# taz.de -- Debatte Afghanistan: Gefährliche Avancen | |
> Mit der Annäherung an China versucht Kabul sich aus der Umklammerung des | |
> Westens zu befreien. Doch das ist ein riskantes Spiel. | |
Bild: Vetternwirtschaft und mafiöse Familienstrukturen: Hamid Karsai, hier mit… | |
Afghanen spielen gerne Schach. In den wenigen Parks der Hauptstadt Kabul | |
sitzen zumeist ältere Männer auf lehmigem Boden, umringt von zahlreichen | |
Zuschauern, und lassen die Figuren sprechen. | |
Seit bekannt ist, dass die westlichen Kampftruppen Ende 2014 Afghanistan | |
verlassen werden, stehen Strategiespiele auch bei den afghanischen | |
Außenpolitikern hoch im Kurs. Ihr jüngster Zug: Das Land und China haben | |
ihre Beziehungen in den Rang einer „strategischen und kooperativen | |
Partnerschaft“ erhoben. | |
Mit dem Schritt will Kabul sich ein wenig aus der westlichen Umklammerung | |
befreien. Ein Vertrag mit den USA, der auch die militärische Präsenz der | |
Supermacht in den kommenden Jahren in Afghanistan absichert, garantiert die | |
wichtigste Außenbeziehung des Landes. Die Bundesrepublik, Großbritannien | |
und Australien sind dem Beispiel der USA gefolgt. Auf diese Weise hat | |
Afghanistan demonstriert, dass es sich zunächst nach Westen orientiert. | |
Doch nach zwölf Jahren der Zusammenarbeit ist offensichtlich geworden, dass | |
diese Bindung nicht unproblematisch ist. Die westlichen Staaten konnten in | |
Afghanistan ihre Aufbauziele bisher kaum erreichen. Und die Entfremdung | |
zwischen der afghanischen Zivilbevölkerung und den Besatzungstruppen ist | |
mit den brutalen nächtlichen Durchsuchungsaktionen, Koranverbrennungen und | |
der Tötung von unschuldigen Menschen noch gewachsen. | |
## Kupfer, Eisen, seltene Erden | |
Das verschafft der stärkeren Orientierung der Regierung in Kabul nach Osten | |
Rückhalt. Peking hatte sich nach dem 11. September 2001 zwar hinter den | |
westlichen Einsatz in seinem Nachbarland Afghanistan gestellt. China | |
fürchtet seit Jahrzehnten, dass seine westlichste Provinz, Xinjiang, von | |
Separatismus und islamischem Fundamentalismus infiziert wird. Es war für | |
die „kommunistische“ Führung daher sehr praktisch, dass der Westen gegen | |
diese Gefahr kämpft. | |
Meist hat sich die Pekinger Regierung aber zurückgehalten, vor allem wenn | |
es um den Nato-Einsatz ging. Und obwohl China in Afghanistan mit anderen | |
Ländern zusammenarbeiten könnte, zieht Peking es nun vor, seine verstärkte | |
Unterstützung in Kabul bilateral und exklusiv anzubieten. | |
Die asiatische Wirtschaftsmacht ist vor allem an Rohstoffen im Nachbarland | |
interessiert. Afghanistan bietet nicht nur viel Kupfer, Eisen und seltene | |
Erden, sondern auch Unmengen von Erdöl und Erdgas. Ab 2014 wird eine | |
chinesische Firma die größte Kupfermine des Landes in Aynak ausbeuten. Ein | |
anderes Unternehmen aus dem Reich der Mitte wird bereits im Oktober dieses | |
Jahres das erste Öl aus der Erde des afghanischen Nordens pumpen. | |
## Karsai hofft auf den Geldregen | |
Die Chinesen bekommen den Zuschlag für solche Investitionen aber vor allem, | |
weil sie Kabul das großzügigste Angebot machen. Unter anderem versprechen | |
sie einen jährlichen Gewinnanteil von 70 Prozent und den Aufbau von | |
Infrastruktur in den rohstoffreichen Regionen. Das passt sowohl der | |
Karsai-Regierung, die auf einen Geldregen hofft. Es stört aber auch die | |
Pläne des Westens nicht, denen zufolge die Rohstoffkorridore in Afghanistan | |
als Fundament der künftigen wirtschaftlichen Entwicklung ausgebaut werden | |
sollen. | |
Mit der Aufwertung zu einer „strategischen und kooperativen Partnerschaft“, | |
wie sie Ende dieser Woche auf dem Gipfel der Schanghaier | |
Kooperationsorganisation zwischen China und Afghanistan vereinbart wurde, | |
gehen die Beziehungen beider Länder künftig aber weit über das | |
Wirtschaftliche hinaus. Während die westlichen Truppen sich langsam | |
zurückziehen, bauen Peking und Kabul zum Beispiel die militärische | |
Zusammenarbeit aus. Afghanische Offiziere werden in China ausgebildet; | |
Hilfe in Form von Rüstungsgütern soll bald folgen. | |
Der chinesischen Führung geht es dabei nicht um Freundschaft, sondern um | |
die Sicherung langfristiger Interessen. Der chinesische Botschafter in | |
Kabul, Xu Feihong, klopft jede Woche bei einem anderen islamistischen | |
Parteiführer an und wärmt die Beziehung zu eventuellen Karsai-Nachfolgern | |
an. Karsai selbst hofft, von den überaus guten Beziehungen zwischen China | |
und Pakistan profitieren zu können. Chinas Diplomaten könnten Pakistan dazu | |
bewegen, glaubt er, die Taliban zum Frieden mit seiner Regierung zu zwingen | |
– eine Leistung, von der der Westen seit zehn Jahren träumt. | |
Doch die Avancen aus dem Osten, die Kabuls starke Männer erfreut, haben | |
auch eine Kehrseite. Die Annäherung zwischen Afghanistan und China stört | |
andere Mächte in der Region. | |
## Nervosität in Neu-Delhi | |
Erst unlängst hat ein hochrangiger indischer General China vorgeworfen, mit | |
der Unterstützung Afghanistans gegen Indien zu operieren. Dort ist man | |
alarmiert, denn China ist selbst Partei im Kaschmir-Konflikt, dem zweiten | |
großen Krisenherd in der Region. Auch die chinesisch-pakistanischen | |
Beziehungen sorgen in Neu-Delhi für Nervosität. Indien pflegte bisher | |
ausgezeichnete Beziehungen zu Afghanistan, was wiederum Pakistan ärgert. | |
Indische Unternehmen befinden sich mit China im Wettstreit um | |
wirtschaftlichen Einfluss in Afghanistan – nicht ohne Erfolg: Auch Indien | |
bekam in den letzten Jahren etwas vom Kuchen der reichen Rohstoffquellen am | |
Hindukusch ab. Nicht zu vergessen der Iran, ein weiterer einflussreicher | |
Nachbar Afghanistans, der mit der neuen Kooperationspolitik der Kabuler | |
Regierung unzufrieden ist. | |
Diese versucht, die Interessen des Westens, seiner Nachbarn und | |
verschiedener Regionalmächte gegeneinander auszuspielen, um sich selbst ein | |
wenig Luft zum Atmen zu verschaffen. Das ist ein riskantes Spiel. Erstens | |
führt wirtschaftliche Kooperation nicht automatisch zur Minderung der | |
Armut, sondern birgt die Gefahr, neue innergesellschaftliche Konflikte | |
auszulösen. | |
Vor allem aber kann es sich als Spiel mit dem Feuer erweisen, wenn Kabul an | |
zu vielen außenpolitischen Strippen gleichzeitig zieht. Die Gefahr, dass | |
das Land dadurch regionale Konflikte weiter anheizt, ist groß. Dann könnte | |
Afghanistan erneut in den gefährlichen Strudel der Interessen anderer, | |
mächtigerer Staaten hineingezogen werden. | |
10 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Cem Sey | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Afghanistan-Bericht unterdrückt: Menschenrechte in Kabul sind „Gedöns“ | |
Ein kritischer Menschenrechtsbericht wird von der Regierung Karsai und dem | |
Westen unterdrückt. Er passt nicht in die politische Landschaft. Jeder | |
Zusatzkonflikt gefährdet nur den Abzug. | |
Kommentar Taliban-Angriff in Kabul: Ein Zeichen der Stärke | |
Die Taliban haben lange versucht, das Bild von Hinterwäldlern loszuwerden. | |
Doch der Angriff zeigt: Die puritanistische Strömung der Bewegung ist | |
weiter aktiv. | |
Freitagsparties unerwünscht: Taliban attackieren Ausflugshotel | |
Es ist ein beliebter Ausflugsort vor den Toren Kabuls. Vor allem reiche | |
Afghanen verbringen dort Zeit. Den radikal-islamischen Taliban ist das ein | |
Dorn im Auge. Sie greifen an. | |
Afghanische Anti-Warlord-Partei vor Verbot: Dschihad darf nicht beleidigt werden | |
Wichtige Warlords rächen sich für die Kritik an ihren | |
Menschenrechtsverletzungen: Zum ersten Mal unter Karsai steht in | |
Afghanistan eine Partei vor dem Verbot. | |
Außenminister Westerwelle in Afghanistan: „Da ist unsere Expertise gefragt“ | |
Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) verspricht in Afghanistan Hilfe | |
bei der Wirtschaftsentwicklung des Landes. Ziel ist die Stabilisierung der | |
Region. | |
Selbstmordattentat in Afghanistan: Vier Nato-Soldaten getötet | |
Das französische Verteidigungsministerium bestätigt, dass vier seiner | |
Soldaten getötet worden seien. Der Attentäter soll sich mit einer Burka als | |
Frau verkleidet haben. | |
Afghanistan: Nato-Angriff und Sprengstoffanschläge | |
Mehr als 40 Menschen sind in Afghanistan bei einem Nato-Angriff in Kabul | |
und Sprengstoffanschlägen in Kandahar umgekommen. Die meisten davon sollen | |
Zilvilisten sein. | |
Debatte Nato und Afghanistan: Der zweite Irak | |
Alle sprechen vom Truppenabzug aus Afghanistan bis 2014 und suggerieren, | |
damit wäre der Krieg beendet. Doch der wird weitergehen, wie im Irak. | |
Unterstützung für Afghanistan: Geld statt Soldaten aus Deutschland | |
Die deutschen Soldaten sollen bis 2014 aus Afghanistan zurückgezogen | |
werden. Danach bekommt das Land aber weiter deutsche Gelder für die | |
Ausbildung von Polizisten und Soldaten. | |
Karsai in Berlin: Pingpong angeblich guter Nachrichten | |
Präsident Karsai wird ein Partnerschaftsabkommen mit Deutschland | |
unterzeichnen. Doch bei dessen finanzieller und personeller Umsetzung sind | |
viele Fragen offen. |