sie nennt es einen menschenrechtlichen Skandal, dass nicht jeder
Zugang zu diesem System hat. "Es ist schwer, mit anzusehen, wie unversorgt
gerade Menschen sind, die hier ohne Papiere alt und chronisch krank
werden." Oft verlieren sie ihren Arbeitsplatz, sagt sie, ihr Einkommen,
möglicherweise die Wohnung und manchmal werden sie am Ende ausgewiesen.
Obwohl sie monatelang Atteste von Ärzten zusammengetragen hat. "Das kann
schon sehr frustrierend sein", sagt Wiedemann.
Rechtlich fallen Flüchtlinge unter das Asylbewerberleistungsgesetz und
haben danach Zugang zu medizinischer Grundversorgung - im Notfall dürfen
auch Menschen ohne Papiere nicht abgewiesen werden. Das ist aber oft nur
Theorie. Denn viele hält die finanzielle Belastung von einem Arztbesuch ab,
andere fürchten, dass ihr illegaler Aufenthaltsstatus aufgedeckt werden
könnte und sie abgeschoben werden.
Ein wenig besser wurde es im Herbst 2009, mit der sogenannten verlängerten
Schweigepflicht. Vorher hatten zwar Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus
im Fall einer akuten oder schmerzhaften Erkrankung ein Anrecht auf
medizinische Behandlung. Die Krankenhäuser mussten aber zunächst beim
Sozialamt einen Krankenschein beantragen - und waren wiederum verpflichtet,
die Patientendaten an die zuständige Ausländerbehörde weiterzuleiten. Jetzt
müssen sie eben das nicht mehr tun. "Es läuft im Krankenhaus manchmal
dennoch katastrophal", sagt Schwarzer. "Da kommt schon mal die Polizei und
macht eine Identitätsprüfung, wenn nicht klar ist, wer dort im Bett liegt
und wie die Rechnung bezahlt werden soll."
Von einer adäquaten Versorgung ist man weit entfernt. Die Menschen brauchen
nicht nur Notfallbehandlung, sondern Augenarzt, Zahnarzt, Gynäkologen,
Physiotherapeuten, Psychiater. Zu diesen Fachärzten ist der Zugang aber
verwehrt, außer er wird über Orte wie das Medibüro organisiert. Und hier
muss man nehmen, was kommt. Da müssen die Menschen im Zweifel einen Arzt
aufsuchen, der ihre Sprache nicht spricht.
"Es kommt auch vor, dass eine Mutter mit ihrem Kind erst mal 1,5 Stunden
durch die Stadt fahren muss, weil die engagierte Ärztin, die kostenlos
arbeitet, leider am Stadtrand sitzt", sagt Wiedemann. Zwar hätten sie hier
in Hamburg mittlerweile ein Netzwerk von rund 150 Medizinern, Hebammen und
Therapeuten, aber in manchen Stadtteilen gebe es noch immer niemanden und
bei bestimmten Fachrichtungen, bei denen es mit einem Arztbesuch nicht
getan ist, wird es schnell eng. Gerade an Gynäkologen, Psychiatern oder
Physiotherapeuten mangele es ständig.
Das Medibüro finanziert sich vollständig über Spenden. Ein Problem, sagt
Schwarzer, denn die medizinische Versorgung darf nicht davon abhängen, ob
gerade Geld im Topf ist. Es kommt vor, dass die Kasse monatelang leer ist,
und wenn in dieser Zeit eine dringende Operation für 3.000 Euro ansteht,
muss man so lange herumtelefonieren, bis irgendjemand sich bereit erklärt,
Geld zur Verfügung zu stellen oder die Behandlung günstiger oder kostenlos
zu übernehmen.
Aber es kommt sehr regelmäßig vor, dass sie passen müssen, nicht bezahlen
können. "Das kann so nicht richtig sein und es muss dringend eine andere
Lösung her", sagt Schwarzer. Stattdessen passiert es, dass Gesundheits-
oder Jugendamt um Unterstützung bitten, weil es einfach für Menschen ohne
Papiere keine andere Möglichkeit abseits der ehrenamtlichen Helfer gibt.
"Es geht so weit, dass sie uns anrufen und sagen, wir haben hier
unterversorgte Menschen, ob wir da nicht was machen können", sagt
Wiedemann. "So wollen wir unsere ehrenamtliche Arbeit nicht
instrumentalisieren lassen, wir sind ein Provisorium und müssen es
bleiben."
Das Medibüro spricht sich als Alternative für den anonymen Krankenschein
aus, wie er beispielsweise in Amsterdam bereits genutzt wird. Die Menschen
ohne Papiere müssen hier ihre Identität nicht preisgeben und können
behandelt werden, ohne dass sie Angst vor einer Abschiebung haben müssen.
Außerdem bekommt der behandelnde Arzt ein Honorar. Eine konstante
Versorgung wäre so gewährleistet, ohne auf Spenden und ehrenamtliche Helfer
angewiesen zu sein. Über eine sogenannte Clearingstelle könnten die
Krankenscheine ausgegeben werden.
Das Konzept der Clearingstelle wurde in Hamburg lange diskutiert, unter
anderem saßen auch Mitarbeiter vom Medibüro mit in den entsprechenden
Gremien. Und im September 2010 gaben CDU und GAL bekannt, dass sie 500.000
Euro für das Projekt Clearingstelle bereitstellen wollen. Kurz danach trat
Ole von Beust zurück. "Seither wissen wir nicht, wohin die Reise geht",
sagt Wiedemann. Die Sozialbehörde hat die weitere Planung in die Hand
genommen und wer weiß, vielleicht komme ja etwas Positives dabei heraus.
"Unser hehres Ziel bleibt es jedenfalls, uns überflüssig zu machen."
9 Dec 2011
## AUTOREN
Ilka Kreutzträger
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.