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# taz.de -- Datenschutzfreundliche Provider: Sie wollen's nicht wissen
> Der US-Amerikaner Nicholas Merrill träumt von einem Provider, der
> maximalen Nutzerschutz gewährt. Das Projekt des Calyx Institute scheitert
> vorerst am Geld.
Bild: Gemeinsam gegen den Überwachungsstaat – eine Illusion?
BERLIN taz | Die Idee schwelt schon lange in ihm. Seit acht Jahren träumt
Nicholas Merrill von einem Telekommunikationsanbieter, der die Daten seiner
Kunden nicht kennt und sie somit garantiert nicht weitergeben kann. Der
Versuch, diesen Traum mit einem Provider des so genannten
[1][//www.calyxinstitute.org/content/internet-provider-pledges-put-your-pri
vacy-first-always:Calyx Institute] wahrzumachen, ist nun vorerst an der
Finanzierung gescheitert.
Das Crowdfunding-Projekt erweckte offenbar nicht das breite Interesse der
Öffentlichkeit, auf das die Macher gehofft hatten. Doch während Merrill
nicht aufgibt und schon nach neuen Finanzierungsmöglichkeiten sucht,
bezweifeln Beobachter, ob er sich damit überhaupt gegen den amerikanischen
Staat durchsetzen kann.
Denn die Überwachung im Dienste des so genannten Kampfes gegen den
Terrorismus scheint in den USA bisher unantastbar. Einige große Provider
wie AT&T oder Verizon kooperieren willig mit den Sicherheitsbehörden, sie
geben jährlich Millionen von Kundendaten preis. Merrill versucht seit 2004,
dieser Beobachtungswut etwas entgegenzusetzen.
Der 39-Jährige betrieb damals eine kleine Providerfirma in New York und
bekam einen Brief des FBI, dem Inlands-Nachrichtendienst der Vereinigten
Staaten von Amerika. Nicht irgendeinen Brief, sondern einen Nationalen
Sicherheitsbrief – also eine Aufforderung, bestimmte Daten seiner Kunden zu
übermitteln.
## Komplett verschlüsselt
Die Sicherheitsbriefe sind Teil des so genannten US-Patriot Act, der 2001
nach den Anschlägen auf das World Trade Center in Kraft trat. Seitdem
können US-Sicherheitsbehörden ohne Hinweise auf eine konkrete Straftat
Daten über Kommunikation, Finanzströme und Kreditnahme einzelner Personen
anfordern, etwa von Providern wie Nicholas Merrill.
„Meine Idee war nun, von vorne herein gar nicht fähig zur Kooperation mit
den Behörden zu sein“, sagt Merrill. Er gründete das Calyx Institute als
Arbeitsgemeinschaft von IT-Experten, um den speziellen Providerdienst
aufzubauen.
Dieser soll den Datenverkehr eines Nutzers vom Endgerät bis zum
aufgerufenen Server komplett verschlüsseln, auf dass der Provider selbst
nicht mitlesen könne. Daten, die er nicht hat, kann der Anbieter dann auch
nicht an den Nachrichtendienst weitergeben – so das Kalkül des Teams um
Merrill.
Laut der Bürgerrechtsbewegung [2][Amercian Liberties Union] (ACLU) ergehen
jährlich zehntausende Sicherheitsbriefe an Provider und Kreditinstitute und
das meist ohne richterliche Anordnung oder einen konkreten Hinweis auf eine
Straftat. 143.000 Anfragen führten laut der Organisation in den Jahren 2003
bis 2005 etwa zu lediglich 53 Strafanträgen – keiner davon war mit
Terrorismus verbunden, auf den der Patriot Act eigentlich abzielt.
## Eingriffe verletzen grundlegende Rechte
„Seit Inkrafttreten des Patriot Act vor mehr als einer Dekade wurde er
immer wieder unsauber angewandt, Übertretungen wurden durch gesetzliche
Anpassungen nachträglich legalisiert“, sagt Laura Murphy, Chefin des
ACLU-Büros in Washington. „Er interveniert in die Privatsphäre der
Amerikaner und verletzt ihre grundlegenden Rechte.“
Aus diesem Blickwinkel scheint ein Projekt wie das des Calyx Institute
wünschenswert. Die nötige Unterstützung fehlte am Ende dennoch. Über die
Fundraising-Plattform [3][Indiegogo] wollten Merrill und seine Kollegen
seit Mai rund eine Millionen US-Dollar sammeln, um ihr auf 70 Regionen
gestütztes Breitband-Netzwerk und ein darüber gelegtes VPN-Netzwerk zu
finanzieren. Später sollten auch alle Mails, die Kunden über den Betreiber
versandten, so verschlüsselt werden, dass nur der Kunde selbst sie
entschlüsseln kann. Wie alle Dienste sollte auch dies auf
Open-Source-Software basieren.
Doch obwohl das geradezu nach kollektiver Finanzierung schreit, kamen bis
zum Ablauf der Frist Ende vergangener Woche nur knapp 70.000 US-Dollar
zusammen. „Die meisten Internetnutzer sehen noch immer nicht die Relevanz
von sicheren Datenverbindungen“, schätzt Willi Geiselmann, Experte für
Verschlüsselung und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie
(KIT). Das Projekt sei gerade aus diesem Grund positiv zu sehen.
Es biete dem durchschnittlichen Kunden den Schutz, den er sich selbst durch
Programme wie [4][PGP] und AES-Verschlüsselungen etwa für sein Mailprogramm
auch heute schon zulegen kann, als komfortables Gesamtpaket. Doch das ist
gleichzeitig auch das Problem des Calyx Institute: „Unter den
Otto-Normal-Nutzern gibt keinen Markt für solche Angebote“, sagt
Geiselmann.
## Provider kann Augen nicht verschließen
Der Wissenschaftler bezweifelt zudem, dass Merrill die Daten so umfassend
verschleiern kann, dass er tatsächlich nicht mehr zum Kollaborateur wider
Willen werden kann. Auch wenn mehrere Server im selben Land, also etwa über
das Calyx-Netzwerk innerhalb der USA, zwischengeschaltet seien – solange
der Anbieter nicht Start- oder Endpunkt einer Datenübermittlung ins Ausland
verlagere, müsse der Provider die Endkunden gezwungenermaßen zur Kenntnis
nehmen. Und für den Secret Service sei mitunter auch schon interessant, wer
mit wem wie große Datensätze austausche.
Nicholas Merrill verteidigt das Projekt: Man wolle auch
Anonymisierungstechniken wie das Tor-Project einbinden. Tor ist ein
weltweites Server-Netzwerk, dessen Betreiber nur ein Ziel haben: Daten
anonymisiert zu übertragen, indem sie sie über zahlreiche Server umleiten.
Merrill setzt darauf, dass der Provider dadurch Spuren wie etwa die
IP-Adresse des Nutzers zu einem bestimmten Zeitpunkt kenne, aber
keinesfalls die gesamte Transaktionskette entlang nachvollziehen könne.
Man arbeite auch an einem System, das den Kunden willkürliche ID-Nummern
zuordnet, anstatt sie mit Name und Adresse abzuspeichern. „Wenn jemand zu
uns kommt und die Datenauskünfte über John Smith haben will, werden wir
nicht in der Lage sein, diesen konkreten Namen der ID zuzuordnen“, sagt
Merrill. Die richtigen Leute dafür hat er mit Spezialisten wie Sascha
Meinrath, Chef der Open Technology Intiative, und Jacob Appelbaum,
Mitbegründer des Tor-Netzwerks, jedenfalls zusammengetrommelt. Doch können
sie gemeinsam für vollkommene Sicherheit sorgen?
„Bei einer digitalen Übermittlung von Daten gibt es keine vollkommene
Sicherheit, das ist reine Illusion“, sagt Hartmut Pohl. Auch der Sprecher
für Datenschutz und IT-Sicherheit der Gesellschaft für Informatik bleibt
gegenüber dem Projekt skeptisch und erzählt eine kleine Anekdote:
Angenommen ein Milliarden-schwerer Deal wie die Kaufplanung des
US-Autobauers Chrysler durch Daimler-Benz Ende der 90er interessierte den
US-Nachrichtendienst.
„Dann wäre der persönliche Kontakt zwischen den Vorstandsvorsitzenden auch
heute noch die sicherste Kommunikation, um die Details des Deals
abzuklären“, sagt Pohl. Denn vom technologischen Fortschritt der
elektronischen Kommunikation hätten Sicherheitsbehörden genauso profitiert
wie Internetaktivisten – Möglichkeiten der Überwachung, etwa durch
hochentwickelte Trojaner, inklusive.
## Gesellschaft soll diskutieren
„Wir können davon ausgehen, dass weltweit jede digitale Kommunikation
vollständig überwacht werden kann – unabhängig von der Unterstützung eines
Providers“, sagt Pohl. „Die amerikanischen Sicherheitsbehörden haben in den
USA Geräte in den Räumen der Provider zur Überwachung der Kommunikation
installiert, so dass die Nationalen Sicherheitsbriefe nur eine rechtlich
flankierende Maßnahme darstellen.“
Der Professor für Informationssicherheit glaubt nicht, dass sich Nicholas
Merrill dauerhaft gegen die Überwachungsmaßnahmen der Behörden wehren
könne. Der Druck und auch die Rechte der Sicherheitsbehörden seien in den
USA bekanntlich sehr groß.
„Natürlich kann ich unterliegen mit meinem Plan“, sagt Nicholas Merrill.
Doch er habe es geschafft, seit dem ersten Sicherheitsbrief des FBI die
verlangten Daten nicht herauszugeben und habe langsam Erfahrung in den
Kleinkriegen mit den Behörden. Außerdem hat er mit Brian Snow ein
ehemaliges Mitglied des National Security Service für sich gewonnen. „Es
gibt mittlerweile viele Fraktionen innerhalb des US-Secret Service, die
eine ständige Verletzung der Bürgerrechte nicht mehr bedingungslos
unterstützen wollen“, sagt Merrill.
Er will schon bald wieder auf die Suche nach Geld für sein Projekt gehen
und setzt dabei auf Personen wie Snow, die sein Anliegen im Ansatz
unterstützen. Die Gesellschaft soll anfangen, über den Patriot Act zu
diskutieren, quer durch alle Schichten.
Willi Geiselmann vom Karlsruher Institut für Technologie glaubt, dass das
Calyx Institute hierbei viel erreichen kann. Je mehr Menschen sich für die
staatliche Überwachung interessieren und die Probleme verstehen, desto eher
entstehe öffentlicher Druck. Insofern sei die Initiative in jedem Fall
positiv – egal ob der Provider überhaupt jemals an den Start geht.
19 Jun 2012
## LINKS
[1] http://https
[2] http://www.aclu.org/reform-patriot-act
[3] http://www.indiegogo.com/calyx?c=home
[4] http://www.pgpi.org/
## AUTOREN
Karen Grass
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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