# taz.de -- Islamistische Demo in Libyen: Dschihadisten nutzen Machtvakuum | |
> Die Islamisten präsentieren sich auf einer Demonstration in Bengasi als | |
> Revolutionsgewinner. Die Bürger engagieren sich dagegen. Sie treffen sich | |
> per Facebook zur Gegendemo. | |
Bild: Unter dem schwarzen Banner mit dem islamischen Glaubensbekenntnis fordern… | |
BENGASI taz | In dem mediteranen Cafe gegenüber der ehemaligen | |
italienischen Kathedrale von Bengasi haben es sich Mohamed Asis und seine | |
Freunde gemütlich gemacht. Mit ihren hoch gegeelten Haaren, ihren Ray-Ban | |
Sonnenbrillen und engen Jeans könnten sie einem italienischen Modemagazin | |
entstiegen sein. | |
Wie viele Jugendliche in der ostlibyschen Hafenstadt. Aus dem nagelneuen | |
Toyota von Mohameds Vater brummen die Bässe von Madonnas neustem Hit. Radio | |
Shabab, der neue Jugendsender Bengasis, sendet westliche Popmusik, über 20 | |
Jahre lang war das verboten. | |
“Hier an der Promenade hängen wir nachmittags ab und genießen unsere neue | |
Freiheit“, sagt Mohamed, „hier sind wir für ein paar Stunden frei von | |
familiären Zwängen und Erinnerungen des Krieges.“ | |
Doch die Ansage des Radiomoderators von Shabab lässt die Stimmung abrupt | |
sinken. Dschihadisten aus ganz Ostlibyen wollen heute auf dem Tahirplatz | |
Bengasis für die Einführung der Scharia demonstrieren. Sie werden hier | |
gleich vorbei kommen, Mohamed dreht schon mal das Radio leiser. | |
## Denkwürdige Demonstration der Stärke der Islamisten | |
Besucher der benachbarten neuen Kunstgalerie, der Sicherheitschef einer | |
österreichischen Firma und eine Gruppe deutscher Unternehmer sichern sich | |
Plätze am Straßenrand. Die Unternehmer wollen sich über die Sicherheitslage | |
im Osten informieren und alte Geschäftskontakte treffen. Sie werden Zeugen | |
einer denkwürdigen Demonstration der Stärke der neuen islamistischen Szene | |
Libyens. | |
Pick Ups mit Luftabwehr-MGs rollen in einer kilometerlangen Kolonne am Cafe | |
vorbei, dazwischen Familienwagen mit Kindern auf dem Weg zur Corniche, | |
Bengasis Stadtstrand. Die sichtbar fronterfahrenen Jungs auf den | |
Geländewagen tragen lange Bärte, Kalashnikows, paschtunische Mützen, einige | |
weiße Gewänder. „Wir sind hier doch nicht in Afghanistan“, sagt ein älte… | |
Herr im Anzug ungläubig. | |
## Einige der Islamisten stammen nicht aus Libyen | |
Wie eine siegreiche Armee zieht die Fahrzeugkolonne zu dem Ort, wo die | |
libysche Revolution vor über einem Jahr begann. Ihre Gesichter sind meist | |
freundlich, mit Koranversen bedruckte schwarzen Fahnen werden geschwenkt, | |
aber einige filmen die Zuschauer. Und einige stammen eindeutig nicht aus | |
Libyen, wundern sich die Passanten aus Bengasi. | |
„Wir werden die Scharia einführen, ob Du willst oder nicht Kafir- | |
Ungläubiger-“, ruft mir einer mit sehr langem Bart zu, als ich vorsichtig | |
beginne Fotos zu machen. Die Beschimpfung ist dem Revolutionär neben mir | |
sichtbar peinlich. Er hat im Krieg ein Bein verloren und sorgt für hier für | |
die Sicherheit: „Sorry“ ruft er mir beschwichtigend zu, „Ausländer sind … | |
Libyen natürlich willkommen, ich habe für die Rechte aller in Libyen | |
gekämpft.“ | |
## Bengasi ist sicher, sagt der Österreicher | |
Der österreichische Sicherheitsmann stimmt da nur teilweise zu. Bengasi ist | |
zwar sicher sagt er, aber vor dem Firmen-Büro hat ein islamistische Brigade | |
eine eindeutige Warnung an alle Ausländer plakatiert. Von den 10.000 | |
Ausländern vor der Revolutionsind noch rund 500 übrig geblieben, der Rest | |
wartet weiterhin auf den wirtschaftlichen Neustart des reichsten Landes auf | |
dem afrikanische Kontinent. Aber dafür ist ein sicheres Umfeld nötig. | |
Ein ausgebrannter Container direkt vor dem Fabrikgelände der Österreicher | |
zeugt von einer heftigen Schießerei zwischen der neuen Militärpolizei und | |
einer der 80 bewaffneten Brigaden in der Stadt. Die Angaben der Opferzahl | |
dieses Kampfes schwankt zwischen 1 und 9. Sichere Informationen sind eines | |
der Hauptprobleme im nachrevolutionären Libyen. Es gibt keine | |
funktionierende Polizei oder sonstige Institution wo man nachfragen könnte. | |
## Waffen sind in der Öffentlichkeit verpöhnt | |
Gerüchte bestimmen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit und die verbreiten | |
sich in Windeseile. Der Anschlag auf das amerikanische Konsulat in Bengasi | |
ist wohl die Rache der Islamisten für die Liquidierung des libyschen | |
Al-Kaida Kommandeurs Abu Yahya Al-Libi durch eine US-Drohne in Pakistan, | |
hört man auf Bengasis Straßen. Und dass die Dschihadisten die Wahlen | |
verhindern werden. Heute wollen sie den Libyern auf dem Tahir-Platz die | |
Scharia erklären und warum Parteien unislamisch sind. | |
Wie ein Lauffeuer hat sich ihr Aufmarsch in der Stadt verbreitet. Waffen in | |
der Öffentlichkeit zu tragen ist schon lange verpönt und Bengasi ist eine | |
liberale Stadt. Die meisten Frauen tragen zwar ein Kopftuch, aber an den 10 | |
privaten Universitäten der Stadt sind 80 Prozent der Studenten junge | |
Frauen. Viele waren im Ausland, sind nun zurückgekehrt und streben in die | |
Wirtschaft, Politik und Medien. | |
## Die Bürger organisieren sich über Facebook | |
Sie sind das Feindbild der Dschihadisten und bleiben heute zu Hause. In | |
zwei Stunden hat das bürgerliche Bengasi auf Facebook eine | |
Gegendemonstranten organisiert, wie im Februar letzten Jahres. Jung und alt | |
versperrt den Bärtigen den Weg zum Revolutions-Platz. Ohne Waffen. Sie sind | |
zahlenmäßig weit überlegen, die Radikalen haben aus Ostlibyen 1.000 Leute | |
versammelt. Die Mehrheit beschwert sich vorsichtig über das martialisches | |
Auftreten der Demokratiegegner. | |
“Ich bin gläubiger Muslim, mir muss keiner erzählen was im Koran steht, den | |
kenne ich auswendig“, sagt einer neben mir aufgebracht, „wir haben die | |
Revolution nicht dafür gemacht, um aus Libyen eine Art Afghanistan zu | |
machen“, poltert er weiter. Mit ihren schweren Waffen und ihren an Al Kaida | |
erinnernden Auftreten scheinen die Dschihadisten diesmal übertrieben zu | |
haben. Die Menge kreist sie mit einer 50 Meter langen libyschen Fahne ein | |
und drängt sie friedlich vom Platz. | |
## Die Moderaten drohen den Dschihadisten | |
Es ist ein sehr symbolische Bild voller Anspannung, aber auch Besonnenheit, | |
denn allen ist kar- es geht an diesem historischen Ort um nichts weniger | |
als um die Zukunft der Revolution. Die Drohung einer moderaten Miliz aus | |
Bengasi den Platz zu stürmen, sollten die Dschihadisten auch nur einen | |
einzigen Schuß abfeuern, liegt in der Luft. | |
„Sie haben kürzlich eine Bombe auf das amerikanische Konsulat geworfen und | |
sind gegen die Wahlen“, sagt Mohamed Ibrahim, der Chef von Radio Shabab. | |
“Das kommt hier nicht gut an, seitdem wir kürzlich den Lokalrat von Bengasi | |
ohne irgendwelche Zwischenfälle gewählt haben. Und die Vorsitzende dieser | |
ersten gewählten Institution seit 42 Jahren wird wohl eine Frau werden.“ | |
## Erklärungen über die Scharia im Radio | |
Der 26 –jährige hat die Dschihadisten eingeladen, um in seiner | |
Radio-Talkshow zu erklären was sie eigentlich genau meinen mit Scharia. | |
„Ich habe ihnen gesagt, dass Demokratie bedeutet, Meinungsverschiedenheiten | |
mit Worten und nicht mit Waffen auszutragen. Aber noch habe ich keine | |
Antwort bekommen.“ | |
Ob Dschihadisten bei den kommenden Wahlen zur Nationalversammlung aktiv | |
gegen Wähler vorgehen werden, bleibt abzuwarten. Das 200-köpfige Gremium | |
soll den selbst ernannten Übergangsrat ablösen, der sich durch Untätigkeit | |
im ganzen Land diskreditiert hat. Der Wahltermin wird aus organisatorischen | |
Gründen nicht wie geplant am 19. Juni stattfinden. | |
Aus diplomatischen Kreisen ist zu hören, dass nun ein Termin um den 10. | |
Juli angestrebt wird. Solange wird der Kampf um die Macht in Libyen | |
weiterhin auf der Straße statt finden. Noch meist mit Worten und nicht mit | |
Waffen. | |
10 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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